Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



Trockenschuppen für Tabakblätter. Im Vordergrund Tabakfeld.

steuerungen aus dem drohenden Unheil einen einträglichen Nutzen
für den Staat zu ziehen. Ja die edlen Briten verstanden ihr Ge-
schäft damals so gut wie heut, indem sie Peter dem Großen durch
ein Geschenk von fünfzehntausend Pfund Sterling die Einfuhr-
erlaubnis für Tabak nach Rußland abdrängten.
Der Krieg brachte eine ungeheure Erhöhung des Tabakver-
brauches mit sich, und viele Tausende, die vorher Nichtraucher waren,
haben sich im Feld davon überzeugt, daß der Tabakgenuß eine leichte
und angenehme Erregung des
Nervensystems, eine beruhi-
gende Wirkung auf die Stim-
mung erzeugt und ein leich-
teres Überwinden körperlicher
und geistiger Strapazen er-
möglicht, Hunger und Durst
beträchtlich abschwächt. Der
Nikotingehalt ist je nach den
Sorten sehr verschieden und
beträgt beim Brasiltabak 2,28
bis 2,78 Prozent, bei Elsässer
Tabak dagegen nur 0,90 bis
1,90 Prozent.
Am besten gedeiht der Tabak
seiner Herkunft entsprechend
im warmen Klima, wird aber
in Europa bis über den sech-
zigsten Breitegrad hinaus an-
gepflanzt. Guter Tabak be-
ansprucht immerhin das gleiche
Klima wie der Wein. Öster-
reich-Ungarn und Rußland er-
zeugen von allen Ländern
Europas am meisten Tabak,
jährlich etwa je siebzig Millionen Kilogramm, Deutschland dagegen
etwa nur die Hälfte, Frankreich nur gegen sechsundzwanzig Millionen
Kilogramm. Aus Amerika, der Heimat dieser Pflanze, kommt nicht
der meiste, aber der beste Tabak, vor allem Kuba, Virginia und Ken-
tucky aus den Vereinigten Staaten, ferner aus Westindien, Meriko,
Brasilien und Paraguay.
In Asien kommen die hiu-
terindischen Inseln, vor
allem Sumatra in Betracht,
aber auch Vorderindien,
Persien, China und Japan.
In Deutschland gedeiht der
Tabak am besten in humus-
reicher, mit lockernden Ma-
terialien vermischter Kom-
posterde oder in kalkhalti-
gem, gemergeltem Lehm,
und braucht viel Stickstoff-
düngung.
Im März beginnt man
mit der Saat des Tabaks
und verpflanzt dann die
am kräftigsten angegange-
nen Pflänzchen mit Erd-
bällen in Gartenbeete.
Man unterscheidet Luftbeete und Mistbeete; in den letzteren wachsen
die jungen Pflänzchen rascher, sind aber in den Luftbeeten vor
Ungeziefer und Würmern besser geschützt. Ende Mai, spätestens
Anfang Juni werden sie mit Wurzelballen auf den Acker versetzt,
der vor kalten Winden geschützt, aber möglichst den Sonnenstrahlen
ausgesetzt sein muß. Beim Verpflanzen der kleinen Tabakpflanzen
auf das offene Feld muß äußerste Sorgfalt angewendet und eine
Verteilung in gleichen Abständen vorgenommen werden, wobei
man sich eines besonderen Werkzeuges, des sogenannten „Mar-
queurs", bedient. Nach weiteren vierzehn Tagen erfolgt die erste
Düngung und später das mehrfach zu wiederholende Behacken und
Häufeln. Entwickeln sich die Blütenrispen, so werden sie „geköpft",
wodurch das Wachstum der Blätter befördert wird; die Seiten-
sprossen in den Blattwinkeln werden ausgebrochen, was man „Geizen"

Zur Kriegslage der Tabakindustrie.
Von Hermann Spötter.

(^^a die Briten sich keiner nennenswerten Eroberung deutscher
Stellungen, geschweige deutschen Bodens rühmen können,
brüsten sie sich mit dem Erfolg ihrer Vergewaltigung der
Handelsschiffahrt, bis die Aufräumungsarbeit der deutschen Tauch-
boote ihnen diese Freude gründ¬
lich vergällt haben wird. Vor¬
läufig ist freilich die Absper¬
rung der deutschen Häfen von
der Einfuhr transatlantischer
Produkte eine Tatsache, mit
der man sich abfinden muß.
So behält denn auch Amerika
seinen Tabak, von dem es im
Jahr etwa 300 Millionen Kilo¬
gramm erntet — 146,3 Mil¬
lionen Kilogramm betrug die
Gesamtausfuhr fremdländischer
Tabake nach Europa. Die
deutsche Tabakindustrie muß
sich also ohne Ergänzung ihrer
Warenbestände an Virginia
und Kentucky, Kuba und Bra¬
sil, und die sonstigen begehrten
Tabaksorten aus Amerika und
Afrika zu helfen suchen. Da
nun in Deutschland der Tabak¬
verbrauch viel größer ist als
in den romanischen Ländern - , -
— er betrug im Jahre 1911: Die Tabakblatter werden auf eme Schnur aufgezogen.
998702 Doppelzentner —, so werden die Händler jenseits des großen
Wassers den Ausfall der Einfuhr nach deutschen Häfen, die sich
im Jahr etwa auf sechzig Millionen Kilogramm zu belaufen pflegte,
schließlich auch als eine recht unangenehme Schattenseite des Kampfes
gegen die verhaßten Deutschen empfinden. Die Einfuhr von Holland
kann die transatlantische
weder an Qualität noch
hinsichtlich der Menge er¬
setzen. Die deutsche Tabak¬
industrie, der deutsche Ta¬
bakhandel und der deutsche
Tabakfreund müssen also
nun zunächst ohne die be¬
kannten Sorten wie Co¬
lorado olaro und Nadnro
Lolorado auszukommen ver¬
suchen, und es ist wahr¬
scheinlich, daß dieser Zwang
das Gute hat, die Vorstel¬
lung der Unentbehrlichkeit
der fremden Waren um ein
gutes Stück herabzusetzen
und dafür die Brauchbar¬
keit deutscher Erzeugnisse
um so mehr zu erweisen.
Eine Abschaffung des Tabakgenusses oder seine Verpönung durch
amtliche Verbote ist trotz dem Mangel nicht zu befürchten.
Als die Tabakpflanze durch Jean Nicot, den französischen Ge¬
sandten in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts am portugiesischen
Hof, zunächst als Arznei und später durch eingewanderte Hugenotten
auch in Deutschland als Genußmittel eingeführt wurde, machten die
Obrigkeiten, voran die Geistlichkeit, die größten Anstrengungen, „dem
neuen Laster" entgegenzutreten. All ihre Strenge blieb jedoch
vergeblich und verstieg sich auch nicht zu den Grausamkeiten, mit
denen man in Rußland gegen das Rauchen aus Angst vor Feuers¬
gefahr vorging. Prügelstrafen und Aufschlitzen der Nase, Abschneiden
der Lippen, Verbannung nach Sibirien, ja die Todesstrafe verhängte
man im Reich der Knute über die Übeltäter, während in England
und Frankreich die Regierungen klug genug waren, durch hohe Be-
 
Annotationen