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Böttiger, Carl August; Sillig, Julius [Hrsg.]
C. A. Böttiger's kleine Schriften archäologischen und antiquarischen Inhalts (Band 1) — Dresden, Leipzig, 1837

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https://doi.org/10.11588/diglit.5484#0390

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eben so viel Scharfsinn als Wahrheit jüngst bemerkt hat *).
Seihst die sogenannten Mäuuorklnbbe, die uns doch schwerlich an
die Symposien der Griechen erinnern dürften, sind stets ein sehr
unwirksames Gegengift gegen diesen Despotismus des Theetischcs
gewesen] Und was das Trauerspiel anlangt und unser ganzes
leidiges Thealerwesen, so mögen doch wohl jene hoeligel'eierteii Vä-
ter des griechischen Trauerspieles, Aeschylus und Sophokles, darum
uicht weniger hochgeachtet werden, weil sie in ihren Schicksalsfabeln
der Liebe nie bedurften; und selbst Enripides mag darum des Lob-
sprnchs des Aristoteles, der ihn den tragischesten Dichter nennt, nicht
verlustig gehen, weil ihm, dem Weiberhasser, nur die hoebtragisebeu,
unbekämpibai'cn Wirkungen der Weiberliebe ein würdiger Gegen-
stand für die Bühne schienen. Die von A. W. Schlegel neuerlich
mit eben soviel Unparteilichkeit als Scharfsinn durchgeführte Ver-
gleiehung der Euripideischeii und Rheinischen Phädra könnte den
Freunden unserer galanten Theaterzäilliehkeiten wohl eine nerven-
stärkende Lecture sein. Seit schöne, aber auch oft nervenschwa-
che Zuschauerinnen unsere Theaterlogen und Cercles füllen, kön-
nen manche Situationen, die zu den erhabensten gehören, kaum
vom Dichter, geschweige denn vom Schauspieler ausgesprochen
werden. Wie oft hat man die Scene in der Marie Stuart ge-
scholten und als höchst unanständig ansgebannt, wo Morlimer Ma-
rien mit seiner Liebeswntli ängstet! Und doch war Schiller seihst
nach seinem eigenen mündlichen Geständnisse davon vollkommen
überzeugt, dafs diefs der tragischeste Moment des ganzen Stückes
sei. Vor blosen Männern wäre er es gewifs, zumal wenn nach
alter Theaferordnnng die Rolle der Königin seihst nur von einem
Schauspieler gespielt werden könnte! —

Aber was folgt nun ans diesem Allen? Sollen wir unsere
Sitten abschwören und uns in den Schmelztiegel werfen, um als
Griechen wieder herauszukommen'? Das wolle unser guter Ge-
nius nicht ! Schiller selbst spricht uns noch heute zu, wie im Jahre
1796 in seinem Sinngedichte auf die Griechheit:

Kaum hat das kalte Fieber der Gallomanie uns verlassen,

Bricht in Griikomanie gar noch das hitzige aus.
Griechheit, was war sie? Verstand und Mafs und Klarheit! D'rum
dächt' icl),

Etwas Geduld noch, ihr Herr'n, eh' ihr von Griechheit uns sprecht!

Aber das köstliche Eigenlhum unserer sich Alles unbefangen an-
eignenden, Alles nur aus und an sich selbst heurtheileuden Nation,
die liberalste Vielseitigkeit im Geniefsen und Benrtheilen, soll durch
kein Vornrlheil und durch keine Fortpflanzung irgend eines irrigen
Wahnes, sei er auch noch so unbedeutend, gefährdet oder vernich-
tet werden!

*) Betrachtungen über den Zeitgeist in Deutschland von C. Brandes.
S. 141 ff.
 
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