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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 27.1926

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Nr. 5/6
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Scherman, Leopold: Holzminden, ein bedeutsames Stadtgebilde an der Oberweser
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https://doi.org/10.11588/diglit.35077#0103
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77

Holzminden,
ein bedeutsames Stadtgebilde an der Oberweser.
Von Stadtbaurat Scherman.
as Wesentliche, was uns eine Ansiedlung — ein Stadt- oder Dorfgebilde — zu sagen hat, wird uns
durch die Grundform, den Grundriß vermittelt. Für den letzteren stark mitbestimmend ist die geo-
graphische Lage. So ist unserer Stadt die Weser zum städtebaulichen Schicksal geworden. Ein Ver-
gleich der Stadtpläne von Holzminden, Hameln und Bremen ist in diesem Zusammenhang lehrreich.
Ähnliche Voraussetzungen schufen ähnliche Grundformen. Die Begrenzung der Westseite der Stadt
durch den Fluß hat eine andere Stadtform zeitigen müssen als beispielsweise bei Städten, die abseits von größeren
Flüssen an der Kreuzung bedeutender Heerstraßen entstanden. Braunschweig, Helmstedt, Soest, Münster weisen wie
manche andere Stadt in deutschen Landen im Gegensatz zu unseren Weserstüdten die mehr oder weniger kreisförmige
Anlage auf, welche entstehen mußte durch den ohne Unterbrechung sich um die Stadt legenden Befestigungsgürtel.
Ein Blick auf den Holzmindener Stadtplan zeigt den Drang zum Flusse. Drei auffallende Straßenzüge be-
kunden diesen Drang: Niedere Straße—Schnlstraße, Mittlere Straße—Markt—Weserstraße und Obere Straße. An:
oberen Ende der Oberen Straße, wo die alte Einbecker Straße (jetzt Böntalstraße) in diese einmündet, lag eines der drei
Stadttore. Am unteren Ende, ungefähr da, wo heute die Brücke die beiderseitigen Ufer verbindet, befand sich die Fähre.
Alter Stadtplan.
Es ist der Mühe wert, gerade bei uns nach den Ursachen der Städtebildung und nach den dabei maßgebend
gewesenen Einflüssen zu forschen. Zeigt auch unser äußeres Stadtbild nicht die prachtvollen Fassaden nieder-
sächsischen Fachwerksbaues, wie das unsere Nachbarstadt Höxter an einer stattlichen Anzahl von Beispielen tut, oder
gar wie Braunschweig und Hildesheim, so bietet es doch demjenigen, der sehen will und der Sinn hat für den Ursprung
der Dinge, für das Urwüchsige, reiche Anregung. Die Wissenschaftler des Städtebaues beschäftigen sich mit der
Frage „geworden" und „geplant", d. h. mit dem Entstehen von Städten auf Grund freien Schaffens und auf Grund
planmäßiger Vorbereitung und Anordnung. Die alten niedersächsischen Städte sind gewordene Städte. Bei dem
Ergründen dieses Werdens, bei dem Erforschen des Werdewillens offenbaren sich uns die tiefsten Eindrücke der Kultur
und Eigenart unseres Volkes. Das macht auch Holzminden zu einer städtebaulich besonders beachtenswerten Siedlung.
Je mehr die im neuzeitlichen Schulwesen einsetzenden Bestrebungen, hinzuleiten zu unbefangenem und natür-
lichem Sehen, Erfolg haben werden — und der Erfolg ist diesen Bestrebungen sicher —, um so mehr wird der Mensch
über das landläufig „Schöne" hinwegsehen lernen, gar nicht zu reden von dem unechten und wesenlosen „Schönen".
Dann wird er alles menschliche Formen ansehen als die Wirkung der Gesetze des Stoffes und der Technik, der Macht
und der Wirtschaft. Auch für die Kunst
des Städtebaues gilt Goethes Wort, das
wir in seiner Schrift von deutscher Bau-
kunst finden: „Die Kunst ist lange bildend,
ehe sie schön ist." Nun darf man aber
nicht annehmen, daß in den gewordenen
Städten Willkür geherrscht hat. Die
Handhabung der Baupolizei, so die Be-
stimmung der Straßenfluchten, erfolgte
nur in der denkbar einfachsten Art: der
Burggraf ritt mit dem breitgehaltenen
Speere oder der Stange den Weg ent-
lang. Damit waren mit den Stangen-
enden die geltenden Fluchten umschrie-
ben. Wenn hiernach die Festlegung der
Straßenflucht nach einem Recht, dem
sogenannten „Stangenrecht" erfolgte, so
scheint eine ähnliche Festlegung der Bau-
flucht nicht erfolgt zu sein. Da war den:
baukünstlerischen Schaffenstrieb Freiheit
gelassen. Damit ist die Erklärung für
zahlreiche städtebauliche Einzelschönheiten
in den Grundformen unserer Stadt ge-
geben. Dieses Schöne entstand aus den:
gesunden Zweckdenken des Niedersachsen. Mb. 54. Plan der Stadt Holzminden. 1826.
 
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