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DasBuchfüvAlts

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mehr heraus, wie notwendig diese Arbeiten waren. Schließlich wird
jeder damit zufrheden sein, auch du, mein Sohn Hans-Albrecht!"
Sie reichte ihrem Vetter Heinrich Queri die Hand. Hans-Albrecht
putzte mit einem Strohwisch an den Stiefeln, die bis zur Hälfte
weiße Strandschuhe geworden waren. Er widersprach nicht; er
wußte es zu gut, daß Widerreden Tante Reppchens Beredsamkeit
entflammten. Die anderen sahen ihm zu.
Tante Regine wandte sich dem Major zu: „Wir essen heute
etwas später, aber wenn du Zeit und Lust hast, dazubleiben, Heinrich?
Es gibt Huhn mit Reis."
Der Major dankte; an der nötigen Lust fehle es nicht, aber seine
Zeit sei gemessen. Nun erfuhr seine Base, daß auch er in Vorberei-
tungen stecke, denn morgen käme Fräulein Kölsch.
„Deine liebe Ursel Kölsch?! Ich wollte schon fragen," rief Tante
Regine. „Wie herrlich, daß du nun bald deine gewohnte Ordnung
haben wirst. Was wir lieben, ist unser. Wir werden sie dann hoffent-
lich recht, recht bald kennen lernen. Es liegt ja ganz an dir . .."
Sie beendigte den Satz nicht. Eine Verlobung, auch wenn sie
noch keine vollzogene Tatsache ist, gleicht einem Ei mit hauchdünner
Schale, an das man nicht unnötig rühren soll. Sie hoffte im stillen,
daß dem Vetter über Nacht besserer Rat gekommen sei, und fühlte
sich durch die Ankunft von Fräulein Kölsch einstweilen beruhigt.
„Lasse dich nur ja nicht stören," sagte sie. „Ich weiß, wie leicht
dem Tätigen der Tag zu kurz wird."
Ein Zimmermeister trat heran und fragte, ob die alte Bade-
scheune endgültig abgerissen werden könne.
„Wir errichten nämlich eine neue Badezelle," erklärte Anne-
marie dem Oheim. „Die alte war verfallen. Tante Reppchen
glaubte sich zu erinnern, daß die erste Frage der Amerikaner stets nach
dem Bad sei. Nun bauen wir Esther zu Ehren auch das neu. Ich bin
übrigens nicht böse darüber. Ich schwimme doch so gern."
„Na, dann geht's ja," lachte der Major. „Kein Ereignis ist so un-
glücklich, daß sich nicht ein Vorteil daraus ziehen ließe."
Hans-Albrecht aber, der mit dem Abschürfen seiner Stiefel
fertig war, seufzte, als er dem Onkel die Hand zum Abschied reichte.
„Drei Wochen soll dieses Tohuwabohu dauern, hat sie gesagt."
Er dachte entmutigt und niedergeschlagen an seine Abhandlung:
„Alle Lust will Ewigkeit".
räulein Ursula Kölsch hatte noch zuguterletzt aus München mit
dem Major ein Ferngespräch gehabt und darin Bedenken ge-
äußert, daß ihre Nichte zunächst auf Buchtenhagen wohne. Das
war die Folge davon, daß ihr Heinrich Queri mitgeteilt hatte, er
sei nur auf Umwegen zum Ziel gelangt; seine Vase Regine Waln-
stein sei über seine Mittlerschaft und auch über die verwandtschaft-
lichen Beziehungen Zwischen ihr und Eva Neureuther völlig im
unklaren. Wenn die Nichte nun auf Schloß Buchtenhagen wohnen
solle, dann müsse ja alles ans Licht kommen.
Der Major zerstreute ihre Bedenken sofort, nicht ohne über das
verständige Zartgefühl Ursulas gerührt zu sein.
Mittags fuhr er zur Haltestelle und holte sie ab. Sie sgh blaß
aus und war etwas schmäler geworden, wollte jedoch durchaus nicht
zugeben, daß sie sich beim Packen überanstrengt habe. Der Major
wußte es besser. Eva Neureuther machte eine tiefe Verbeugung vor
ihm. Er fand, daß sie reizend frisch und gar nicht wie eine Lehrerin
aussah. Und wie sie gewachsen war!
Die Braunen zogen an. Als das Schloß hinter der Berglehne
und dem kleinen, schon im ersten Grün freundlich prangenden Birken-
wäldchen auf-tauchte, stieß Ursula Kölsch einen Ruf des Entzückens
aus, denn sie kannte das alte Schloß nur nach Bildern. Ihre Be-
wunderung hielt an, und der Major freute sich; er dachte dabei,
wenn man etwas liebgewinnt, übernimmt man seine Obhut und
Fürsorge doppelt gern. Ursula war noch in den Reisekleidern, als
sie schon anfangen wollte auszupacken und einzuräumen. Aber
der Major wehrte ihr: „Heute haben wir Besuch und wollen es ge-
mütlich haben."
Jochim Heberlein deckte den Tisch; aus dem Reich der Rosine
Egerer wogten vielverheißende Düfte. Strahlendes Sonnenlicht
lachte durch die Fenster.
„Werden Sie sich hier heimisch fühlen?" fragte der Major.
„Ich bin es schon," gab Ursula Kölsch zur Antwort. „Alles ist
ja hier so heimlich und behaglich, wo ich hohe, ernste, unwohnliche
Gemächer mit schwerfälligen Möbeln vorzufinden fürchtete. Hier-
kann kein unfreundlicher Herr gewohnt haben."
Diese Bemerkung erinnerte den Major wieder an das Testament.

