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608

DasBuchfürAlls

Heft 26

treten und die angemaßte Gewalt nur zu Verbrechen benutzen. Wir
gehören zusammen! Wir wollen für die Freiheit kämpfen!"
Sie drängte sich, die Kienfackel zu Boden werfend, dicht an ihn
heran, sah ihn mit glühenden Blicken an und preßte seine Hand.
Er achtete kaum darauf, ganz von den Gedanken gebannt, in die sie
ihn hineingelockt hatte. Plötzlich kam es ihm zum Bewußtsein. Ent-
setzt und abgestoßen von dieser schamlosen Aufdringlichkeit, wollte
er sich losreißen. Doch wie von einer unsichtbaren Kette gefesselt,
hielt es ihn zurück. Da wurde er durch höhnisches Lachen aufgeschreckt.
Die Burschen von: Feuer waren herangekommen und umstanden mit
dummdreisten Mienen die beiden. Kiwi hatte die Kienfackel aus-
genommen, und sie Arwi dicht vors Gesicht haltend, sagte er mit
neidischem Grinsen: „Ich denke, wir wollen gehen und Maila holen?"
„Ja," rief Arwi, wie aus einem wüsten Traum erwachend.
Pryska schreckte mit wütenden: Blick auf Kiwi zusammen. Die
Gefahr erkennend, die ihr von diesem Erwachen drohte, wußte sie
sofort ihr zu begegnen. „Wen du liebst, den liebe auch ich," sagte
sie schnell. „Ich weiß ja, daß ihr dein Herz gehört, und will es ihr
nicht nehmen. Uns fesseln andere Bande. Bringt sie her; ich werde
sie pflegen wie meine Schwester."
Zweifelnd sah Arwi sie an. Aber noch halb im Rausch, sah er in
ihren Zügen nur Liebe und aufrichtige Güte, die sie heuchelte.
„Komm!" sagte er, ohne weiter darüber nachzudenken, was daraus
entstehen könne, winkte Kiwi, der in verbissenem Grimm am Ein-
gang stand, und verließ nut ihm die Höhle.
rst als Arwi wieder frische Luft um seine Schläfen wehen fühlte,
kam ihm zum Bewußtsein, was er in der Höhle wie im Traum
durchlebt hatte. Der Kopf schmerzte ihn, und es lag wie eine schwere
Last auf seiner Brust.
Der Mond hatte sich inzwischen noch mehr verhüllt, und über dem
Moor ballte sich schweres Gewölk zusammen, das, von einem frischen
Westwinde getrieben, in dunklen Fetzen an der schimmernden Mond-
scheibe vorüberhuschte. Zuweilen war es so dunkel, daß sie den
steinigen Pfad kaum zu erkennen vermochten.
„Weiß der Kuckuck, wenn du es nicht wärst," brummte Kiwi,
nachdem er einige Male gestolpert war, „einem anderen würde ich ins
Gesicht lachen, wenn er das von mir verlangte."
Ohne auf das Murren seines Begleiters zu achten, eilte Arwi un-
aufhaltsam vorwärts. Es trieb ihn zu Maila, als könne er in ihrer
Nähe den quälenden Druck loswerden, der auf ihm lastete. Und
doch bangte ihm davor, ihr gegenüberzutrcten, denn ihm war, als
müsse sie es ihm beim ersten Blick von der Stirn ablesen, daß er
sie verraten habe. Hatte er sie denn verraten? Liebte er sie nicht
noch ebenso wie sonst? Das, was ihn mit Pryska verband, war
ganz etwas anderes; sie selbst hatte das vorhin schon gesagt, es war
gemeinsame Begeisterung für die Freiheit, die sie zusammenführte.
Bei ihr fand er Verständnis für sein Streben, das er in Maila ver-
geblich zu wecken versucht hatte. Sie waren Freunde, Kameraden,
die Seite an Seite für die heilige Sache kämpfen wollten. Er sah sie
wieder vor sich stehen in ihrer Begeisterung, die ihn mit fortgcrissen
hatte, und suchte sich einzureden, daß alles, was zwischen ihnen vor-
gegangen war, nur diesem Gefühl entsprungen sei — bis Mailas reine
Gestalt dazwischentrat und alle Bemühungen, sich selbst zu betrügen-
zunichte machte. Er schämte sich vor sich selbst. War es so weit mit
ihm gekommen, daß er sich scheute, sein Unrecht einzugestehen? Ja!
Er hatte Maila verraten und war daran, einen neuen Verrat an ihr zu
begehen. Der Gedanke, sie zu der Fremden in die Höhle zu bringen,
kam ihm nun ungeheuerlich vor. Die Nebel im Moore waren schreck-
lich. Aber Pryskas Eifersucht würde zehnmal schrecklicher sein.
Mehrmals war er fest entschlossen, Kiwi zurückzuschicken und sich
für immer von allem loszureißen, was in der Höhle sich seiner be-
mächtigt hatte. Aber immer hielt ihn etwas davon zurück. Er fühlte
unheimliche, unbegreifliche Mächte in seinem Innern am Werke,
die stärker waren als sein Wille. Sie zogen ihn mit unwidersteh-
licher Gewalt zu Pryska zurück, und mit der brutalen Selbstsucht des
männlichen Instinktes wußte er alle Bedenken wieder zu verscheuchen,
die sich der Möglichkeit entgegenzustellen schienen, in Pryskas Nähe
zu sein, ohne Maila zu verlassen. Aber der Druck, der ihn beengte,
wurde dadurch nicht leichter. Noch nie in seinem Leben hatte er sich
so unfrei gefühlt; von allen Seiten drangen fremde Kräfte auf ihn
ein, die seine Entschlüsse hemmten und selbst seine Gedanken und
Empfindungen bestimmten; und wie der Schiffer, der im Strudel
die Gewalt über sein Fahrzeug verloren hat, fühlte er mit Entsetzen
die Unfähigkeit, sich dieser fremden Gewalten zu erwehren.

