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Bohde, Daniela; Vecellio, Tiziano [Ill.]
Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians — Emsdetten, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.23216#0141
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TIZIANS «VENUS VON URBINO»

2. Der Blick und der Körper -
Die Konstruktion der Erotik

Die nackte Frau liegt auf einem Bett vor einem grünen, teilweise
zurückgeschlagenen Vorhang. Der Betrachter befindet sich so dicht
vor ihr, daß er nicht einmal erkennt, wie das Lager auf dem Fußboden
steht. Am unteren Bildrand sieht er lediglich die horizontale Bitze
zwischen den beiden übereinanderliegenden roten Matratzen, in die
das weiße Laken gestopft ist, auf dem die Frau liegt. Sie stützt sich mit
ihrem rechten angewinkelten Arm auf dicke Kissen, gegen die auch
ihre Schulterpartie gelehnt ist. Dadurch bildet ihr Körper einen sanf-
ten Bogen von der ausgestreckten linken Fußspitze über den breit
gelagerten Leib zum schräg gehaltenen Kopf, der dem Betrachter
ganz zugewandt ist. Ihr linker Arm schmiegt sich an den Bauch, die
Hand liegt auf ihrem Geschlecht. Auf dessen Höhe teilt sich der Hin-
tergrundin zwei Hälften: Hinter ihrem Oberkörper ist eine Wand mit
einem grünen Vorhang zu sehen, hinter ihrem Unterkörper ein
Baum, in dem sich zwei Frauen befinden. Wir erblicken dort die Ecke
eines herrschaftlichen Zimmers: Dessen Boden wird von quadrati-
schen Steinfliesen bedeckt, die Wände schmückt eine kostbare senf-
farbene Wandbespannung. Unterhalb des großen Fensters stehen
zwei Truhen, von denen die eine halb geöffnet ist. Eine Magd kniet
vor ihr und hat sich weit in sie hinein gebeugt. Eine andere steht dane-
ben und hält den Truhendeckel.

Das Gemälde hat die Maße 119 x 165 cm, der Akt ist damit unter-
lebensgroß. Ob sein Käufer Guidobaldo della Bovere es bei Tizian
bestellte oder ob dieser es aus eigener Veranlassung malte, ist nicht
bekannt. Es muß nach der Korrespondenz zwischen dem Herzog und
seinem Botschafter Leonardi in Venedig im Frühjahr 1538 vollendet
und danach in Guidobaidos Besitz gelangt sein. Unbekannt ist auch,
ob der Käufer erkannte, wie intensiv sich Tizian auf die ältere
«Venus» von Giorgione bezog, die er selbst vollendet hatte. Der Della
Bovere hätte sie bei seinem Aufenthalt in Venedig 152,7 im Hause des
Gerolamo Marcello sehen können.345
 
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