Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0461

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Siebentes Kapitel. Die Ikonographie des Betabels 445

Was sich sonst an Bildwerk in den Retabeln der Renaissance und des
Barocks findet, besteht fast alles aus Einzelfiguren. Dazu gehören nicht bloß
die allegorischen Gestalten der Tugenden, mit denen man oft die Giebelstücke
oberhalb des Gebälkes versah, und die Engelchen und Putti, mit denen man
besonders den Aufsatz der Retabel zu bevölkern liebte, sondern auch die
Figuren von Heiligen, die man über den Verkröpfungcn des Gebälkes auf-
stellte, die Figuren von Heiligen und von Engeln, die man dem Retabel häufig
an Seiten anfügte, sowie die Figuren von Heiligen und von Engeln, die man
namentlich in der Zeit des Spätbarocks oft neben dem Hauptretabelbild vor
oder zwischen den Säulen des Retabels angebracht sieht.

Selbst das Bildwerk, welches die Seitenabteilungen drei- oder fünfteiliger
Barockretabeln schmückte oder die Anbauten füllte, mittels deren man diese
bisweilen nach rechts und links erweiterte, um ihnen ein mächtigeres, groß-
artigeres Aussehen zu geben, bestand, ob gemalt oder in Bildhauerarbeit
ausgeführt, in der Regel nur aus Einzelfiguren.

Dali man für all dieses Bildwerk Einzclfiguren bevorzugte, hatte seinen Haupt-
grund zweifellos darin, daß solche sich besser den gewaltigen Architekturen der
Barockretabeln einordnen ließen. Doch iag es auch wohl daran, daß das große Mittel-
bild dieser Retabeln so sehr vorherrschte, daß alles andere Bildwerk derselben, auch
das, was davon noch etwa zu den Haupt da rstellun gen zählte, ihm gegenüber als
durchaus untergeordnet und als Nebensache erschien.

Einzelfiguren waren im 17. und 18. Jahrhundert besonders in Süddeutschland,
in Österreich und in der Schweiz, wo eine volkstümliche Holzschnitzkunst in Blüte
stand, als Retabelbild und noch mehr als Vervollständigung desselben beliebt. Die
überaus zahlreichen Barockretabeln, die dort noch heute die Kirchen füllen, legen mit
ihren vielen Einzelfiguren reichliches Zeugnis dafür ab. Umgekehrt sind die italie-
nischen Retabeln aus jener Zeit meist auffallend arm an Einzelfiguren. Der Mehrzahl
nach nur einteilig, festhaltend an der strengeren Form der Ädütula und ohne seitliche
Ansätze, wie sie bei den süddeutschen Retabeln so oft vorkommen, zeigen sie sehr
häufig kein anderes Bildwerk als das eine große, meist gemalte, eine Szene oder
Gruppe darstellende Retabelbild.

SIEBENTES KAPITEL

DIE IKONOGRAPHIE DES RETABELS

Seinem Gegenstande nach ist das Bildwerk, mit dem man das
Retabel schmückte, überaus mannigfaltig. Es dürfte wenige Darstellungen
der christliehen Ikonographie geben, die uns nicht irgendwo auf einem Re-
tabel begegnen. Besonders reich an dem verschiedenartigsten Bildwerk sind
die Altaraufsätze aus der Zeit von etwa 1350 bis 1550, die in ihm einen
geradezu unerschöpflichen Wechsel zeigen. Auf den spanischen Retabeln
aber erfährt dieser noch im 16. Jahrhundert eine erhebliche Steigerung, so-
fern sich auf ihnen nun zu den szenischen Darstellungen in großer Zahl
Einzelfiguren zu gesellen pflegen.

Bei der gewaltigen Fülle und dem großen Wechsel der Darstellungen,
welche die Retabeln des Mittelalters und der Frührenaissance schmücken,
ist es völlig unmöglich, an dieser Stelle ihr Bildwerk in allen seinen Einzel-
 
Annotationen