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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 15.1994

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Altner, Günter: Die ökologische Frage als eine Herausforderung für eine Ethik der Mitkreatürlichkeit bei der technischen Gestaltung von Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.31839#0022

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Ich denke, es bleibt, wenn wir die Überlebens-
krise als eine tiefgehende Krise des Menschen
ernst nehmen wollen, nichts anderes übrig, als
zunächst von dieser rätselvollen Ambivalenz des
Menschen auszugehen, der ein Wissender ist
und trotz dieses Wissens einer ist, der immer in
der Gefahr steht, sich selbst zu zerstören. Es
bleibt nichts anderes übrig, als von dieser Am-
bivalenz als Grundstruktur des Menschen und
damit auch Grundstruktur und Rahmenbedin-
gung der menschlichen Verantwortung auszu-
gehen.

Auch Günter Anders, der Wiener Technik-
philosoph, ist von diesem Widerspruch in
einer speziellen Variante seines technik-
philosophischen Ansatzes ausgegangen. Er
unterscheidet zwischen dem älteren Stammhirn
des Menschen, das Grundlage des Gefühlsle-
bens des modernen Menschen ist, und der in-
strumentellen technischen Entwicklung, die
durch den neueren Teil des menschlichen Ge-
hirns, durch das Großhirn hervorgebracht wor-
den ist. Und er sagt, im Grunde genommen
dominiert das Stammhirn immer noch den Men-
schen, und das macht seine Unfähigkeit aus,
mit den technischen Konstrukten, die ihm sein
Großhirn geschenkt hat, umzugehen. Und aus
diesem Grunde spricht er von der Antiquiertheit
des modernen Menschen. Ermorden, so sagt
er, können wir tausende, uns vorstellen vielleicht
zehn Tote, beweinen oder bereuen aber höch-
stens einen. Vor dem Gedanken der Apokalyp-
se aber streikt die Seele, der Gedanke bleibt
ein Wort.

Interessanterweise hat diese anthropologische
Diskussion über die Ambivalenz des Menschen
im Umgang mit sich selbst und mit der Natur
aber auch neue ethische Ansätze hervorgeru-
fen, teilweise in Erinnerung, teilweise in Neu-
konzipierung, die mir in dieser schwer zu
klärenden Situation der Gespaltenheit des Men-
schen weiter zu führen scheinen. Ich erinnere
hier, wiederum exemplarisch, an drei Ansätze,
die relativ nah beieinander liegen.

Vor einigen Jahren wurde in Österreich ein sehr
prominent besetztes Forum 'Österreichische
Naturwissenschaftler für den Umweltschutz'
gegründet. In der Grundsatzerklärung dieser
Gruppe heißt es: „Jede Form von Leben ist
einzigartig und muß unabhängig von ihrem
augenblicklichen Nutzwert für den Menschen

geachtet und im Sinne einer elementaren
Kulturleistung vor gedankenloser Ausrottung
bewahrt werden“. Hier wird auf die Geschicht-
lichkeit der Natur und die Einmaligkeit der Natur-
formen hingewiesen, und es wird gesagt:
Gerade angesichts der Tatsache, daß Natur
keine gleichbleibende feststehende Größe ist,
sondern Geschichte, Dynamik, Werden und
Vergehen, Entstehen von Arten, kann mensch-
liche Verantwortung in der Krise des Artentodes
nichts anderes heißen, als daß sich der Mensch
der gebrechlichen Einmaligkeit und Historizität
der Lebensformen stellt und sie in seiner Zeit
möglichst zu erhalten versucht.

Radikaler noch, und das ist die zweite Position,
die ich gleich daneben stelle, formuliert Hans
Jonas. In einem Jubiläumsvortrag anläßlich '100
Jahre Hoechst - Chemie in Frankfurt', hat er den
Satz formuliert: „Wir müssen wieder Furcht und
Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu
vor dem Heiligen“. Hans Jonas, sehr wohl wis-
send, daß wir in einem nachmetaphysischen
Zeitalter leben, was nicht zuletzt darin zum Aus-
druck kommt, daß die Welt für uns verfügbar
geworden ist, zur Sache, zum Rohstoff dege-
neriert ist, weist darauf hin, daß bei einer tiefe-
ren Betrachtung der Welt, der Naiurgeschichte,
der Lebenszusammenhänge die Tatsache zum
Vorschein kommt, daß wir die Welt nicht herge-
stellt haben, sondern das sie uns im Zuge ei-
nes langen Werdeprozesses zukommt als etwas
Unverfügbares, was wir nicht gemacht haben.
Das gilt auch für das menschliche Leben. Und
Hans Jonas scheut sich nicht davor zu sagen,
daß dieses Wissen um die Unverfügbarkeit und
Geschichtlichkeit der Naturzusammenhänge
von uns so ernst genommen werden müsse,
daß wir diese Dinge wie etwas Heiliges - ob-
wohl der Begriff des Heiligen vergangen ist -
ernst zu nehmen, zu pflegen, zu tragen und
weiterzuführen haben.

Beide Positionen berühren sich mit dem, was
Albert Schweitzer schon um die Jahrhundert-
wende unter dem Stichwort der Ehrfurcht vor
dem Leben formuliert hat. Albert Schweitzer hat
damals, und das sei die dritte Position, die heu-
te von vielen Menschen wieder erinnert wird,
das sei die dritte Position, die ich hier kurz kenn-
zeichne, Albert Schweitzer hat damals den Satz
formuliert: "lch bin Leben, das leben will,
inmitten von Leben, das leben will." Ein sehr
nüchterner, realistischer Satz. Albert Schweit-

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