13. Jahrhundert: Westminster
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Selbständigkeit bewahren. Ein Dienst und ein Bogen können nicht nahtlos
ineinander übergehen, weil tragender und lastender Teil getrennt werden müssen.
Da sie an die Stelle des Wandvolumens treten, sind sie wandhafte Formen; das
französische Dienst-Bogen-System dagegen entfaltet sich hauptsächlich vor der
Wand. Deshalb sind in England Arkaden, Emporen und Fenster einander gleich-
berechtigt. Die Addition der Teile wird hier zum Hauptmerkmal. Auch der
Außenbau baut sich hier aus klar begrenzten eckigen Kuben auf. — Zusam-
menfassung. — Grundzüge in Salisbury sind also: Betonung der Horizon-
talen, Übereinstimmung von konstruktiver Form und Erscheinungsform, Selb-
ständigkeit der Einzelform innerhalb des gesamten Aufrisses und Wandhaftig-
keit der Formen.
Westminster. — Die Abteikirche von Westminster, 1245 von Henry de T. 2
Reyns begonnen, steht der französischen Tradition viel näher. Für den Grund-
riß und Aufriß des Chores mit dem polygonalen Schluß und den Chorkapellen
dienten offensichtlich Reims und Amiens als Vorbild3. Auch die steilen Raum-
proportionen von Westminster weisen auf die französischen Bauten. Der Aufriß
indessen läßt eine allgemeine Anlehnung an die französischen Vorbilder nur
wenig erkennen. Arkaden mit freistehenden Purbeckdiensten, in jedem Joch dar-
über zwei Emporenöffnungen mit verdoppelten Bogenstellungen und große
Fenster als Obergaden folgen — mit Ausnahme des Fenstermaßwerks — der
einheimischen Tradition. Die Bedeutung des Dienst-Bogen-Systems am Gesamt-
aufriß ist viel kleiner als bei den französischen Bauten. Dienste steigen vom
Boden zum Gewölbe auf, zwei kleinere Dienste begleiten einen Hauptdienst
jeweils nur vom Säulenkapitell bis zum Gewölbekämpfer, aber sie haben nicht
einmal Basen und Kapitelle, sind also nicht gegen die Diagonalrippen abge-
grenzt. Erst Henry Yvele, der Vollender des Langhauses hundert Jahre später,
war in diesen scheinbar nebensächlichen Details genauer als sein Vorgänger
Meister Henry de Reyns. Er zeigte sich als besserer Kenner der französischen
hochgotischen Kathedrale, indem er an den Diensten der Diagonalrippen Basen
und Kapitelle hinzufügte. — Auch sonst ist im Chor und Querschiff das abge-
stufte System durchbrochen. Die beiden Emporenbögen stehen noch allein als
mittlere, horizontale Schicht des dreiteiligen Aufrisses. Schon die Tatsache, daß
an die Stelle des in Frankreich üblichen Triforiums Emporen getreten sind, weist
auf die Tradition der englischen Architektur hin. Bis zum Ende des 14. Jahr-
hunderts wurden Emporen noch beibehalten (York, Chor). Die Obergaden-
fenster verwenden schon den Reimser Maßwerktypus — eine Kreisfigur über
zwei Spitzbogen —, lösen ihn aber aus dem Zusammenhang der anderen Dienste,
denn die Fensteröffnungen sind kleiner als die Stichkappen des Gewölbes. Zu
beiden Seiten jedes Fensters bleiben schmale Wandstreifen übrig. Die Arkaden-
pfeiler sind mit freien Purbeckdiensten umstellt und bleiben selbständige Ein-
Lethaby, 1925, p. 46 ff.
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Selbständigkeit bewahren. Ein Dienst und ein Bogen können nicht nahtlos
ineinander übergehen, weil tragender und lastender Teil getrennt werden müssen.
Da sie an die Stelle des Wandvolumens treten, sind sie wandhafte Formen; das
französische Dienst-Bogen-System dagegen entfaltet sich hauptsächlich vor der
Wand. Deshalb sind in England Arkaden, Emporen und Fenster einander gleich-
berechtigt. Die Addition der Teile wird hier zum Hauptmerkmal. Auch der
Außenbau baut sich hier aus klar begrenzten eckigen Kuben auf. — Zusam-
menfassung. — Grundzüge in Salisbury sind also: Betonung der Horizon-
talen, Übereinstimmung von konstruktiver Form und Erscheinungsform, Selb-
ständigkeit der Einzelform innerhalb des gesamten Aufrisses und Wandhaftig-
keit der Formen.
Westminster. — Die Abteikirche von Westminster, 1245 von Henry de T. 2
Reyns begonnen, steht der französischen Tradition viel näher. Für den Grund-
riß und Aufriß des Chores mit dem polygonalen Schluß und den Chorkapellen
dienten offensichtlich Reims und Amiens als Vorbild3. Auch die steilen Raum-
proportionen von Westminster weisen auf die französischen Bauten. Der Aufriß
indessen läßt eine allgemeine Anlehnung an die französischen Vorbilder nur
wenig erkennen. Arkaden mit freistehenden Purbeckdiensten, in jedem Joch dar-
über zwei Emporenöffnungen mit verdoppelten Bogenstellungen und große
Fenster als Obergaden folgen — mit Ausnahme des Fenstermaßwerks — der
einheimischen Tradition. Die Bedeutung des Dienst-Bogen-Systems am Gesamt-
aufriß ist viel kleiner als bei den französischen Bauten. Dienste steigen vom
Boden zum Gewölbe auf, zwei kleinere Dienste begleiten einen Hauptdienst
jeweils nur vom Säulenkapitell bis zum Gewölbekämpfer, aber sie haben nicht
einmal Basen und Kapitelle, sind also nicht gegen die Diagonalrippen abge-
grenzt. Erst Henry Yvele, der Vollender des Langhauses hundert Jahre später,
war in diesen scheinbar nebensächlichen Details genauer als sein Vorgänger
Meister Henry de Reyns. Er zeigte sich als besserer Kenner der französischen
hochgotischen Kathedrale, indem er an den Diensten der Diagonalrippen Basen
und Kapitelle hinzufügte. — Auch sonst ist im Chor und Querschiff das abge-
stufte System durchbrochen. Die beiden Emporenbögen stehen noch allein als
mittlere, horizontale Schicht des dreiteiligen Aufrisses. Schon die Tatsache, daß
an die Stelle des in Frankreich üblichen Triforiums Emporen getreten sind, weist
auf die Tradition der englischen Architektur hin. Bis zum Ende des 14. Jahr-
hunderts wurden Emporen noch beibehalten (York, Chor). Die Obergaden-
fenster verwenden schon den Reimser Maßwerktypus — eine Kreisfigur über
zwei Spitzbogen —, lösen ihn aber aus dem Zusammenhang der anderen Dienste,
denn die Fensteröffnungen sind kleiner als die Stichkappen des Gewölbes. Zu
beiden Seiten jedes Fensters bleiben schmale Wandstreifen übrig. Die Arkaden-
pfeiler sind mit freien Purbeckdiensten umstellt und bleiben selbständige Ein-
Lethaby, 1925, p. 46 ff.