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mische Kunst
Beiblatt: Has Atelier.
Zllustn'rte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen.
(Lentral-Grgan deutscher Kunst und Künstler Dereine.



preis vierteljährlich 2.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. 1174.

Herausgegeben von
Deorg Malkowskii.
Schriftleitung und Verwalkurig Berlin ^V.57, Skeimnehstr. 26.


Publikationsorgan des Deutschen Kunstvereins in Berlin, des Schlesischen Kunstvereins in Breslau, des kunstvcreins für das Großherzogthum Hessen in Darmstadt, des Anhaltischen Kunst-
vereins in Dessau, des Württembergijchen Kunstvereins in Stuttgart, des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins in kiel, der Kunstvereine in München, Dldenburg, Mannheim, Nürnberg, Gera,

Uv. 1.

15. Oktober 1898.

III. Jahrgang.

Hans Thoma's Volkskunst.

Von Jos. Ang. Vermeer.

W

eckt dieser Name nicht bei Allen, die ihn kennen, etwas
wie ein Heimgefühl? klingt er nicht wie ein Sehn-
suchtslaut nach stillen Bergthülern, sonnigen Hoch-
ebenen, blumigen Haiden, rauschenden Strömen und

lauschigen Vachufern, nach blauem Himmel und lichtweißen
Wolken? Steigen da nicht Gesichte und Bilder vor uns auf,
wie sie nur reine, fröhliche und tapfere Kinderherzen erträumen,
erleben und erdenken können? Und diefes verträumtsein und

Sichheimlichfühlen, ist es nicht ein Urlaut deutschen Empfindens?
Hans Thoma verkündet das innerste Leben der deutschen
Volksseele. Er hat ihr edelstes Empfinden in sich ausgenommen
und in verklärter, durchgeistigter Schönheit in seine Kunst zurück-

gestrahlt.
wenn im Folgenden von der Volkskunst Thoma's, wie sie
durch seine Drucke und Federzeichnungen repräsentirt wird, die
Rede ist, so bezieht sich dieser Ausdruck auf diese aus dem
Volksempfinden heransgewachsene Kunst, die ihrerseits wieder-
geeignet erscheint, das Volk zu höheren künstlerischen'Genüssen zu
erziehen.
Cs ist nicht ohne Bedeutung, daß Hans Thoma gelegentlich
immer wieder auf die Bauernkunst feiner Heimath hinweift. Kur-
in einer vom modernen Verkehr mit seinen zerfetzenden Einflüssen
und seinen uniformirenden Wirkungen abseits liegenden Welt
konnte unter dem Einflüsse langgepflegter Traditionen ein Künstler
erwachsen, der wie ein Wunder in unserer Zeit steht.
Thoma's Heimath Bernau bei St. Blasien ist stets eine
Heimstätte bäuerlich primitiver Kunst gewesen. Er selbst schreibt
einmal: „Cs gab früher in Süddeutschland und giebt es vielleicht
in Bauern und Tirol noch eine höchst primitive rohe Bauernkunst.
Kruzifixe und Heiligenbilder wurden auf Glas gemalt, Haustrer
trugen sie herum auf dem Lande, besonders zur Winterzeit.
Truhen und Schränke und oft auch Fensterladen bei wohlhaben-
den Leuten wurden mit Blumensträußen bemalt, und zwar gar
nicht schlecht." — was der Schwarzwälder „Schildmaler" an
pflanzlichen Motiven für die Verzierung der Gebrauchsgegenftände
brauchte, entnahm er der ihn zu allernächst umgebenden Ratur,
indem er, schlicht stilisirend, den Charakter der Pflanzen zu
treffen suchte. Anklänge an diese Kunst sind auf den rührend
schönen Drucken des „Bauern" und der Mutter Thoma's zu
sehen, was in Thoma zu so herrlicher Blüthe gelangte, gleicht
einer Kondensation künstlerischen Sehens und Schaffens von
Geschlechtern her. Er empfand die Schwingungen der Sehnsucht
nach Schönheit und nach einer inhaltstiefen Gemüthssprache. Er
wußte, daß das Volk keine Thatsachenbilder haben will, sondern

Poesien, an denen die immerfort schaffende und zeugende Ein-
bildungskraft Nahrung finden, weiter gestalten und Neues ge-
bären kann.
Thoma ist ein Dichter, wie Hebel trifft er den Volkston
und weiß durch glückliche, in ihrer realen Existenz glaubhafte
und anmuthige Personifikationen feine Darstellungen auf eine
höhere Stufe hinaufzuheben. Auch wo er antike Fabelwesen in
unseren Vorstellungskreis einführt, bringt er uns ein Kulturelement
zu, weil er die heidnische Fabelwelt in unsere Sprache übersetzt.
Die gleiche Nähe, die Hebel zu Pflanzen und Thieren, zur Natur
der Heimath fühlt und die ihm die Plastik des Ausdrucks ver-


Hans Thoma Selbstbildnrß.
 
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