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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 27.1926

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Nr. 3/4
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Reuter, Adolf: Corvey
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https://doi.org/10.11588/diglit.35077#0058
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34

Dies Corvey
träumtvonseiner
großen Vergan-
genheit. Man
mag es sehen,
vonwelcherSeite
man will, immer
erscheint es groß,
wie selbstver-
ständlich empor-
gewachsen ans
der herrlichen
Landschaft.
Ohne Corvey
würde das Ober-
wesertal leer und
stumm sein. Wie
leuchtet es im
Maiensonnen-
glanz! Die alte
Kastanienallee,
dieseitdenTagen
des Abtes Maxi-
milian von Hor-
rich Höxter mit
Corvey verbin-
det, hat ihre
Mb. 19. Fürstenberg an der Weser. tausend und aber
tausend Blüten-
fackeln angezündet. Am Ende der Allee durchschreiten wir ein wunderlich phantastisches Tor, an dessen Pfeilern
mit gezücktem Schwert Steingestalten, römische Krieger darstellend, die Wacht halten. Vor uns liegt zwischen Linden-
und Akaziengrün breit und stolz gelagert die vormals fürstübtliche Residenz. Die Allee, das Schloß, der Marstall,
das entzückende Teehaus im Park, das alles ist eigentlich schon neue Zeit, Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen
Kriege, höfischer Stil, repräsentierend, nach außen gekehrt. Es ist Betonung der durch den Frieden von Osnabrück
und Münster geschaffenen selbstherrlichen Fürstengewalt, zu der auch die Herren des Corveyer Ländchens gern sich
bekannten. Aber alles ist vornehm und maßvoll gehalten, nicht übermäßig prunkend, nichts gespart und nichts
überladen, gutes Material, Solling-Sandstein und Eichenholz. Der Glaube an sichersten Besitz und Bestand des
Gewordenen schichtete, wie einst die Römerbauten, dies wuchtige Gemäuer. Und eine heitere Würde atmet dieser
schöne Fürstensitz, Freude an feinem Kulturgenuß, der freilich für den Bürgerstand noch nicht vorhanden war.
Ernst, düster, anklagend ragt in diese heitere Welt die alte, strenge Turmfront, roher Kalkbewurf, roher Bruch-
stein, in regellosen Flächen abwechselnd. Edelstes frühromanisches Kapitell, Rüstlücher, aus den Tagen stammend,
als zwischen himmelwärtsstrebendem Gerüst unter den Händen frommer Werkleute der Bau fröhlich emporwuchs.
Rostiges Eisen, blinde Fensterscheiben, hochschwebend grauenhaft-phantastische Wasserspeier, dem einen wer weiß
wann und durch welche Gewalten das breite klaffende steinerne Maul bis an den Hals abgeschlagen. Hoch oben,
einsam, in windiger Nische zählt der zeitzermürbte Sandsteinheilige die Jahrhunderte — ein seltsames Bild, Sturm,
Frost, Regen und Sonnenbrand haben es gezeichnet, das Jahrtausend hat es gezeichnet mit seinem Glück und Weh,
schlimmer: mit seiner Eintönigkeit, seiner lastenden Langeweile. Sonst spukt es drinnen in altem Gemäuer, diese
Wandfläche spukt außen, Dämonen jagen sich, Geister huschen darüber hin. Urzeitlicher noch wirkt die Krypta, der
fünfschiffige Unterbau der Turmfront. Sind's die Gräber der Äbte, die den Boden dieses düsteren Raumes erhöht
haben? Wir wissen es nicht. Aber alle Säulen, die das unheimliche, niedrige Gewölbe tragen, scheinen eingesunken
in das Erdreich, als kröchen die Jahrhunderte an ihnen empor.
Wir treten in die Kirche, das ist wieder die neue Zeit! Ein prunkender Raum, aber nicht schlicht erbauend,
die triumphierende Kirche, das Zeitalter des gewaltigen Christoph Bernhard, der diesen Bau schuf. Das von vier
schwebenden Engeln getragene Orgelchor von großer Schönheit.
Aber auch das Neue wird schou wieder Altertum. Wer zwischen den Steinbildern Karls des Großen und
Ludwigs des Frommen durch das Hauptportal des Schlosses den weiten inneren Hof betritt, empfindet das sofort.
Hier liegen die weiten Wohnräume der Mönche verlassen, leer. Die Zeit scheint stillzustehen. Wir spüren, wie das
Altertum uns umfängt. Mit erloschenen Augen starrt uns aus 100 blinden Fensterscheiben die Vergangenheit an.
Wir schreiten durch deu hallenden Kreuzgang: dort ist es still und feierlich, dort schlafen die letzten Mönche den ewigen
Schlaf. Ihre vergessenen nnd verschollenen Namen, einst von stolzen: und adligem Klang, sind in die steinernen
 
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