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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0059

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Die Marienkirche.

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Thurmes, unter dem jetzigen nördliches Seitendach gegen den Thurm anlaufenden Rundbogenfrieses er-
halten' "hat (cf. Baubeschreibung und Tab. 51). Dieser Fries bezeichnet die Dachhiihe des neuen Mittelschiffes,
dessen Giebel demnach eben gerade noch die alten Schallöffnungen des Thurmes in dessen fünftem und damals
letztem Geschoss freiliess1). Diesem breiten und niedrigen Mittelschiff entsprachen Seitenschiffe von ähnlichem
Verhältniss, welche offenbar in den unteren Theilen der jetzigen Seitenschiffmauern mit ihren kleinen, tief
liegenden Fenstern auf uns gekommen sind.

Damals scheint auch bereits das Querschiff mit Seitenapsiden in entsprechender Weise angelegt zu sein,
wie Mauerabsätze sowohl nach dem Innern der Seitenschiffe, als an den Giebelseiten des Querhauses, auch die
bescheidene Technik und Grundform der Nebenapsiden (Untertheile der Seitenthürme) und die Profile der niedrigen
YVandblendon in letztern, welche den Thurmgesimsen verwandt sind, anzudeuten scheinen. Nach den geringen
Sculpturresten an den Consolen des Rundbogenfrieses muss dieser Hau, dessen Portale und andere Schmuck-
tlieile durch spätere verdrängt sind, von einem untergeordneten Steinmetzen errichtet sein.

Dritte Periode.

Im Anfang des 13. Jahrhunderts genügte dieser Bau der inzwischen zu Woldstand gelangten Bürger-
schaft nicht mehr. Es wurde ein abermaliger Umbau, insbesondere eine erhebliche Erhöhung der Schiffe —
bis zur gegenwärtigen Höhe — durch einen Meister ins Werk gesetzt, welchem die neuen Constructionselemente
bereits geläutig waren.

Von dem Mittelschiff blieb nur die alte Westwand bestehen. Die Längswände des Schiffes mit
spitzbogigen Arkaden wurden offenbar von Grund aus neu errichtet. Die Arkaden haben jetzt als Träger der
Blendbögen zierliche Säulchen mit reichen Knospencapitälen und Schaftringen, deren Deckplatten und Eckblatt-
basen mit den gleichprofilirten Kämpfern und Sockeln der Pfeiler in regelrechtem Verband stehen. Diese haben
das an allen Theilen dieser Periode verwendete, auch an dem Kloster, Spital und der Peterskirche vorherrschende
Profil (Tab. 51 bezw. 105, 114, 115, 116), welches überdies auch an den Kapitalen der Burg mit fast gleichem
Zug wiederkehrt. (Tab. 27, 28, 35—37 besonders).

Da nun die Kapitale völlig denen der Chorparthie gleichen, Eckblattbasen dort nicht mehr vorkommen,
Capitäle wie Schaftringe jedoch nicht wie es ordnungsmässig an allen anderen Theilen des Baues der Fall
ist, den betreffenden Quaderschichten deren Höhe bedingend angearbeitet sind, sondern mit Einklinkungen und
breiten Mörtelfugen ausnahmslos eingesetzt erscheinen, so muss angenommen werden, dass der Meister der
vierten Periode diese Theile ausgewechselt hat, ähnlich wie es an der nördlichen Nebeuthüre der Fall zu
sein scheint.

Das Querschiff erhielt die jetzige Höhe, und wurde auf den Giebelseiten mit je drei grossen, schlicht
profilirten, und mit masswerkartigen Füllungen ausgesetzten Bosen versehen. AVie die Querschiff-Portale
damals gestaltet gewesen, lässt sieh nach ihrem späteren Umbau nur vermuthen (cf. folg. S.). Das nörd-
liche der Seitenschiffe wurde bis zur Westflucht des Thurmes verlängert, und laude mit dem noch vorhandenen
Spitzbogenfries versehen. Als Beleg für den damaligen Abschluss der Seitenschiffe hat sich an der West-
wand des nördlichen Querschiffes ein wenige Centimeter vorspringendes Stück Dachsims erhalten mit demselben
Profil, wie an den übrigen Theilen dieser Periode (Tab. 51). Schon damals vielleicht wurde ein etwas weniger
hohes Oberstockwerk angelegt, wie die Lisene an der Nordwestecke zu beweisen scheint, welche erst 1446 mit
einem Wasserschlag in die Mauerfläche übergeleitet wurde. Auch das Mittelschiff und Querschiff müssen damals
unprofilirte Spitzbogenfriese erhalten haben, wie mit grosser Wahrscheinlichkeit daraus geschlossen werden kann,
dass die jetzigen profilirten Rundbogenfriese höchst unorganisch am Querschiff (Tab. 55 und 47) auf den unprofi-
lirten kurzen Lisenenstücken aufsetzen, welche ihrerseits mit einem ganz überflüssigen Rücksprung auf den Eck-
strebepfeilern stehen, während am Chor und den Ohorthürmen die Gliederung der Bögen ordnungsmässig an den
I.'senen herabläuft. Von Details ist aus dieser Periode ausser den schönen Consolen des Bogenfrieses (soweit
sie nicht älter oder jünger sind, wie in der Baubeschreibung bereits angedeutet isti das charakteristische süd-
liche Nebe n portal erhalten.

Im Innern des Querschiffes gehören zunächst die hohen Eingangsbögen der Seitenchöre, welche mit
ihren rechtwinklig abgesetzten Blendbögen und einfachen Karniesgesimserj ganz der für die Schiffarkaden ange-

') Das in der Fussnote p. 32 erwähnte Protokoll hat übersehen, dass in «lein oberen Theö1 der Thurm getüncht ist. die
erhöhte Westwand rauh war, «eil man eben ein zweites Baustadium noch nicht kannte, und die Beobachtung erst machte, als der
Abbruch an den ältesten Theilen angelangt war.

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