TIZIANS «VENUS VON URBINO»
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lelität alleine wird das Berühren der Rosen zur erotischen Metapher,
was mit der linken Hand am Venushügel angedeutet wird, kann an
den Venusblumen ausgespielt werden.
Tizian erotisiert also Giorgiones Prototyp, indem er die Hand
auf dem Geschlecht durch die Aufteilung des Hintergrundes sowie
die Positionierung des Fluchtpunktes ins Zentrum der Aufmerksam-
keit rückt und die anderen Bildgegenstände damit verbindet. Durch
diese Verklammerungen intensiviert er die Erotik, ohne zu einer por-
nographischen Penetranz Zuflucht nehmen zu müssen. Im Unter-
schied zu Aretinos «sonetti lussuriosi», deren Perspektive sich immer
wieder auf die Genitalien verengt, spannt Tizian von dem ja schließ-
lich im Venus-pudica-Gestus verdeckten Geschlecht aus ein Netz der
Analogien und Verweise und macht damit das erotische Spiel des Ent-
hüllens und Verhüllens vom Körper - wie aber auch von Bedeutung
überhaupt - zur Grundstruktur seines Malens. Kein Symbol ist dabei
zwingend oder eindeutig. Hund, Rose und Myrte können auch auf die
anständigsten Dinge verweisen - die erotische Interpretation liegt in
der Verantwortung des Betrachters, der sich zudem vom abwartenden
Blick der Figur beobachtet weiß. Dieser «disguised symbolism» flirtet
mit dem Betrachter, dem er zweideutige Angebote macht. Erkenntnis
und das Decouvrieren von Bedeutung wird hierbei zum erotischen
Vergnügen. So läßt sich also ausgehend von Arasses formaler Analyse
Rosands These von einer Beziehung zwischen Erotik und Malerei
verifizieren.
Diese Relation steht auch im Zentrum von Mary Pardos grund-
legendem Aufsatz «Artefice as seduction in Titian» von 1993. Ganz
ähnlich wie Rosand parallelisiert sie Malen und Streicheln. Sie beruft
sich insbesondere auf Tizians Imprese (Abb. 80), bei der eine Bärin,
die ihr ungestaltes Junges in Form leckt, mit dem Satz «ars potentior
naturam» kombiniert wird. Die künstlerische Formung orientiert
sich somit am kreatürlichen Lecken.358 Auch Pardo geht von der
Hand auf dem Geschlecht aus, nennt die Geste aber nicht «stimula-
ting» wie Goffen oder Rosand, die darüber zu den Themen Fortpflan-
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lelität alleine wird das Berühren der Rosen zur erotischen Metapher,
was mit der linken Hand am Venushügel angedeutet wird, kann an
den Venusblumen ausgespielt werden.
Tizian erotisiert also Giorgiones Prototyp, indem er die Hand
auf dem Geschlecht durch die Aufteilung des Hintergrundes sowie
die Positionierung des Fluchtpunktes ins Zentrum der Aufmerksam-
keit rückt und die anderen Bildgegenstände damit verbindet. Durch
diese Verklammerungen intensiviert er die Erotik, ohne zu einer por-
nographischen Penetranz Zuflucht nehmen zu müssen. Im Unter-
schied zu Aretinos «sonetti lussuriosi», deren Perspektive sich immer
wieder auf die Genitalien verengt, spannt Tizian von dem ja schließ-
lich im Venus-pudica-Gestus verdeckten Geschlecht aus ein Netz der
Analogien und Verweise und macht damit das erotische Spiel des Ent-
hüllens und Verhüllens vom Körper - wie aber auch von Bedeutung
überhaupt - zur Grundstruktur seines Malens. Kein Symbol ist dabei
zwingend oder eindeutig. Hund, Rose und Myrte können auch auf die
anständigsten Dinge verweisen - die erotische Interpretation liegt in
der Verantwortung des Betrachters, der sich zudem vom abwartenden
Blick der Figur beobachtet weiß. Dieser «disguised symbolism» flirtet
mit dem Betrachter, dem er zweideutige Angebote macht. Erkenntnis
und das Decouvrieren von Bedeutung wird hierbei zum erotischen
Vergnügen. So läßt sich also ausgehend von Arasses formaler Analyse
Rosands These von einer Beziehung zwischen Erotik und Malerei
verifizieren.
Diese Relation steht auch im Zentrum von Mary Pardos grund-
legendem Aufsatz «Artefice as seduction in Titian» von 1993. Ganz
ähnlich wie Rosand parallelisiert sie Malen und Streicheln. Sie beruft
sich insbesondere auf Tizians Imprese (Abb. 80), bei der eine Bärin,
die ihr ungestaltes Junges in Form leckt, mit dem Satz «ars potentior
naturam» kombiniert wird. Die künstlerische Formung orientiert
sich somit am kreatürlichen Lecken.358 Auch Pardo geht von der
Hand auf dem Geschlecht aus, nennt die Geste aber nicht «stimula-
ting» wie Goffen oder Rosand, die darüber zu den Themen Fortpflan-