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Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0581
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Fünfzehntes Kapitel: Der Aussenbau

559

Germanen zu positiver Thätigkeit aufrief, indem er in der Kirche ein
niegekanntes Vertrauen in die Dauerhaftigkeit des Diesseits begründete,
gab der Baukunst diesen Geist, den Geist der Monumentalität,
zurück. Unter seinem Zeichen wurde der neue Stil geboren, dessen
die Welt bedurfte.

Die neue Behandlung des Aussenbaues macht sich zunächst mit
dem Detail erst wenig zu schaffen : ihr erstes Ziel, und während der
ganzen Dauer des romanischen Stils ihr wichtigstes, ist die Aus-
gestaltung des Baukörpers zur rhythmisch bewegten Gruppe.
Wir erkennen darin jenes gleichsam im Lebenszentrum des roma-
nischen Stils gelegene Prinzip wieder, d€s' wir so oft schon und in
den verschiedenartigsten Aeusserungen beobachtet haben, an erster
Stelle in der frühromanischen Umbildung des überlieferten Grund-
risses. Gaben hierzu auch Kultusgebräuche oder andere praktische
im Bereiche der inneren Raumgestaltung liegende Rücksichten den
ersten Anstoss, so traten doch — da man mit Fug aus der erreichten
Wirkung auf die Absicht schliessen darf — rein künstlerische Ge-
sichtspunkte alsbald hinzu. Mit den mannigfachen neuen reicheren
Chormotiven, der häufigen Verwendung des Querschiffes (welches, wie
man sich erinnere, in der frühchristlichen Epoche eine seltene Aus-
nahme gewesen war), vollends der Erweiterung zur doppelchörigen
und doppeltranseptialen Anlage — mit allem dem war das einfache
Bildungsgesetz der alten Basilika bereits überstiegen und stellte sich
eine energischere Gliederung des Aussenbaus ganz von selber ein.
Wir haben an die durchschlagende Wichtigkeit dieses Verhältnisses
hier indes nur erinnern wollen; auf die einzelnen Motive, nachdem
sie in den früheren Kapiteln ausführlich erörtert worden, zurückzu-
kommen, kann füglich entbehrt werden. Und so wenden wir uns
sogleich zu dem, was dem Aussenbau als solchem und ihm allein
angehört und worin der romanische Stil seine eigenartigsten Gedanken
ausspricht.

Der einfache Longitudinalbau der altchristlichen Basilika hatte
in den langgestreckten, ungebrochenen Horizontallinien des Dachwerks
seinen naturgemässen Abschluss nach oben empfangen; die lebhaftere
Bewegung aber, die nun vom Grundriss aufsteigend in die Baumassen
gekommen ist, drängt über sie hinaus, strebt sie zu überwachsen.
Und dieser Ueberschuss der Kräfte erzeugt eine neue, zweite Ordnung
von Baugliedern, in der erst das Ganze seinen organischen Schluss
findet: die Türme und Kuppeln. Dieselben sind von der inneren
 
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