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Bohde, Daniela; Vecellio, Tiziano [Ill.]
Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians — Emsdetten, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.23216#0165
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FARBE, FLEISCH UND LICHT: TIZIANS DA N AE - D A R ST E L LU N G E N 163

fassung noch eine kühne Darstellung der Muskulatur, sondern
allein eine gewisse Weichheit und eine liebliche Proportion».399
Nach Ridolfi wendet Vasari also die falschen Kriterien auf den Frau-
enakt an. Hier seien weder disegno noch anatomische Studien
gefragt, diese ästhetischen Normen der Florentiner entsprächen
allein dem Männerkörper. Ridolfis Aussagen verraten ein hohes Maß
an Bewußtsein für die geschlechtliche Kodierung der ästhetischen
Debatte.400 Es wird deutlich, daß die Verkoppelung von bestimmten
Techniken oder Stilen mit einem Geschlecht nicht nur ein unbewußt
prägender Subtext war, sondern absichtlich für die Stützung der eige-
nen Position eingesetzt werden konnte.

So muß man davon ausgehen, daß auch Tizian die Wahrneh-
mung seiner Malerei als «weiblich» vertraut war und er sich mit ihr
auseinandersetzte. Schon seine Imprese mit der leckenden Bärin ver-
weist darauf, daß er wissentlich den Topos einer weiblichen Natur-
kraft für seine Kunst in Anspruch nahm. Keinesfalls aber dürfte er
sich der Auffassung angeschlossen haben, daß eine auf die Farbe set-
zende Malerei eine Kunst für Frauen sei und der Künstler selbst ver-
weiblicht.401 Das venezianische Modell des colorito impliziert ein
anderes Konzept: Der Künstler definiert sich nicht durch das weib-
lich konnotierte Material, sondern durch seinen meisterlichen
Umgang damit. Dieser schon bei Paolo Pino entwickelte Gedanke
wird im Seicento weiter ausgebaut. Hier wird das colorito im Unter-
schied zu colore ausdrücklich männlich konnotiert. Die «rozzissimi
colpi» Tizians lassen für Virgilio Malvezzi Männlichkeit erkennen.402
Philip Sohm schließt daraus, daß die aristotelische Dichotomie von
männlicher Form und weiblicher Materie nicht mehr gegen die Öl-
malerei als Ganze gewandt wird, sondern nun zwischen einer «weibli-
chen» Art, bei der die Farben vertrieben werden und die Oberfläche
glatt und geleckt wirkt, und einer «männlichen» Art, bei der die Mal-
materie sichtbar vom Pinsel gestaltet wird, differenziert wird.403 Der
Pinsel wird hierbei zu einem erklärtermaßen männlichen Instru-
ment. Dies steht für Boschini genauso fest wie für Aretino.404
 
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