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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 27.1926

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Nr. 5/6
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Nonn, Konrad: Weser-Burgenfahrt 1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.35077#0084
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vor den anderen Nationen zu haben. Goethes aus seinen Straßburger Eindrücken entstehende Schrift von deutscher
Baukunst ist 1772 erschienen. Schinckels erste Unterweisungen zum Ausbau des Kölner Doms sind 1816 gemacht worden,
der dann 1823 wirklich begann. Durch Deutsche ist diese schwierige Kunst rechter Denkmalpflege — und spezifisch
deutsch darf sie genannt werden wegen der innigen, selbstlos sich hingebenden, ja selbst sich verlierenden geistigen Ver-
tiefung, mit der man sich, träumerisch nach innen gekehrt, in die früheren Perioden oft schwärmerisch eingelebt und
hineingefühlt hat — durch Deutsche also ist die Kunst einer taktvollen Restaurierung zuerst und am häufigsten auch
später in weite Fernen getragen worden, nach der echt deutschen Art, das Beste, das wir uns erkämpft haben und
nun hoch zu schützen wissen, auch anderen willig mitzuteilen!"
Auch der Bürgermeister der Stadt Göttingen, Herr vr. Jung, begrüßte die Gesellschaft, die ihre Fahrt in einer
alten Hanfastadt beginnen wolle, um sie in einer Hansastadt enden zu lassen.
Der Festsaal des Rathauses ist eine geschichtliche Stätte. Hier wurde Gericht gehalten, und Feste wurden gefeiert.
In diesem Saal wurde die Reformation verkündet, und Wilhelm von Weimar vernichtete in ihm den letzten Wider-
stand der kaiserlichen Truppen, die
der Befreiung der Geister sich ent-
gegengestellt hatten. Wehrhaft ist
der Geist Göttingens. Zwar sind
die Wälle und Mauern, die Zeugen
alten trotzigen Sinnes, heute ver-
fallen. Dafür werden aber in Göt-
tingen weiter die Waffen des
Geistes geschmiedet, Waffen, die
uns niemand nehmen kann. Er-
leuchtete Geister schwingen hier die
Hämmer, um den Verstand scharf
und die Herzen stark zu machen,
damit unsere Jugend gerüstet ist
zu dem großen Kampf um Freiheit,
Ehre und Größe des Vaterlandes,
der niemals aufhören wird. — Dies
war der Sinn der Ansprache, die Ge-
heimrat Ebhardt zur Begrüßung
Göttingens im alten Göttinger
Ratssaale hielt.
Die Burgenfahrer begannen
ihre Arbeit mit einem Gang durch
das Rathaus unter sachverständiger
Führung des Stadtarchivars Herrn
vr. Wagner sowie des Herrn vr.
Abb. 41. Göttingen, Junkernhaus (Alter Fachwerkbau). Crome, Direktors der Städtischen
Altertumssammlung, der den schon
am Abend vorher anwesenden Burgenfahrern ein sehr anschauliches und lebendiges Bild vom mittelalterlichen
Leben in Göttingen entworfen hatte. Ein Gang durch die Stadt schloß sich an. Am Nachmittag wurden drei der
Burgen der Umgegend, Plesse, Hardenberg und Adelebsen, besucht.

Plesse.
Burg Plesse erscheint im 1. Viertel des 11. Jahrhunderts im Besitze der mächtigen Familie der Jmmedinger. Der zu dieser Familie
gehörige Bischof Meinwerk schenkte sie damals seinem Hochstift Paderborn. Meinwerks zweiter Nachfolger, Bischof Jmmad de Plessa,
gehörte offenbar der gleichen Familie an. Die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts sieht die Burg im Besitze einer Familie, die sich anfänglich
von Höckelheim nennt, später von Plesse. Noch im 12. Jahrhundert spaltete sich von den Edlen Herren von Plesse ein Zweig ab, der unter
Aufgabe der Freiheit und Änderung des Wappens in die Ministerialität zuerst Heinrichs des Löwen, dann der Fürsten von Mecklenburg
tibertrat. Von diesem Helmold von Plesse stammen die Freiherren und Grafen von Plesse ab, welche in Verbindung mit den von Malzahn
und von Scheel in Mecklenburg und Holstein fortleben. Die Adelsherren (Dynasten) von Plesse, die mit zahlreicher Familie und in An-
betracht dessen mit immerhin beschränktem Grundbesitz in der alten Heimat blieben, hatten neben ihrem Eigenbesitz (Allod), eben dem Herren-
sitz Plesse, zahlreiche Lehen von Braunschweig, Hessen, Mainz und Paderborn, selbst aber wieder einen nicht unbeträchtlichen Vasallen-
staat aus dem niederen Adel. Die Plesse blieben reichsfrei, auch nachdem sie 1447 ihr Allod dem Landgrafen Ludwig II. von Hessen als
Lehen aufgetragen und von ihm als Mannslehen zurückerhalten hatten. Dies Aufgeben der Selbständigkeit einzelner diente der fort-
schreitenden Herstellung einer größeren Einheit im Reich und muß neben allen Vorteilen, die dem Geschlecht etwa aus seinem Schritt er-
wachsen sein sollten, hauptsächlich als ein Beweis für den weiten Blick angesehen werden, mit dem man das Allgemeininteresse dein Familien-
interesse voranstellte. In ihrer Eigenschaft als reichssreier Adel haben die Plesses denn auch selbständig im Jahre 1536 die Reformation
in ihrem Gebiete eingeführt. Im Jahre 1571 starb das alte Geschlecht mit Dietrich IV. aus, und die Herrschaft fiel an Hessen-Cassel. Landgraf
Wilhelm IV. nahm von ihr Besitz, was er durch eine gereimte Inschrift auf einer Marmortafel am äußeren Burgtor bekundet. Sein Sohn
Moritz der Gelehrte hat gern auf Plesse geweilt und trug sich mit dem Gedanken, die Burg zu einer Festung umzugestalten. Nach ihm ver-
 
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