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Einleitung.

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Die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts ist entschieden für Erfurt die Zeit der
höchsten Bltithe des Wohlstandes und der Gipfelpunkt seiner politischen Macht
gewesen. Der Aufschwung des Handels und der Gewerbsamkeit hatte seinen
Eintritt in den Hansabund herbeigeführt. Es bildete den Hauptsitz des Waid-
handels, dessen Absatzgebiet, bis zu seiner Verdrängung durch den Indigo, ganz
Europa umfasste und war einer der bedeutendsten Stapelplätze auf der grossen
Handelsstrasse vom Morgenlande über Venedig in die nördlichen und nordöstlichen
Länder Europas.
Die Hoheitsrechte der Erzbischöfe von Mainz waren, selbst innerhalb des
städtischen Weichbildes, namentlich seitdem auch die Ausübung des Münzrechtes
1354 auf die Stadt übergegangen war, auf ein Minimum herabgesunken; sie hatte
aber auch einen sehr ausgedehnten auswärtigen Grundbesitz, in betreff dessen sie,
wenn auch nicht überhaupt vollkommen unabhängig, dies wenigstens von den
Erzbischöfen war. Es waren dies insbesondere die sehr erheblichen, den thüringisch-
sächsischen Dürsten lehnpflichtigen Besitzungen, die Herrschaften Vieselbach,
Schloss Vippach, Vargula, die Grafschaft an der Schmalen Gera u. s. w. Die
gräflich Gleichenschen und die Fuldaschen Lehne mit der Stadt Sömmerda
u. dergl. m. Durch den Erwerb der Herrschaft Kapellendorf trat die Stadt 1352
in die Reihe der reichsunmittelbaren Stände, war als solcher nur dem Kaiser
unterthan und berechtigt in den Conventen der Territorialherren ihren Sitz ein-
zunehmen. Wie bedeutend das Kämmereivermögen damals war, und wie wenig
die fortwährenden Kriege die finanzielle Kraft der Gemeinde zu schwächen ver-
mocht hatten, zugleich aber in welchem Wohlstände sich die Bewohner befanden,
geht am besten daraus hervor, dass der Rath z. B. 1400 um alle städtischen Aus-
gaben zu bestreiten an Geschoss nur 6 Pfennige von der Mark löthigen Silbers
des Einkommens zu erheben brauchte und der Ertrag von jenem sich doch auf
die für jene Zeit gewiss sehr ansehnliche Summe von 34,166 x/2 Reichsthalern be-
laufen hat. Aus eignen Mitteln hatte die Stadt 1378 — 1392 eine Universität zu
gründen vermocht, die erste in Europa, welche alle vier Fakultäten in sich ver-
einigte, die erste und fast einzige Deutschlands, welche von einer Gemeinde dotirt
wurde, die fünfte in diesem Lande überhaupt, die in kurzem eine der berühmtesten
und besuchtesten Stätten der Wissenschaft ward, deren Zuhörerzahl bald nach
Tausenden zählte. Erfurt galt damals für die dem Umfange nach grösste Stadt
Deutschlands und wenn seine Einwohnerzahl auch nicht, wie oft behauptet ist, 80,000
erreicht hat, so kann man doch annehmen, dass sie zur Zeit seiner höchsten
Blüthe wohl 50,000 betragen haben mag. (Tettau, Beiträge zur vergleich. Topo-
graphie und Statistik von Erfurt S. 199.) Ein russischer Patriarch, Grieche von
Geburt, der sich 1435—1438 durch Deutschland nach Italien begab, und die Be-
schreibung dieser Reise hinterlassen hat, erklärt: dass Erfurt sowohl durch die
Zahl seiner Bewohner, wie seiner trefflichen steinernen Gebäude und seines Reich-
thums an Waaren aller Art, insbesondere auch durch seine künstlichen Wasser-
ieitungen unter allen Städten Deutschlands hervorrage. (Karamsin, Gesch. v. Russ-
land Th. V, S. 229.)
Dass die oben geschilderten Verhältnisse von sehr wesentlichem Einfluss auf
die Bauthätigkeit gewesen sein müssen, leuchtet ein. „Die Hauptepochen der
Stadt,“ sagt Benicke (Erfurt und die Erfurter, Thüring.-Erfurt. Gedenkbuch der
 
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