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Bohde, Daniela; Vecellio, Tiziano [Ill.]
Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians — Emsdetten, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.23216#0075
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DIE KUNST UND DER TOD

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anspruchsvoller Auftraggeber zumindest für den Text der Inschriften
einen Berater hinzugezogen zuhaben, um die Malerei durch sprachli-
che Zitate zu ergänzen.151 Doch nicht nur die Verwendung des Grie-
chischen, auch die gesamte Ikonographie der «Pietä» wirkt unge-
wöhnlich gelehrt und ausgefeilt.

Für die Erweiterung der Mutter-Sohn-Gruppe um die Heiligen
und die Statuen des Patriarchen und der antiken Seherin ist kein Vor-
bild in der venezianischen Malerei bekannt geworden. Hier war viel-
mehr der Typus der Engelpietä gebräuchlich, der in der Bellini-Zeit
häufig kleinformatig als Andachtsbild eingesetzt wurde oder später
bei Palma Giovane Altäre zierte.152 Tizian hat sich in seinem CEuvre
nicht als ikonographischer Neuerer hervorgetan, sondern baute
meist auf etablierte Schemata auf. Hier aber, bei seinem eigenen
Grabbild war er bemüht, dem Tod einen neuen ikonographischen
Bahmen zu geben.153

Neben dem Tod ist das verbindende Thema zwischen der zentra-
len Figurengruppe und ihrer mit Bedeutung aufgeladenen Bahmung
die Zeit, die Zeitlichkeit des körperlich-irdischen Lebens und die
Uberzeitlichkeit des himmlischen Christus. Sein Tod strukturiert die
Heilsgeschichte in ein Vorher und Nachher und sprengt gleichzeitig
den zeitlichen Bahmen. Denn durch den Kreuzestod und die Einset-
zung der Sakramente haben die Gläubigen an Christus teil und sind
der Begrenztheit des Erdenlebens enthoben. Die entsprechend kom-
plexe Zeitstruktur des Gemäldes zeigt sich schon bei dem Versuch, die
Bildgattung zu bestimmen. Zwitterartig steht es zwischen den ver-
schiedenen Gattungen und ihrer Art von Zeitlichkeit. Die aus dem
Andachtsbild herrührende Mutter-Sohn-Gruppe wird durch die bei-
den Heiligen erweitert, ohne eindeutig zu einer Sacra Conversazione
oder zu einem Historienbild zu werden: Maria Magdalena als Zeugin
des Todes Christi ist in ihrem Klagegestus aus Grablegungen
bekannt. Die Anwesenheit des knienden Greises scheint sich dagegen
wie bei einer Sacra Conversazione der überhistorischen Gemein-
schaft der Heiligen zu verdanken.154
 
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