ndlich hatten sie den Heiligen Hain erreicht und wollten eben
am Rande des Waldes weitergehen, als sich von der nahen Brücke
her Wiehern und Pferdegetrappel vernehmen ließ. Mit einem Satz
war Kiwi im Gebüsch, während Arwi hinter einen Baumstamm trat,
um die beiden Reiter vorüber zu lassen, deren Gestalten sich jetzt
mehr und mehr von der Dunkelheit abhoben. In den: einen von
ihnen erkannte Arwi den flinken Johannes, der wohl nach der Kirch-
spielschenke von St. Brigitten reiten mochte, um dort über den
Sonntag Rast zu machen.
„Ja, die Leute in Kostifer," hörte er ihn aus den anderen ein-
schwatzen, „die führen jetzt ein lustiges Leben. Die habend ihrem
Verwalter gehörig versalzen. Es sind verdammt verwegene Burschen
darunter, und Arwi, gegen den wir vor vier Wochen den Fembries
herumgetragen haben, hat ihnen gründlich den Kopf verdreht. Reden
führt er — ich sage dir! Ich möchte nicht dabei gesehen werden,
wenn er schwatzt. Aber den Kostiferschen mag es dabei in den Ohren
geklungen haben, und ein Wunder ist>s da nicht, daß sie mal mit
Stjepan Julewitsch abgerechnet haben."
„WemLs ihnen nur gut bekommt," meinte der andere. „Am Mon-
tag tagt die Ritterschaft. Sie werden ihnen bald das Handwerk legen."
„Pah! Was wollen sie ihnen denn Großes anhaben?" sagte der
flinke Johannes wieder. „Alle können sie sie doch nicht hängen lassen!
Der Baron wird sich hüten! Es sind Leibeigene, also ein kostbares Gut!
Und der Branntwein, den sie ihm ausgetrunken haben, kommt davon
doch nicht wieder. Er wird einen anderen Verwalter hinschicken, und
damit basta!"
Arwi konnte nicht mehr verstehen, was Johannes dann noch
sagte, und gleich darauf waren die beiden Reiter im Walde ver-
schwunden. Mit klopfendem Herzen blickte er ihnen nach. Was
hatte er da gehört? In Kostifer hatten sie sich empört? Und er saß
untätig im Moor! Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. So schnell
als möglich mußte Maila in der Höhle in Sicherheit gebracht werden;
dann wollte er hinüber nach dem Gute. Noch bevor die Ritterschaft
etwas unternehmen konnte, mußte der Aufstand vorbereitet, mußten
die Nachbargüter gewonnen sein, denn nach dem, was jetzt geschehen
war, schien es ihm unmöglich, daß man ihnen gutwillig die Freiheit
geben würde. Jetzt mußten die Herren dazu gezwungen werden.
„Vorwärts, Kiwi!" rief er, hinter dem Baume hervorspringend.
„Jetzt gilt es!" «Fortsetzung folgt:
Besuch bei einer schwarzen Majestät.
Von Gräfin v. Katschuro.
enigen wird die Auszeichnung zuteil, Gast einer Königin im Herzen
