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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 15.1994

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Altner, Günter: Die ökologische Frage als eine Herausforderung für eine Ethik der Mitkreatürlichkeit bei der technischen Gestaltung von Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.31839#0021

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Ordnung zu sein, dann plötzlich schlägt die
Belastung, die zunächst unsichtbar war, durch.

Und das heißt viertens: Wir werden im Blick auf
die Eingriffe in natürliche Zusammenhänge auf
Zukunft hin immer mit dem Faktor des Nicht-
Wissens bzw. des Noch-nicht-Wissens laborie-
ren müssen, gewissermaßen als Grundsatz
einer präventiv orientierten Verantwortung.

Insgesamt könnte man sagen, ob das nun die
Verbrennung fossiler Energien betrifft oder ob
es nun die Belastung von Luft, Boden und
Wasser oder den Artentod betrifft, in das
gut funktionierende System der Biosphäre
wurde im Zuge der Industrialisierung und der
Zunahme des Bevölkerungszuwachses eine
immer größer werdende Zahl künstlicher Unter-
systeme hineingesetzt: Siedlungen, Verkehrs-
netze, Fabriken, Kraftwerke, landwirtschaftliche
Großbetriebe, Stauseen, Brücken und Häfen,
die zu jener Agglomeration menschlicher Wer-
ke geführt haben, aber eben auch zu jenen
Schad- und Belastungseffekten, wie wir sie viel-
fach beobachten und wie ich sie anhand der
C02-Kurve noch einmal dargetan habe.

2. Besinnungen im Grundsatz.

Diese Konturen der Sprungkurve als Krisenan-
zeige des Mensch-Natur-Verhältnisses hat eine
sehr grundlegende Diskussion in der Öf fentlich-
keit über Sinn und Wesen menschlicher Exi-
stenz ausgelöst. Mit Recht wird darauf hin-
gewiesen, daß angesichts solcher Entwicklun-
gen der Mensch in seinen kulturellen Möglich-
keiten und in seinem kulturellen Fortschritt als
eigentümlich egoistisch und selbstversessen
erscheint, als eigentümlich unge-schichtlich,
wenn es darum geht, mit der Kulturgeschichte
an die Naturgeschichte anzuknüpfen, und ins-
gesamt als eigentümlich uneinfühlsam, wenn
man den Kulturauftrag des Menschen als eine
besondere Form der Naturgestaltung verstehen
würde.

Die anthropologische Frage ist also im Zusam-
menhang mit dem, was wir als die Umweltkrise
bezeichnen, eine fundamentale Frage der öf-
fentlichen Auseinandersetzung geworden. Sie
spiegelt sich in sehr verschiedenen Positionen
und Varianten der Selbstbewertung des Men-
schen. Es ist in diesem Zusammenhang durch-

aus aktuell, auch wieder Blaise Pascal, den gro-
ßen Mathematiker des 17. Jahrhunderts, zu zi-
tieren, der den Menschen damals zu seiner Zeit
so gekennzeichnet hat: "Welche Chimäre ist
also der Mensch, welche Neuheit, welches
Monstrum, welches Chaos, welches Gefäß des
Widerspruches und welches Wunder, Richter
aller Dinge, armseliger Erdenwurm, Verwalter
der Wahrheit, Kloake der Unsicherheit und des
Irrtums." Das, was Pascal hier als die Ambiva-
lenz des Menschen kennzeichnet, auf der ei-
nen Seite Verwalter der Wahrheit, auf der
anderen Seite Kloake und Abgrund der Selbst-
zerstörung, ist etwas, was heute angesichts der
Dimensionen der Überlebenskrise, wieder vie-
len Menschen bewußt zu werden beginnt. Die
einen reagieren auf die Krise mit Pessimismus
und Apokalyptik, die anderen reagieren darauf
mit vorschnellen optimistischen Technik-
entwürfen. So wie der Mensch als naturunter-
werfendes Wesen immer technische Möglich-
keiten gefunden hat, Krisen zu überwinden, so
wird gesagt: So wird es wohl auch in der Zu-
kunft sein und werden wir uns aus dieser Schlin-
ge der Überlebenskrise ziehen.

Für die pessimistische Variante ist besonders
markantdas Buch des Philosophen Ulrich Horst-
mann 'Das Untier'. Horstmann vertritt in diesem
Buch nach einer langen historischen Analyse
die Auffassung, daß die Menschheitsgeschich-
te ja eigentlich immer schon eine Geschichte
des Hauens, Hackens, Mordens und Schädel-
spaltens gewesen sei, der Selbstzerstörung.
Und heute, da wir nun über die technischen
Möglichkeiten verfügen, uns selbst zu zerstö-
ren, müssen wir, sagt er, diesen ambivalenten
Sinn der menschlichen Natur einlösen. Eine
pessimistische, zynische Variante, die uns we-
nig befriedigt, weil sie an der Tatsache vorbei-
geht, daß die menschliche Kulturgeschichte
gerade auch im Blick auf das Natur-Kultur-Ver-
hältnis ja auch symbiotische Beispiele enthält,
Beispiele des gelungenen Einklangs zwischen
Mensch und Natur. Ich erinnere für unseren
Kulturzusammenhang an bestimmte Phasender
mittelalterlichen Entwicklung, an die indiani-
schen Kulturen. Aber auch die ganzen Aspekte
der Sozialität und der Gerechtigkeit werden bei
dieser negativen Philosophie des Menschen
übersehen.

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