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Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0165
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"Erstes Kapitel.

Grundlegung

i. Allgemeines.

Jene eminente Einheit des Stiles, weiche die Römerherrschaft, so-
weit sie reichte, dem gesamten Bauwesen und so auch den Anfängen
des christlichen Kirchenbaus aufgeprägt hatte, ging mit dem wunder-
baren Staats- und Kulturorganismus, in dem sie ruhte, unter, und etwas
ihr Gleichendes wird die Welt nicht wiedersehen. Uralt Verbundenes,
die Ost- und die Westhälfte des Mittelmeergebietes, trennte sich, Ur-
fremdes, Antike und Germanentum, trat in Zusammenwirkung.

Seither müssen in der europäischen Kunstgeschichte diese beiden
Grundströmungen, die auf allgemeingültige Autorität den Anspruch
erhebende klassische Ueberlieferung und der individuelle Selbstdar-
stellungstrieb der Nationen, in einem Bette Platz finden; bald ist jene,
bald ist diese die stärkere und breitere; ganz durchdrungen und aus-
geglichen haben sie sich doch bis auf den heutigen Tag nicht. Der
germanische Stamm in seiner Jugenderscheinung liess nicht vermuten,
dass er in der Geschichte der bildenden Künste einmal noch vollge-
wichtig mitzählen werde. Unter allen von der Natur den Germanen
mitgegebenen seelischen Kräften ist das ästhetische Auge am spätesten
erwacht. Sie haben eine Sprache, ein Recht, eine Poesie, einen Re-
ligionsmythus, welche sie zum Höchsten berufen erscheinen lassen, und
sind noch immer ein kunstloses Volk, kunstloser als viele Völker von
unvergleichlich niedrigerer Anlage. Die Reiche der Goten, Vandalen,
 
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