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Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0166
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146

Zweites Buch : Der romanische Stil.

Burgunden, Langobarden sind entstanden und wieder vergangen, ohne
zu einem eigenen Blatt in der Kunstgeschichte Stoff zu geben, höchstens
zu einer Randbemerkung.

Anders wie jene vordere Schlachtordnung der germanischen In-
vasion verhalten sich die in Mitteleuropa zurückgebliebenen, schliesslich
im Königtum der Franken ihren Vereinigungspunkt findenden Stämme.
Langsamer und unbiegsamer an Geist und zögernder in der Aneignung
fremder Gedanken, beharrlicher im Festhalten, gewichtiger im Durch-
setzen der eigenen Art sind sie es, die zum erstenmal aus dem bloss
passiven Verhalten zur antiken Kunstüberlieferung heraustreten. Frei-
lich waren es auch nur Bruchstücke der Antike, die sie auffassten;
den Franken und Deutschen stellte die letztere fast nur in der Gestalt
sich dar, welche sie in ihrer letzten, der christlichen Entwicklungs-
phase angenommen hatte, und auch hiervon übersahen sie nicht das
Ganze — nicht die oströmische, allein die lateinische Baukunst.

Welche Physiognomie hätte die europäische Geschichte wohl an-
genommen, wenn das Germanentum anstatt der, wie man weiss, nach
langer Zögerung vollzogenen Verbindung mit der Kirche Roms eine
solche mit der griechischen eingegangen wäre? Von der Erwägung
dieser Möglichkeit wird nicht minder tief als der Staats- und Kirchen-
historiker der Geschichtsschreiber der Kunst, insbesondere der archi-
tektonischen Kunst, berührt. Dies ist gewiss: das Bild wäre ein
wesentlich anderes geworden, als das wir thatsächlich erblicken.

Merkwürdig spät ist die Kunsthistorie hierüber sich klar geworden.
Es ist kurze Zeit erst her, dass die Kunstweise unseres Mittelalters in
der Epoche von Karl d. Gr. bis zum Auftreten der Gotik noch kurzweg
als »byzantinisch« bezeichnet wurde. Jetzt ist man über das Irrige dieser
Vorstellung, zunächst was die Baukunst betrifft, einig. Für die Malerei
und Skulptur hat die wissenschaftliche Forschung mit der Auseinander-
setzung erst begonnen, doch wird auch hier die lateinische Basis der Ent-
wicklung und die Selbständigkeit ihres Fortganges mit jedem Schritte ge-
wisser. Damit soll indes nicht gesagt werden, dass die Scheidewand eine
so dichte gewesen sei, dass nicht mancher Tropfen byzantinischer, ja
ebensosehr orientalischer Weise fort und fort durchzusickern vermochte.
Der reichliche Handelsimport von Erzeugnissen der Kunstindustrie des
Ostens unterhielt einen beständigen und nicht wirkungslosen Kontakt
mit jener fremden Formenwelt. Zerstreute Elemente derselben werden
mit jugendlicher Neubegier aufgegriffen, zuweilen als romantischer Putz
dem eigenen Wesen angehängt, in der Hauptsache demselben assimiliert.
 
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