des Schwarzen Erdteils zu werden, und noch wenigere lernten eine
Königin-Mutter kennen, deren Sohn glücklicher Gatte von vierhundert-
sünfzig Frauen ist, wovon zweihundert eigentlich seine Stiefmütter sind, denn
er erbte sie als Frauen nach dein Tode seines Vaters, der im Kampf mit dein ge-
waltigen Häuptling Banso gefallen und von diesem verzehrt worden war. Damit
sollten Tapferkeit und Weisheit des toten Helden auf die Person des Über-
winders Abergehen. Vor allem war Banso darum zu tun, den Verstand des
toten Feindes auf diese Weise zu gewinnen. Er ließ sich daher aus dem Schädel
des Gefallenen eine Schale machen, aus der er täglich seinen Palmwein trank.
Doch es gelang ihm nicht, denn der Sohn des Opfers hatte die Klugheit des
Vaters auf natürlichem Wege geerbt. Er Zog zu einen: Rachefeldzug aus,
tötete den Kannibalen und gewann seines Vaters Schädel wieder, der nun
zu Fumban in Banum feierlich beigesetzt wurde. Njoja — so hieß der Sohn,
der seinen Vater gerächt hatte — ist ein söhr kluger Neger, und wir beschlossen,
der schwarzen Majestät einen Besuch zu machen.
Als wir den Grenzfluß des Reiches Banum erreichten und über den Fluß
setzten, meldete sich am anderen Ufer bei uns ein Anführer des Häuptlings
Njoja, bis an die Zähne bewaffnet mit Speer, Schwert, Bogen und gefülltem
Köcher. Er war sozusagen als militärischer Begleiter kommandiert und sprach
ein verständliches Negerenglisch. Wir überschritten eine alte Befestigungs-
linie, bestehend aus Wall und Graben nach Art der alten Landwehren in Deutsch-
land. Diese Befestigung war drei bis vier Kilometer vor die nochmals mit
einer inneren Befestigung umgebene Residenz Fumban vorgeschoben. Nach der
Erzählung unseres Begleiters brachten sich in diesem weiten befestigten Lager
in früheren Zeiten die Einwohner der Landschaft Banum samt ihrer Habe
in Sicherheit, wenn der Angriff der Fullahs drohte, die vor der deutschen
Herrschaft im großen Stil Sklavenjagden betrieben. Da derartige Menschen-
räubereien nicht mehr möglich sind, ließ man die äußere Befestigung verfallen:
die innere befand sich noch in guten: Zustand. Von einer Höhe aus sahen wir die
Ortschaft vor uns liegen. Inmitten grüner Gärten, beschattet von Palmen-
hainen, erblickten wir die Strohdächer der Eingeborenenhäuser und an einer
Stelle eine Gruppe großer Häuser, den „Palast" des Herrschers. Wir hörten
dumpfes Summen, ähnlich dem Klang einer großen Glocke; unser Führer
 
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