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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 27.1926

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Nr. 3/4
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Reuter, Adolf: Dampferfahrt durchs Weserland
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https://doi.org/10.11588/diglit.35077#0052
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im Jahre 1696 erbaute, noch jetzt in Metternichschem
Besitz befindliche Schloß Wehrden. Von der steilen roten
Sollmgwand leuchtet aus Waldesgrün breit gelagert ein
weißes Gemäuer in das Land: Fürstenberg, das alte Jagd-
schloß der braunschweigischen Landesherren, heute eine
Porzellanfabrik, nächst Meißen in Sachsen die älteste und
eine der bedeutendsten in Deutschland, deren berühmte
Erzeugnisse alle Welt schätzt. Von der Terrasse des Schloß-
gartens sieht man hinab ins Tal. Hier ist alles bedeutungs-
voll, hier hat die Landschaft Größe! Der stolze, in lang-
gestrecktem Bogen sich windende Strom, Eisenbahnbrücken,
herüber und hinüber rollende Züge, und inmitten all der
Herrlichkeit das altersgraue Höxter, die ehrwürdige Abtei
Corvey, die Thonenburg, eiu in der Weser sich spiegelnder
dunkler Eichenhain, die Stätte der alten Villa lluxorl, des
Ursprungs von Höxter und Corvey vor mehr als elf-
hundert Jahren in der Zeit, als ringsum noch heidnische
Sachsen wohnten, der Nethegau, in dem die Gestalten der
Weberschen Dreizehnlinden-Dichtung wandeln, die steil auf-
ragende Rabenklippe, vielleicht die Stätte des künftigen
Reichsehrenmals.
Zur Linken dehnt sich, bald steil, bald in sanfter
Böschung zur Weser abfallend, die Paderborner Hochfläche.
Selten nur verliert sich des Wanderers Fuß hierher:
„Hospitium vils, Arokt lsroch cküim Lisn, lanZ Nils (Meilen)
8unt in ^Vestpbalia, si non vi8 erscksrs, loox da."
So urteilt um das Jahr 1612 der etwas blasierte und
spottlustige Verfasser einer Reisebeschreibung der Gegend.
Sie ist voll unendlichen Reizes. Hier träumt der Wanderer
in sich hinein und über die Weserberglandschaft hin in
alle Ferne hinaus bis in die endlos sich dehnende nord-
deutsche Tiefebene, bis zu den schattenhaft verdämmern-
den Umrissen des Brockens und des Habichtswaldes.
Von der gewerbfleißigen braunschweigischen Stadt Holzminden führen schöne Wege auf den Köterberg und
in das Herz des Sollings, nach Schloß Bevern und zu der alten Amelunxborner Klosterkirche.
Das alte hannoversche Städtchen Polle fesselt jetzt unsere Aufmerksamkeit.
Schöne Reihen italienischer Pappeln, Ausdruck vornehmer Gartenkültur und der Freude am gehobenen Land-
schaftsbild, stehen regungslos in der Luft des stillen Sommernachmittags. Kraus, verworren, wie die Zeiten, in
denen dies alles entstand, liegen die Häuserreihen. Dreschflegelklang in munterem Takt dringt aus einem ungesehenen
Wohnwinkel an das Ohr. Hier scheint die Zeit stillzustehen. Liebe Vergangenheit umfängt uns, Belanglosigkeit,
trauliches Selbstgenügen — alles romantisch verklärt. Belanglos, harmlos erscheint uns auch das Städtchen selbst.
Und doch, die Geschichte hat ihre Züge hineingezeichnet in dies harmlose, idyllische Bildchen. Drohend erhob sich,
längst zur Ruine znsammengesunken, über Stadt und Weser die Burg, von der aus die wechselnden Geschlechter
der Landesherren den Strom beherrschten. Im großen Krieg schlug aus allen Fenstern emporzüngelnd die lohende
Glut über dem stolzen Bau zusammen, dessen leergebranntes Mauerwerk noch lange der nagenden Zeit widerstand.
Und schöne Menschlichkeit hat diese Stätte gezeichnet. Im Schatten der alten Kirche errichtete ein vornehmer
Herr der geliebten Gattin ein rührendes, schwermütiges Grabdenkmal. Er wollte sein Leid verewigen; er und sein
Leid sind längst vergessen. Leise harft in den hohen Kirchhofsbäumen der Wind sein Lied vom Gewesenen.
Nachdenklich setzen wir die Fahrt fort. Die durch Sprengungen dem steilen Uferfelsen abgetrotzte Landstraße
nach Brevörde, der uralten „breiten Wesersurt", begleitet uns. Die romanische Brevörder Dorfkirche wird sichtbar,
dann die steilen Felswände der Steinmühle, die grünen Hänge des Voglers, Rühle mit altem Weinberg und den:
Denkmal des letzten Herzogs aus braunschweigischem Geschlecht.
Vor uns liegt, berückend schön hingestreckt, an der Weser zwischen leuchtenden Wiesen, bunten Sandsteinwänden,
ragenden Wäldern der alte Werder des Grasen Bodo von Homburg, das hannoversche Städtchen Bodenwerder
und daran grenzend das braunschweigische Dorf Kemnade mit schöner Klosterkirche. Hier lohnt es sich, zwischen
Gärten, Berghüngen, efeuübersponnenen Wachttürmen einen Tag zu verträumen und den Spuren des alten geist-
reichen Plauderers Hieronymus Baron von Münchhausen nachzugehen. Wir sehen noch das von seinem Vater er-
baute gemütlich patriarchalische Gutshaus, in dem der Knabe ein- und ausging, bevor er ausrückte zu seinen abenteuer-
lichen Kriegsfahrten in Rußland und auf der Balkanhalbinsel, und das von ihm selbst Anno 1763 errichtete
Gartenhänschen, wo er bei dampfenden: Puuschglas, aus einen: mächtigen Meerschaumpfeifenkops qualmend, der


Abb. 16. Schloß Berlepsch von Süden gesehen.
 
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