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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0055

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Die Marienkirche.

37

Die Nebenapsiden.

Schlichte, unprofilirte, wie die Mittelschiffarkaden abgetreppte und mit einfachen Kämpfergesimsen von
dem älteren Profil versehene Spitzbögen führen in die Nebettchöre und darüber liegen unprofilirte Rundbogen-
thüren zu den unteren Geschossen der Chorthürme.

Die Mauermassen der Apsiden sind beiderseits durch Rundbogenblenden gegliedert, welche das Kämpfer-
profil der alten Westthüre tragen. Ein schmales Kreuzgewölbe und eine Halbkuppel zwischen kräftigen Gurten
deckt den Raum, die Ueberführung in die Achteckseite geschieht aber in ähnlicher Weise wie bei dem Mittel-
thurm, erst in dem nächst höheren Stockwerk. Alle Chorräume sind nur um vier Stufen über das Schiff erhöht.

Der Hauptchov.

Das annähernd quadratische Joch desselben wird von dem pohgonen Chorschuss durch einen Jochbogen
getrennt, dessen Stützen im Kern genau dem östlichen Vierungspfeiler entsprechen. Um denselben ist aber
für jedes Glied der Gewölbe als Träger ein besonderer Dienst gesetzt, welcher durch umgekröpfte Gesimse
und Schäftringe zweimal mit dem Kern verbunden wird. In gleicher Weise sind die Stützpunkte in den
Polygonecken behandelt. Die Wandflächen sind in dem unteren Theil rings mit reichgegliederten, gekuppelten
Kleebogenblenden besetzt, deren Mittelstütze an den Polygonseiten zierliche Säulchen, an den Langseiten herr-
liche, tiefdurchbrochene Consolen bilden. Tafel 70, 72, 74, 75, 76—78 machen jede nähere Beschreibung
überflüssig. An den Polygonecken gehen nur die starken Dienste der Kreuzrippen bis zum Boden herab, die der
Schildbögen setzen auf das umlaufende Kafsims mit Sockeln und Rasen auf, und über den Cäpitälen der
Schildbogendienste kragt ein staffeiförmiger Bogenfries aus, um das Profil des kräftigen, aber gegen den Durch-
messer der Dienste flachen Schildbogens soweit vorzurücken, dass er auch an den schrägen Flächen für das
Auge als Fortsetzung des Dienstes erscheint. Gleichzeitig wurde dadurch die obere Mauermasse dem Gewölbe-
schub entgegengestellt. Die Gewölbe haben gleiche Gliederung an Rippen und Gurten wie das Querschiff.
An dem ringförmigen Schlussstein des Chorquadrates ist ein Kranz aus beiderseits mit Plättern besetzten
Weinreben, an dem des Chorhauptes ein agnus dei ausgehauen.

Die Wände des Chorquadrates haben unter dem durchlaufenden Kafsims gleiche Blendarkaden wie
der Chorschluss, die aber hier auf Consolen ruhen, und darüber zur Belebung der andernfalls störend kahlen
Wandflächen eine zweite noch reicher gegliederte Bogenstellung, welche in gleicher Fläche mit der unteren
liegt, sodass hier das Schildbogenfeld des Gewölbes zurücktritt, nicht wie am Chorschluss ausgekragt ist. Ein
Gesims von dem Profil des dort aufsteigenden Rundbogenfrieses schliesst die Blendenstellung ab, und zwar so
unorganisch gegen die Capitäle laufend, dass ein äusserer zwingender Grund den sonst so feinfühligen Meister
des Chores zu dieser Lösung veranlasst haben muss. In der Baugeschichte wird bei Schilderung der vierten
Bauperiode dies näher erörtert.

Es ist hervorzuheben, dass im Chor alle eckblattlosen Basen ein gedrücktes, überquellendes, attisches,
die Schaftringe ein tief unterschnittenes, vielgliedriges, die Kelchcapitäle ein sehr schlankes, und deren Deck-
platten ein mit scharfer Kante versehenes Profil durchweg besitzen. Diese sind auf Tab. 51 unter C 1. 2.
u. s. w. dargestellt.

Das Ornament an Cäpitälen und Consolen zeigt in unerschöpflichem Wechsel Formen, welche zum
Theil noch an den romanischen Ductus erinnern, dann völlig conventioneil stylisirt, zum Theil aber auch natur-
wahr behandelt sind. Bei den Cäpitälen herrscht eine entschiedene Ausbildung der weit ausladenden, in zwei
Reihen angeordneten Knospen vor, bei den Consolen jedoch ergeht sich der Meister in reich verschlungenem,
ganz frei gearbeitetem, mit Thier- und Menschengestalten belebtem Rankenwerk von höchster Vollendung in
Erfindung wie Ausführung.

Die Gesammtwirkung des Chorinnern und das Detail desselben ist auf den Tab. 72—75, sowie auf
dem Längschnitt Tab. 48 zur Darstellung gebracht. Die in demselben befindlichen festen und mobilen Aus-
stattungsstücke werden in der Folge in einzelnen besonderen Abschnitten behandelt, während die ehemals vor-
handene Wandmalerei in dem Abschnitt „Herstellung der Marienkirche" am zweckmässigsten zur Sprache kommt.

Die reiche Gliederung der unteren Wandfiächen ist sicherlich (hier wie anderwärts) ursprünglich nicht
lediglich durch ein ästhetisches Bedürfniss veranlasst, sondern hatte zugleich einen wichtigen praktischen Zweck.
Es ist kein Zufall, dass Chorstühle zumeist erst im Laufe des 13. Jahrhunderts nachweisbar, ältere von der
allergrössten Seltenheit sind. Da die Blenden mit ihren ca. 40 cm hohen Sohlbänken keine ordnungsmässige
 
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