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ach vielen Bemühungen der Arzte schlug Nanni in der Dämmer-
stunde des zweiten Tages endlich die Augen auf. Angstvoll sah
sie nach der Tür: „Die Frau Rosel kommt wieder, seht doch, ach seht!"
Heftiges Fieber folgte. Immer wieder schrie sie den Namen der
Frau Rosel, die sie in jener Nacht leibhaftig zu sehen vermeinte.
Tag und Nacht wachte die Neißin am Bett ihrer Tochter. Die alte
Gertschka blieb bei den Kindern.
Verwaist war der „Goldene Straußen"; der Doktor fing schon
an, über die einfache Kochkunst der Mariedel zu klagen.
Erst als die Neißin die Kranke aus dem Eckzimmer fortbringen
ließ, damit sie die Tür nicht mehr sehen konnte, wurde es besser
mit ihr.
Schon kamen die Tage des Advents. Still und ruhig war es

stand an seiner Stelle; Kupfergeschirre aus dem „Goldenen Straußen"
glänzten an den Wänden.
Ordentlich gewettert hatte die Neißm, als sie das erste Mal in
die Küche des Färberhauses kam. „Was, da soll eine Bürgersfrau
kochen? Da beißt einem ja der Rauch die Nasen weg; in der Selch-
kuchel soll die Nanett vom »Goldenen Straußen' nit stehn."
Mehr Freude noch als über die schmucke Küche erlebte Nani mit
ihrem kleinen Buben; kugelrund war er geworden und hob schon das
Köpfchen. Die Kinder hatte die Neißin ordentlich gemustert; manier-
lich küßten die Mädchen der „Frau Mahm" die Hand und wagten
keinen Widerspruch. Sie arbeiteten fleißig, denn die resolute Zucht-
meisterin verstand keinen Spaß.
Als Nani für alle Güte dankte, sagte die Mutter: „Ach, was nit


Nach einem Gemälde von Z. Wachsmuth. ^uf der Alm.


im Krankenzimmer, dankbar fühlte Nani die Gegenwart der Mutter
und drückte oft die Lippen auf ihre Hand, glücklich darüber, daß sie
endlich zu ihrem Kind gekommen war.
„Laß nur, Nanett, es war mir ja selber hart, daß ich so lange
Zeit zornig war. Aber nun ist alles wieder gut; schau nur, daß du
bald gesund wirst. Bis Weihnachten haben wir noch viel Arbeit
im Hause meines Schwiegersohnes; es muß manches gerichtet werden,
dann wirst du es leichter haben."
Wie staunte Frau Nani, als ihr Mann sie endlich mit liebevoller
Bedachtsamkeit in das Eßzimmer hinabführen konnte; die Wölbungen
waren neu getüncht und alles blitzblank geputzt.
„So, Naning, und nu komm mal in de Küch. Da hadd de Madam
Swiger dich ne ßöne Uwerraschung mackt!"
Der offene Herd mit dem verrauchten Kaminmantel war ver-
schwunden. Ein großer Kachelherd mit Bratröhren und Wasserkessel

gar! Wart, Nanett, im Frühjahr bauen wir. Dann kommen die
Gesellen oben aus den vorderen Stuben heraus, und die kannst du
dann vermieten, wenn du willst. Deinem braven Franz wird's auch
nit schaden, wenn er eine größere Werkstatt bekommt. Er plagt sich
ja zuschanden in dem abscheulichen Mausloch. Der Stall muß ein
neues Dach haben, sonst können wir keine Pferd Linstellen, und die
müßt ihr haben. Das hat mir der Karl, der ein recht bakschierlicher
Gesell ist, erst gestern wieder g'sagt. Und wenn dein Mann, liebe
Nanett, Geld braucht, dann sag es mir offen. Gern geb' ich's dem
fleißigen Meister!" ———
ehn Jahre sind seitdem vergangen. Hell geweißt steht das
Färberhaus an der Ecke des steil abfallenden Gäßchens. Der
Weinstock, den Muhrland im ersten Ehejahr mit Frau Rosel ge-
pflanzt, reckt an der Hofseite die Aste bis zum ersten Stockwerk empor.
 
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