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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 16.1919/​1920

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Steiner-Wischenbart, Josef: Das Weihnachtslied "Stille Nacht" ... 100 Jahre alt
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https://doi.org/10.11588/diglit.55380#0036

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VOM WEIHNACHTSLIEDE: STILLE NACHT


JOSEPH MÜHLBACHER (ZELL)
Denkmal in Wagrain, Text unten
DAS WEIHNACHTSLIED
»STILLE NACHT«... 100 JAHRE ALT!
(Abbildung oben)
Zu Weihnachten 1918 ist das beliebteste aller Weih-
nachts-, ja aller Friedenslieder hundert Jahre alt ge-
worden: das Lied »Stille Nacht, heilige Nacht«, gedich-
tet vom Priester Josef Mohr, vertont vom Lehrer Franz
Gruber, beide 1818 in Oberndorf bei Salzburg.
Um dieses Jubiläum würdig zu feiern und für spätere
Zeiten die Namen Mohr und Gruber zu verewigen, geht
man daran, in Oberndorf ein eigenartiges »Stille-Nacht«-
Denkmal, ausgeführt vom akademischen Bildhauer und
Maler Josef Mühlbacher, Pfarrerin Zell-Kufstein, zu er-
richten. In diesem Denkmal soll der Dichter wie der Kom-
ponist in sinniger Weise geehrt werden. Zu diesem Zwecke
ging ein Aufruf hinaus, aus dem man erkennt, welch hohen
Anteil Deutschland an der Sache nimmt, wie aus dem
Verzeichnisse der Ausschußmitglieder zu ersehen ist. Das
Denkmal kommt nicht, wie ursprünglich geplant war,
nach Wagrain (Salzburg), sondern dem Wunsche maß-
gebender Faktoren gemäß, an einen größeren besuch-

teren Ort: nach OberndorfimFlach-
gau, wo das Lied vor 100 Jahren
entstand, in das Innere der Pfarrkir-
che, also an einen Ehrenplatz ersten
Ranges! Angeregt wurde dieser
Gedanke vom Sektionschef des
ehemaligen k. k. Ministeriums für
Kultus und Unterricht Josef Khoss
R. v. Sternegg österreichischerseits
und von Seiten Deutschlands durch
den Dichter Dr. Otto Franz Gen-
sichen (Berlin W 57, Winterfeld-
straße 22/III), der eine epische Dich-
tung »StilleNacht,heilige Nacht« ge-
dichtet hat,und durch den Schriftstel-
ler Josef Gottlieb in Frankfurt am
Main (Spohrgasse 29/I). Durchge-
führt wird dieser Plan durch den
tüchtigen Pfarrer Max Fe 11aeher
(geboren in M a r i a p fa r r im Lungau
i. J. 1864), den Erbauer der herrli-
chen, monumentalen neuen Pfarr-
kirche in Oberndorf, in welcher das
Denkmal zur Aufstellung kommt.
Mariapfarr, der älteste Pfarrort
im Lungau, verdient da besonders
hervorgehoben zu werden, da auch
der Priester Joseph Mohr,der Dichter
von » Stille Nacht«, i. J. 1815 in Maria-
pfarr als Hilfspriester (Koadjutor)
wirkte (seit Ende September 1815).
»Die Beschwerden dieser großenGe-
birgspfarrei schädigten seineGesund-
heit, weshalb er im Sommer 1817
zur Erholung in die Vaterstadt Salz-
burg zurückkehrte. Nicht lange
dauerten Ruhe und Rast: denn nach
einem Monat (2$.Aug.) übernimmt
Mohr wieder dieHilfspriesterstelle in
Oberndorf an der Salzach, wo er
auch seine kränklicheMutter und eine
arme Schwester unterstützen konn-
te. Hier machte er die Bekanntschaft
mit dem Lehrer Franz Gruber, dem
Organisten an der Nikolauspfarre in Oberndorf.« (Vergl.
»Stille Nacht, heilige Nacht«, die Geschichte eines Volks-
liedes von Franz Peterlechner, Verlag Haslinger, Linz.)
Mühlbacher ist der berufenste Künstler für das »Stille-
Nachts-Denkmal in Oberndorf, hat er doch auch das
Monument für den Dichter dieses Weihnachtsliedes,
Josef Mohr, in Wagrain geschaffen, dessen, nach Aus-
sage noch lebender alter Zeugen, gut gelungenes Por-
trät der Künstler mangels eines sonstigen Konterfeis nach
dem exhumierten Totenschädel des Dichters er eben-
falls herstellte. Mohr ist — im Himmel gedacht. Sin-
nend schaut er beim Fenster seines Himmelskämmerleins
hinaus. Plötzlich erschallt Engelgesang an sein Ohr.
Er lauscht — und erkennt freudig sein Lied »Stille
Nacht, heilige Nacht«, das er einst (1818) auf Erden
gediehet. Demütig nimmt er sein Käppchen vom Haupte
und sein Lied wird zum Gebet! (Fensterguckermotiv,
ausgeführt in Bronze.) Hier betrat Mühlbacher bereits
seinen eigenen Weg. Seelische Vergeisterung in Aus-
druck und Bewegung ist das Ziel seiner Kunst, da er
als Priester pfadweisend wirken will für das, was er als
Postulat religiöser Kunst erkennt.
Josef Steiner-Wischenbart (Graz)
 
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