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Heft 4

91

Die Neißin saß im Lehnstuhl; sie war verändert, bemäkelte heute
gar nichts, sondern war von einer nie gekannten Güte und Milde.
„Das ist schön, Nanett, daß du endlich kommst. Schaust wohl
ein bissel elend daher; aber das ist bei uns nit anders. Herzig ist
die kleine Franzi! Aber was macht denn mein Liebling, das
Netterl?"
„Oh, die fragt oft nach ihrer -Goßmutter'. (pie hat die Masern
eben überstanden, sonst hält' ich sie schon mitgebracht. Frau Mutter,
wird Ihnen das viele Reden nicht schaden?"
„Ach was! Am Kirchhof draußen werd' ich noch lang genug still
sein müssen, das hab' ich erst heut dem Pflasterschmierer, dem Doktor,
wieder g'sagt."
„Mer Frau Mutter, Sie sollen doch nicht gleich ans Sterben
denken!"
„Gegen den Tod ist halt kein Kräutel gewachsen. Der Priester war
auch schon bei mir; als gute Christin bin ich bereit. — Aber ich will
nit länger Herumschleichen, wie die Katz um den heißen Brei. Also
Nanett, dein Mann will wirklich nicht den -Goldenen Straußen' über-
nehmen?"
„Nein, Mutter, er kann nicht."
„Ja, ja — haben harte Schädeln die Mannsleut! Aber die
härtesten Nüss' haben oft den süßesten Kern. Er ist doch ein braver
Mann, dein Franz. Nun, so werd' ich halt morgen mein Testament
machen."
„Aber, meine teuerste Frau Mutter, tun Sie das nit! Sie werden
ja wieder gesund werden!"
„Nein, Nanett, ich werd' nimmer g'sund! Schau nur, ich kann nit
einmal im Bett liegen; Tag und Nacht muß ich da im Sessel sitzen,
wie der heilige Laurentius auf dem Rost. Doch was sind all die
Leiden gegen den Schmerz in meinem Mutterherzen."
Traurig sah die alte Frau ihre Tochter an, die sich nur mit Mühe
der Tränen enthielt. Sie küßte die Hand der Kranken und flüsterte
wehmütig: „Mutter!"
„Nanett — bist ja immer mein liebes, braves Kind gewesen. Ich
bitt' dich, bei den sieben Schwertern unserer lieben Frauen, nimm
mir die letzte Last von der Seele. Nanett — wenn ich nit mehr bin —
nimm dich um den Anton an."
Erschöpft schwieg die Kranke. Nani rückte ihr das Kissen höher
unter den Kopf. Still war es im Zimmer, dann fuhr die Neißin
fort: „Du weißt Nanett, daß es mir recht weh tut, daß der -Goldene
Straußen', den schon meine Großeltern ihr eigen nannten, nun in
fremde Händ kommen soll. In dem Keller, wo mein erster Seliger
noch die Fässer vollgefüllt hat mit echter Eottesgab, wird nun ein
Fremder herumpanschen, ohne Sinn und Verstand. — In die Küche
hat mich meine selige Mutter grad an dem Tag, als die französischen
Gefangenen in das Dominikanerkloster eingezogen sind, zum ersten
Male an den Bratspieß gestellt. Seit anno siebzehnhundertachtund-
neunzig hab' ich da selber das Regiment geführt. Jetzt wird eine neue
Köchin, vielleicht gar mit einem Hut auf dem Kopf, dort herum-
hantieren. Und das alles, weil der Anton ein Streuner worden ist,
der alles durch die Gurgel jagt und nit arbeiten will. Aber — er ist
halt doch mein Kind!" Zwei große Tränen rollten über die schlaffen
Wangen der alten Frau.
„Wer ich bitt' Sie, Frau Mutter, regen Sie sich nit so auf! Ich
will Ihnen von den Baldriantropfen geben."
Gehorsam schluckte die Neißin die Arznei.
Unterdes war es dunkel geworden, nur die Straßenlaterne warf
rötliches Licht in das Zimmer. Nani wollte ihr schlafendes Kindlein
Heimtragen. Da begann die Kranke nochmals zu bitten: „Also, gelt
Nanett, ich kann mich auf dich verlassen? Dein guter Mann wird ge-
wiß zufrieden sein mit dem, was ich euch lasse; aber den Anton dürft
ihr mir nit verstoßen."
„Mer gewiß nit, Frau Mutter. Ich und mein Mann werden
alles für ihn tun, was wir nur können. Und nun schlafen Sie, meine
liebe Frau Mutter!"
„Ja, ja — schlafen will ich. Liebe Nanett, ich danke dir und deinem
lieben Franz für das, was du mir jetzt versprochen hast. Unser Herr-
gott soll dir und deinen Nachkommen nur Gutes auf Erden schenken.
B'hüt dich Gott Nanett, grüß mir auch den Tonerl, wann er einmal
heimkommt."
Die Neißin legte'sich zum Schlafen zurecht. Nani nahm leise
weinend ihr Kindlein unter das Tuch. Sie trat zu der Schlafenden
und machte ihr leise das Kreuzeszeichen auf die Stirne unter das
weiße Haar: „Lebwohl, liebe Mutter!"

