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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0123

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Das jetzige Rathaus.

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treten hatten. Die 1672 genannte „Renthstube" dürfte dann in dem Anbau C gelegen haben, und I) könnte
die „Achterstube" sein, welche auch „Balletstube" heisst, und in welcher Untersuchungsgefangene untergebracht
wurden (Protokoll von 1640 und 54).

Bei der Herstellung nach dem Brand erhielt der Bau das Mansardendach mit dein Thürmchen, die
Marktseite einen Balkon mit gusseisernem Gitter, die Thore Flügel mit interessanten getriebenen Beschlägen
(Stadtwappen) und für die grossen Kastenöfen wurden zwei reichprofilirte steinerne „Kaminlöcher" (cf. Plan)
eingebaut. Auf Tab. 16 ist die im Uebrigen sehr ungenaue auch den Balkon nicht vollständig gebende Zeich-
nung Hundeshagens reproducirt, um die charakteristische Anlage der umlaufenden Schutzdächer, des Ziehbrunnens
und der Halseisen u. dgl. zu belegen. Das Thürmchen erhielt Glocken, welche wahrscheinlich aus der Bar-
füsserkirche stammen, und von denen die grösste dort in dem Dachreiter gehangen haben wird, während die
beiden kleineren wahrscheinlich erst nach dem Abbruch der Kirche mit der Uhr hierher kamen.

Die grosse Glocke hat 0,52 Durchmesser, 0,45 Höhe und trägt am Hals zwischen gedrehten Fäden
in Majuskeln des 14. Jahrhunderts die Inschrift:

AABCDEFGHIKLMNOPQRSTVVXYZ o f.
also das Alphabeth, und ein aus der Reproduktion der Abformung auf Tab. 180 ersichtliches, hier mit o an-
gedeutetes Zeichen. Die Inschrift ist mit circa 2 mm starken geformten Wachsbuchstaben modellirt1).

Die mittlere Glocke hat 0,40 Durchmesser und 35 Höhe und zwischen schmalen Kiemchen in lateinischen
(irossbuchstaben die Inschrift:

CHRISTOPH TALLER GOS MICH IN MINCHEN,
unter der Inschrift läuft ein schöner Ornamentfries und unmittelbar darunter auf dem Feld ist das Brustbild
eines Bischofs, darunter die Zahl 1704 angebracht.

Die kleinste Glocke hat circa 0,32 Durchmesser, 0,29 Höhe und keine Inschrift, dagegen auf dem Feld
eine kleine zierliche Kreuzigungsgruppe, welche offenbar mittelst des Abgusses eines Schmuckstückes hergestellt
ist. Sie besteht aus einem Crucifix mit Dreipassenden, dessen Kanten mit Ornamenten besetzt sind, und von
dessen Unterbalken geschweifte Stengel abzweigen, auf dem die Figürchen von Maria und Johannes stehen.

Von älteren Ausstattungsstücken hat sich nichts im städtischen Besitz erhalten. Dagegen ist ein
schöner Broncestempel des grossen Stadtsiegels aus dem 13. Jahrhundert zu unbekannter Zeit in Privat-
besitz gelangt, und bei der Versteigerung der Collektion Garthe zu Cöln von dem Consul Becker zu Geln-
hausen erworben worden, dessen Familie ihn noch besitzt. Der älteste nachweisbare Abdruck desselben findet
sich auf einer Urkunde von 1244 (Urk. I, p. 175). Die Abbildung auf Tab. II Nr. 15 des hanauischen
Urkundenbuches ist nach einem Gypsabguss desselben hergestellt, ebenso, die auf dem Vorsetzblatt dieser
Schrift befindliche2).

') Zur Herstellung solcher geformter Wachsbuchstaben gab es viele Methoden, von denen einige auch in dieser Schrift er-
erläutert werden. In vorliegendem Fall dienten augenscheinlich hierzu Stechformen aus Blech, von der Einrichtung wie sie noch
heute zum Ausstechen von Zuckerwerk gebräuchlich sind. Mit denselben wurden die Buchstaben aus einem dünnen Wachskuchen aus-
gestochen und auch aufgesetzt, indem man sie mit der Form in eine dünne Schicht Terpentinöl tauchte und mit feinen Hölzchen aus
der nach Innen zugeschärften, vorher mit Wasser befeuchteten Form auf das Wachshemd ausdrückte. So erklärt es sich, dass es
möglich war, die oft feinen freien Ausläufer der Buchstaben unverzerrt aufzubringen, aber auch dass die Buchstaben verschieden
schön ausfielen, je nachdem die Herstellung und Erhaltung der Stechform durch deren Gestalt begünstigt wurde, was bei ge-
schlossenen rundlichen Buchstaben der Fall war, während solche mit geraden freien Theilen oft auffallend roh und verzerrt er-
scheinen. Wenn ein Formschneider die Form aus Metall oder Holz geschnitten hat, sogar wenn sie flüchtig in weiches Material
gravirt erseheint (cf. pag. 55), ist ein solcher Unterschied nicht zu bemerken, während dann durch Vermengung von Buchstaben
verschiedener Alphabete wieder Ungleichheiten verursacht werden können. Ein jeder Fall bedarf eben einer besonderen Unter-
suchung und Erklärung.

-) Neben diesem Siegel führt die Stadt, von 1352 an nachweisbar (Urk. II, 70), ein kleines Sekret, welches fast genau die-
selbe Darstellung zeigt und ziemlich gleich alt zu sein scheint wie das grosse. Dasselbe musste dreimal neu geschnitten werden
und ändert sich dabei dem Zeitgeschmack entsprechend unter Beibehaltung der alten Darstellung. Der erste Nachschnitt taucht
1474 auf, der zweite 1631, der dritte 1642. Letzter blieb bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts in Gebrauch. Die Stempel sind
sämtlich verloren gegangen. Daneben bestand ein Rathsdeputationssiegel, wohl das Schultheissenamtssiegel mit dem Stadtwappen,
von dem mehrere Varianten aus den Jahren 1608, 1639, 1655 nachweisbar sind. Dies bestand aus dem doppelköpfigen Adler, auf
dem Herzschild einen schwarzen Balken in weissem (silb.) Feld wie aus der Beschreibung des Bechers hervorgeht, den die Stadt
dem Pfalzgrafen Ludwig 1576 verehrte, auf dessen Boden es emailliert war (Copialbuch (?) von 1672, Stadtarchiv Gelnhausen und
Jungh. p. 303). Solche Adler waren an den Thoren gemalt, auch wurde 1864 auf dem Eis ein Fass verfertigt, das mit dem gleichen
Wappen aus Blech ausgehauen verziert war (Rathsprotokoll dieses Jahres). Der blosse Herzschild ist über beiden Rathausthoren
eingemeiselt. Neuerdings hat man historisch ungenau das alte „Barbarossasiegel", an dessen Entstehung eine lächerliche Sage ge-
knüpft wird, als Stadtwappen angenommen.

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