Ehe Ursula ankam, hatte er darüber nachgegrübelt, ob er zu ihr davon
sprechen sollte, und war zu der Überzeugung gelangt, der Inhalt
könnte sie kränken. So verschwieg er alle Aufregungen der letzten
Wochen. Schließlich würde ja alles doch kommen, wie es kommen
mußte, und vorzeitig von seinen Kämpfen zu erzählen, war gewiß
nicht das richtige. Erfuhr sie später davon, dann würde er: in ihren
Augen als opferfreudiger Held erscheinen.
Auch die junge Nichte mußte ein gutes, liebes Kind sein. Sie
bedankte sich immer wieder, trotzdem er ihr schon ein paarmal gesagt
hatte, ihr Dank richte sich an die falsche Adresse. Selbstlos rühmte
er ihr das Verdienst seines Neffen, setzte aber gleich hinzu, daß diesem
an irgendwelchen Dankesbezeigungen bestimmt nichts gelegen sei.
Uber die gefällig gedeckte Tafel fiel der Sonnenschein. Heber-
lein nestelte an den Vorhängen. Mer die Sonne meinte es so freund-
lich, daß sie auch durch die zugezogenen Vorhänge durchblinzelte.
Sie hatte hier so lange keine frohe Gesellschaft bei Tische sitzen sehen.
Und nun gar zwei Damen. Auch der alte Jochim Heberlein blinzelte
eigentümlich, als wäre ihm etwas ins Auge geflogen. Aber es mußte
wohl nur die freudige Überraschung sein, und sie allein war es auch,
die ihn ein wenig erzittern ließ, als er die Platte mit dem Rheinlachs
herumreichte.
„Stört Sie die Sonne?" fragte der Major.
„Oh, sie scheint ja so herrlich!" sagte Ursula Kölsch.
„Wenn sie das gnädige Fräulein Schwester stört," erlaubte sich
Heberlein zu fragen, „könnte ich den japanischen Wandschirm herein-
bringen."
Fräulein Kölsch dankte lachend; der Major schmunzelte. Ihm war
eben selbst die große Ähnlichkeit zwischen Tante und Nichte aufgefallen.
„Wahrhaftig!" rief er, als der Leibjäger aus dem Zimmer ge-
gangen war, und wandte keinen Blick von dem blonden Haar Evas,
in dem die Sonne spielte: „Der alte, brave Kerl hat nicht unrecht.
Man könnte Sie für Schwestern halten."
„Das ist für Eva nicht besonders schmeichelhaft," meinte Ursula
Kölsch. Aber sie errötete doch freudig.
„Man muß gerecht sein," gab der Major zurück.
„Gerechtigkeit ist blind," sagte Fräulein Kölsch.
Dem Major schwebte auf der Zunge, daß man das eigentlich
öfter von etwas anderem behaupte, aber er sprach es nicht aus.
Er wollte gerade die grünen Gläser zu einem Willkommengruß
anklingen lassen, als Hebsrlein in Heller Aufregung seinem Herrn
zuflüsterte, die Kutsche aus Grinderode käme den Berg herauf.
Seine Verhaltungsmaßregeln über etwaige Besuche des Freifräuleins
von Walnstein vergaß er im Schlafe nicht —
„Warten Sie!" Der Major verstand ihn. Die Grinderoder im
Anmarsch? Regine und die Kinder? Nein, das war doch kaum denk-
bar. Regine sagte doch noch gestern oder deutete es wenigstens an,
daß unter den jetzigen Verhältnissen keine persönliche Begrüßung
möglichZei, sie hatte doch durchblicken lassen, daß es zweierlei sei,
ob er Fräulein Kölsch oder die künftige Hausfrau erwarte. Blitz-
schnell bedachte er alles. Wer konnte Tante Reppchens Absichten
jemals durchschauen?
„Wenn Sie richtig gesehen haben, Jochim, dann bin ich auch zu
sprechen."
Ursula Kölsch merkte, um was es sich handelte. „Lassen Sie
sich nur ja nicht abhalten," sagte sie, von leichter Unruhe befallen.
Wenn der Major mit ihr über seine Grinderoder Verwandten ge-
sprochen hatte, besonders von seiner Base Regine und ihrem hoch-
geschraubten Standesbewußtsein, pflegte er aus seinem Herzen
keine Mördergrube zu machen. Ganz von selbst war es gekommen,
daß sie sich das Fräulein von Walnstein als eine äußerst hochmütige
Dame vorstellte, die ihr mit eisiger Mlehnung begegnen und sie,
schon darum, weil sie das Vertrauen des Majors besaß, mit Miß-
trauen empfangen würde. Und nun sollte sie dieser Frau gegenüber-
treten? Auch Eva verlor ihre Munterkeit; es war doch nicht vorgesehen,
daß sie, die neuangekommene Lehrerin, hier am Tische des Schloß-
herrn zuerst die kluge Frau kennen lernen sollte, die in Grinderode
regierte.
Man hörte den Wagen vorfahren. Der Major, der unruhig mit
einer Brotkugel spielte, erbat sich für alle Fälle die Erlaubnis, von
Tische aufstehen zu dürfen. Doch da kam der alte Heberlein zurück
und meldete: „Der junge Herr Baron sind allein gekommen."
Der Major fuhr angenehm überrascht auf: „Hans-Albrecht?
Nun, dann brauchen wir uns auch nicht mitten im Essen stören zu
lassen. Wenn Sie nichts dagegen haben, bringe ich meinen Neffen
gleich hier herein." (Fortsetzung folgt.-
 
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