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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0049

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Die Marienkirche.

33

Um allzu lästige Wiederholungen zu vermeiden wurde die Beschreibung des ganzen Baues der bau-
geschichtlichen Untersuchung vorangeschickt, da diese auf Wahrnehmungen an den verschiedensten Stellen be-
gründet werden muss. In der Baubeschreibung erhält jeder Haupttheil des Baues einen besonderen Abschnitt,
ist also leicht aufzufinden.

Die geometrischen Darstellungen auf den Tafeln 45—50 sind Reproduktionen der in natürlicher
Grösse von Professor H. v. Schmidt in München bei der Herstellung des Baues im Jahre 1877 aufgenommenen
Zeichnungen, von denen nur der Grundriss dem Zwecke des Inventars entsprechend von mir umgezeichnet
werden musste. Die Tafeln haben den Massstab von 1 zu 150.

Die photographischen Ansichten konnten leider nicht alle charakteristischen und höchst malerischen
Architekturbilder wiedergeben, welche der reich gruppirte Bau auch in den engen Strassen bietet, da eine
unverständige Bepflanzung der nächsten Umgebung mit grossen Bäumen, wie so oft gerade die wirksamsten
durch Verdeckung von Haupttheilen verdirbt. Den schlimmsten Fehler in dieser Beziehung hat man jedoch
beim Bau der landwirtschaftlichen Schule begangen. Wäre diese auf dem disponiblen Terrain thunlichst
zurückgelegt worden, so hätte man für die Betrachtung und Aufnahme der Nordseite einen ganz vorzüglichen
Standpunkt gewinnen können.

Das Aeussere.
Der Westthurm.

Der massive Westthurm von annähernd quadratischer Grundfläche, steigt in sechs nach oben an Höhe
wechselnden Geschossen auf, welche durch Gesimse von verschiedenem Profil getrennt werden. Das unterste
Geschoss ist das höchste, und wird nach Westen, Norden und Süden von unprofilirten, nur an der Laibung
mit Kämpfergesimsen versehenen rundbogigen Thüren, ohne Falz oder irgend andere Spuren eines Verschlusses
durchbrochen. Die westliche Bogenöffnung, erheblich grösser als die seitlichen, ist mit einem eingesetzten Holz-
rahmen zum Verschluss nachträglich eingerichtet.

Wie die Mauerstärken der einzelnen Geschosse abnehmen, dass die Mauern eine leise Böschung
zeigen J) etc., ist aus Tafel 49 ersichtlich. Das letzte Geschoss trägt mit massiven Giebeln ein stumpfes
Rhombendach, dem schon frühe ein Dachreiter aufgesetzt ist, in welchem die kleinste und älteste Glocke der
Kirche als Uhrglocke hängt.

Die Fenster des Thurmes sind unten kleine und rechtwinklig eingeschnittene in dem vierten Geschoss abge-
fasste Rundbögen2), und in den beiden Obergeschossen und den Giebeln gekuppelte Rundbögen in Blenden mit ver-
schieden gebildeten Mittelsäulchen. Die Details dieser Fenster und die Geschossprofile (vgl. die Tab. 46, 49 und be-
sonders 51, sowie die photographischen Ansichten Tab. 52 u. 55) lassen erkennen, dass das oberste Geschoss einer —
wenig späteren — Erhöhung angehören muss, wobei zum Vergleich die am wenigsten restaurirten östlichen Arkaden
zu benutzen sind. Auch das vorletzte Geschoss hatte früher nach Osten ein Doppelfenster, welches jetzt ver-
mauert innerhalb des Dachraumes des Schiffes liegt, während seitlich eine Zugangsthüre gebrochen ist (cf,
Taf. 49). Alle Gesimse des Thurmes laufen auf der Nord-, West- und Südseite durch, liegen also zum Theil
jetzt innerhalb der Seitenschiffe resp. deren Dächer. Das dritte von unten läuft aber sogar auf der Ostseite
her, und ist, ohne Spur einer nachträglichen Beseitigung, hinter der Orgel in der Mitte auf eine kurze Strecke
unterbrochen, während das folgende unter dem Dachraum und unterhalb des vermauerten Fensters vollständig
erhalten ist. Bemerkenswerth ist das über dem Westeingang gelegene Fenster mit einem Vierpass und un-
behülflichem3) agnus dei in Relief, welches im Styl auffallend den Bogeufelderu der Burg (Tab. 38 u. 39) ver-
wandt erscheint. Das Erdgesehoss ist mit einem Tonnengewölbe bedeckt, in dessen Scheitel erst 1877 eine
Oeffnung zum Aufziehen von Glocken etc. angebracht wurde.

Mittel- und Seitenschiffe.
An diesen Thurm stösst ohne Verband die Westwand der Kirche, welche unten von einem einfachen
Portal durchbrochen wird. Wie Tab. 59 und 59 a zeigen, sind die Formen desselben, von der unbehülflichen
Ausführung abgesehen, erlieblich ältere als an irgend einem anderen der Geinhäuser Bauten. Die oberen Theile
allein sind ganz im alten Zustand erhalten, Säulenstämme und Basen aber fast vollkommen erneuert. Gewölbe
und Portal sind nicht concentrisch. Die Westwand setzte sich vor der Restauration im Jahre 1877, wie

J) Vergl. auch den Thurm von Niedermittlau.

8) Nach Süd und Nord vermauert, aber im Innern erhalten.

3) eine Hostie haltendem
 
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