^^o! Also gar nichts hat mir die Mutter hinterlassen? Pepi, das
glaube ich nicht. Zeig mir einmal das Testament!" rief der
heimgekehrte verlorene Sohn der Neißin seiner Schwester zu.
„Das kannst du gleich sehen, da in der Schublade ist die Wschrift."
Die Jungfer nahm die Katze vom Schoß und sperrte den Kasten auf.
Anton stand vor ihr in einem dünnen, lichtgrauen Sommeranzug,
trotzdem draußen die Flocken zur Erde fielen und Neujahr großen
Frost gebracht hatte. Er war nun sechsunddreißig Jahre alt, doch das
zügellose Leben ließ ihn weit höher an Jahren erscheinen. Wirr hing
das Haar auf seine Schultern, Bartstoppeln bedeckten sein Kinn. Weit
in Krain drüben hatte ihn zufällig die Nachricht vom Tode seiner
Mutter erreicht. Niemand hatte es also der Mühe wert gehalten,
ihn zu verständigen? Sofort hatte er seine bescheidene Stellung, die
er des drohenden Winters wegen angenommen, wieder aufgegeben,
um nach der Heimat zu wandern.
Er nahm das Schriftstück aus Pepis Hand und las es durch. Auf-
sehend bemerkte er die schadenfrohen Augen der Jungfer auf sich ge-
richtet. Zornig schrie er: „Was schaust mich dem: so an, du schwarze
Her? Hast wohl deine Freud dran, daß ich nir, aber rein gar nir mehr
krieg?. Aber das lass' ich mir nit g'fallen, und wenn ich bis zum Kaiser
gehn müßt! Ihr Schwestern müßt mit mir teilen!"
„Du hast unsere arme Mutter genug ausgesogen. Recht, ganz
recht ist dir g'schehen!"
„So, recht ist mir g'schehen? O nein, denn sonst sitzet da drüben
im -Goldenen Straußen' nit ein wildfremder Kerl. Von oben bis
unten hat er mich angeschaut!"
„Schaust ja in dein Sommerg'wandel auch aus wie ein Land-
streicher. Der Wirt drüben ist ein sehr ordentlicher Mann, er hat der
Nanett ein schönes Stück Geld für Haus und Geschäft gegeben. Und
mir hat die Mutter die drei schönen Weingärten in der Kollos ver-
macht. Wachst ein sehr guter Tropfen drauf!"
„Ach was, ist mir einerlei. Sag mir, ob du und die Nanett teilen
wollt mit mir?"
„Steht ja alles ganz klar auf dem Papier: ,Da mein Sohn Anton
sein väterliches Erbteil schon ausbezahlt bekommen hat und noch vier-
tausend Gulden darüber ...' Schau dir's nur genau an."
„Ach was! Geh weiter mit deinem dummen Wisch. Da hast
ihn!" Mitten entzwei riß der Bruder das Papier und warf es der
Jungfer an den Kopf, daß die Katze erschreckt hinter den Ofen sprang.
„So? Also frech willst du auch noch werden, du elender Hader-
lump? Augenblicklich schau, daß du Weiterkommst."
Eine Weile stand Anton unschlüssig, dann nahm er seinen Hut und
schritt in den Nur. Als die Schwester nach dem Birkenbesen griff,
drohte er im Haustor noch einmal zurück: „Wart nur, du schwarze
Her, du!"
Da stand er draußen im hohen Schnee. Kaum konnte er durch
den dichten Wirbel sein stattliches Elternhaus sehen. Flau war ihm
zumute. Wehmütig betrachtete er den linken Stiefel, aus dem die
große Zehe hervorsah. Der Magen knurrte ihm, die Kehle war
trocken. Was sollte er tun? Zur Nanett gehen? Würde ihm die
nicht ebenso höhnisch die Tür weisen? Er stolperte durch das Gäßchen
und sah an des Färbers Haus empor. Zaghaft öffnete er den Laden,
die Glocke bimmelte.
Laura maß mit einer Elle Blaudruck ab. Einen kurzen Blick warf
sie auf die traurige Gestalt. Dann reichte sie ihm aus der Geldlade
eine kleine Münze: „Da, nehmen S' das."
Verwirrt murmelte Anton: „Ich möcht' die Nanett sprechen."
„Was haben S' g'sagt?"
„Mit meiner Schwester, der Frau Muhrland, will ich sprechen."
Zur Erleichterung Lauras erschien die Stiefmutter. Mehr er-
schreckt als erfreut rief sie: „Jesus Christus — Anton!"
„Ja, ich bin's. Kann ich einen Augenblick mit dir allein reden?"
Sie schien nachzudenken, dann erwiderte sie: „Komm mit mir
hinauf ins Schlafzimmer. Gelt, Laura, du schaust ein bisserl in die
Küche, daß die Susel nit zu früh das Brot in den Ofen schiebt?"
Neugierig sah das Mädchen der Mutter nach. Also das war der
seligen Frau Mahm einziger Sohn?
Unterdessen saß Nau Nani ihrem Bruder gegenüber. Er wollte
sprechen, aber die Zunge war ihm zu trocken; blaß und gebückt lehnte
er da. Es schien, als würde er jeden Augenblick noch weißer im Ge-
sicht. Ein schrecklicher Gedanke stieg in Nani auf. „Anton, ist dir
vielleicht nicht gut? Hast du Hunger oder Durst?"
Anton konnte nur mehr nicken.
Nani eilte hinweg. Bald kam sie zurück mit Eßwaren und einer
Flasche Wein.
 
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