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Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0267
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Viertes Kapitel: Die flachgedeckte Basilika in Westeuropa.

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unsere Tage erhalten 1). Indes bezeugen Geschichtsschreiber und Ur-
kunden, dass auch im Westreich unter Karl und seinen nächsten Nach-
folgern der Kirchenbau eine sehr lebhafte Thätigkeit entfaltet hat, und
es würde schon ein langes Register abgeben, wenn wir auch nur die
uns mit Namen genannten Gründungen aufzählen wollten 2). In welchem
Umfange in ihnen etwa Versuche zur Umbildung der herkömmlichen
Bauformen schon hervortraten, lässt sich nicht einmal ahnen; nur so
viel ist gewiss, dass es daran überhaupt nicht gefehlt hat3). Dieser
reichen karolingischen Bauproduktion war nur ein kurzes Dasein be-
schieden. Man kennt die schreckliche Bedeutung, die der Name der
Normannen in der Geschichte dieser Zeit erlangte. Die Flüsse, deren
Mündungen sie in Besitz nahmen, trugen ihre Schiffe bis tief ins
Innere des Landes: die Saone führte sie nach Amiens, die Seine
vor Paris, die Loire bis über Orleans hinaus, die Garonne bis vor
Toulouse; das Land zwischen den Flüssen ward weit und breit wüste
gelegt, Und vielleicht noch gründlicher betrieben an der Küste des
Mittelmeeres und den Ufern der Rhone die Sarazenen das Zerstörungs-
werk. Beide waren Feinde des christlichen Glaubens. Die noch
durchweg nach Basilikenart konstruierten Kirchengebäude zu vernichten
machte ihnen leichte Arbeit: ein Funke genügte, um in Eile Dach
und Decke in einen einzigen Flammenherd zu verwandeln, die Säulen
oder Pfeiler zerbarsten in der Glut und die von ihnen getragenen
Mauern stürzten zusammen. Was den heidnischen Räubern entgangen
war, ging in den inneren Unruhen dieser Zeit, wo ein Krieg aller
gegen alle entbrannt zu sein schien, zu Grunde oder wurde ein Opfer
des Baueifers der folgenden Jahrhunderte. So findet die Armut
Frankreichs an karolingischen Denkmälern — eine Thatsache, in die
sich die französischen Altertumsforscher nach langem Sträuben erst
neuestens zu finden beginnen4) — ihre sehr ausreichende Erklärung.
Zwar giebt es eine Anzahl von Bauten aus der Zeit der ersten Kape-
tinger, die ihrem Stil nach karolingisch genannt werden können, doch
sind es durchweg Werke zweiten oder dritten Ranges, die keinen
Massstab für das uns verborgen bleibende Leben der grossen Archi-
tektur geben.

') 1863 abgebrochen und durch eine Kopie ersetzt.

2) Vgl. A. Saint-Paul, Hist. monumentale, p. 73, wo aber nur Klosterkirchen
aufgeführt werden.

3) Vgl. oben S. 169 und 174 über die Klosterkirche zu Centula.

4) A. Rame : De l'etat de nos connaissances sur l'architecture carlovingienne, im
Bulletin des travaux historiques, 1882.
 
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