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Heft 28

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657

Freude durchrieselte sein Blut. Er sah im Geiste sein Wert gelungen.
Förster befestigte ihm den Rucksack, der Sprengladung, Drähte und
Zündschnüre enthielt, auf den: Rücken. Stumm und wortlos
schüttelten sie sich die Hände. Bald war Hansen im Grau der Nacht
verschwunden.
Zackig und kantig hob sich vom Himmel die Masse bewaldeter
Höhen ab, auf die Hansen zusteuerte. Vorsichtig schritt er im tiefen
Schatten der Knicks hin, alle hundert Meter blieb er stehen und
lauschte. Nun stieg das Gelände an. Die Tragbänder des Ruck-
sackes schnürten, und Leutnant Hansen keuchte. Das Buschwerk
mehrte sich, und aus einem dünnen Gewirr kahler Zweige ragte
die Hügellinie auf, die der Tunnel an einer Stelle durchbohrte. Da

her; aus der angelehnten Tür tönten gröhlende, whiskyheisere
Stimmen zu Hansen herüber. Er hatte diese Strophen, die fort-
gesetzt wiederholt wurden, schon bis zum Überfluß aus den eng-
lischen Schützengräben irr Flandern klingen hören; es war das
Tipperarylied, in dem ein nach London gereister Irländer Sehn-
sucht nach seinem fernen Liebchen bekennt. Hansen hörte eine
melodische, wenrr auch schwankende Stimme den Gesang vortragen
und wartete die letzten Worte ab.
Nun wurde es stiller; man schien die trocken gewordenen Kehlen
für den nächsten Gesang anzufeuchten. Zwei dunkle Gestalten
traten aus der Tür, die sie krachend hinter sich zuschlugen, und ver-
schwanden links hinter dem Hause. Das Stimmengewirr im Hause,

Nach einem Gemälde von Hans Best. Sein letzter Feldpostbrief.


überfiel ihn plötzlich Müdigkeit, aber er durfte jetzt nicht versagen.
Mechanisch buchstabierend flüsterte er immer nur ein Wort, das
ihm nicht aus dem Sinn wollte. Neben dichten Sträuchern ließ ei
sich nieder und holte tief Atem. Von hier aus konnte er den Bahn-
damm übersehen. Eine Patrouille schlenderte schwatzend kaum
hundert Meter an ihm vorüber; er duckte sich unwillkürlich, niemand
bemerkte ihn. Auf allen vieren kroch er vorwärts, die Angst, über
irgend etwas zu stolpern, ließ ihn nicht aufrecht gehen. Vor ihm
blitzten silberweiß glänzend die Schienenstrünge im Mondlicht; hundert
Meter seitwärts gähnte die massige Schwärze des Tunnels aus dem
Felsen. Davor stand ein Doppelposten. Hansen kroch näher heran;
er mußte an ihm vorüber. Schweiß perlte von seiner Stirn, das
Gehirn arbeitete zum Zerspringen.
Abseits vom Bahndamm, auf einer Anhöhe, stand em niedriges,
mit Schindeln gedecktes Häuschen. Es schien für die Ablösungs-
mannschakten der Tunnelwache bestimmt zu sein. An den matt-
Lrleuchteten Scheiben bewegten sich fortwährend Gestalten hin und

und das Lachen währte fort; einer der Soldaten hatte offenbar
einen guten Witz gemacht.
In der Ferne erschienen auf den Geleisen die feurigen Lichter
eines herannahenden Zuges; sein Geräusch übertönte das Gespräch
der beiden Posten. Hansen durchzuckte ein Gedanke: er mußte mit
dem Zug zugleich in den Tunnel gelangen! Deutlich sah er die
blendenden Lichter der Lokomotive vielleicht noch zweihundert Meter
von sich entfernt; sie wurden größer und Heller. Jetzt glitten sie
blendend über den Platz, auf dem Hansen zusammengekauert lag;
unwillkürlich rollte er sich tiefer auf der Erde zusammen. Als die
Lichtflut des hier langsamer fahrenden Zuges vorbeigehuscht war,
kroch er so dicht als möglich heran; die beiden Wachleute, keine Ge-
fahr verinutend, waren zusammen auf die andere Seite des Geleises
getreten. Fauchend und polternd verschwand der Zug im Tunnel;
Leutnant Hansell bog schnell mit ihm hinein. Als sich der hinge-
lagerte Rauch zerteilte, befand er sich schon hundert Meter tief im
Tunnel. Die Luft war modrig, feucht; in Strömen rann der Schweiß
 
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