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Mutsche Kunst.

Kriblatt: Has Atelier.
Zllustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen.
Zentral-Drgan deutscher Kunst- und Künstler-Vereine.

preis vierteljährlich S.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. U74.

Herausgaben von
Georg MalirowMu.
Schriflleilung und Verwaltung Berlin V7.57, Steinmehstr. 26.


Publikationsorgan des Deutschen Kunstvereins in Berlin, des Schlesischen Kunstvereins in Breslau, des Kunstvereins für das Großherzogthum Hessen in Darmstadt, des Anhaltischen Kunst-
vereins in Dessau, des lvüittembergijchen Kunstvereins in Stuttgart, des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins in kiel, der Kunstvereine in München, Dldenburg, Mannheim, Nürnberg, Gera,
Altenburg, Elberfeld, Barmen, Bielefeld, Görlitz, Danzig, Königsberg, Stettin u. a.

Ur 16.

25. Airgrrst L8SS.

IH. Jahrgang.

Die Worpsweder.
Bon Hans Marshall.

HUM») ousseau ist schon für Vieles verantwortlich gemacht
worden. Mr pecht gibt er den Sündenbock für jenen
als „Klassizismus" bezeichneten Irrgang der Kunst
nach Natürlichkeit ab. Die jüngere Zeit hat eine
Reihe ernster Männer und närrischer Käuze als Jünger des
großen Apostels aufzuweisen, vom zielbewußten und konsequenten
Tolstoi bis zu Heinrich Pudor, der in den „Nackenden
Menschen" ein nicht einmal über eines Menschenalters kurze Spanne
hinausschallendes „Jauchzen der Zukunft" angeschlagen hat, da-
zwischen als Vermittler von einsichtsvoller Weisheit und
originalitätssüchtiger Narrheit die Naturfanatiker Gutzeit und
Dieffenbach. In solchen Erscheinungen spricht sich ein all-
gemeiner Zug der Zeit als Extrem aus. Cs ist der Zug des
kulturmüden, modernen Menschen zur Natur; in ihm äußert sich
das Gefühl der Regenerirungsbedürftigkeit, das in des russischen
Grafen freiwilliger Verbauerung seinen beachtenswertesten und
allgemeinsten Ausdruck gefunden hat. Diese Lebensanschauung
aus Ueberdruß, die im Rückschritt zur Primitivetät des Bauern-
thums ihr einzig erstrebenswerthes Ziel sieht, hat auch in der
modernen Malerei künstlerische Gestalt gefunden, die Rousseau
schon ähnlicher sieht als der leblose Schatten des Griechenthums.
Zufällig ist einer der französischen Maler, die in den Wäldern
von Barbizon die Landschaft erst empfinden lernten, auch Träger
des Namens Rousseau. Mögen er, Daubigny, Corot und
Millet bewußt auch nur künstlerischen Interessen, der Lust an
den Stimmungsreizen freier Natur, in die Einsamkeit gefolgt
sein, unbewußt gingen sie doch der allgemeinen Sehnsucht nach
heraus aus der Stadt, aus der — Schule. Sie hat auch dem
inneren Kern von biederem Bauernthum in eines Hans Thoma
Kunst Verständniß verschafft. Der ehrliche Lei bl und der
Märchenerzähler C. kreid olf suchten und fanden für sie Be-
friedigung in der kulturfernen Sphäre des Landlebens, Segantini
wurde groß und blieb frei in der Luft des Engadin; hier vor
der staub- und rauchfreien Gebirgsnatur überkam ihn das
kosmische Gefühl, das sich uns in seiner Kunst, die spröde ist wie
eine Landschöne, bald in fast unmittelbarer naiver Mische, bald
mystisch tief offenbart. Immer mehr Künstler folgen der be-
kannten Mahnung: er muß auf's Land! Zu Gruppen finden sie sich
zusammen und nennen sich nach dem Dorfe, in dem sie Hausen und
schaffen. Um im Moor bei München die schottische Landschaft zu ent-
decken,scharten sich dieDachauer umDill zusammen. Sowanderten
im Juni 1889 auch drei junge Maler in die Sommerfrische. In

einem Dörfchen, wenige Stunden nordöstlich von Bremen, da wo
die Müßchen Hamme, Wümme und worpe mit vielfach ver-
zweigten Kanälen die Moorlandschaft dem Schoße der Nordsee zu
durchfließen, wo niedere, strohgedeckte Hütten sich an den birken-
umrauschten weyerberg lehnen, setzten sie sich fest und malten
Land und Leute in einem weltverlorenen deutschen Winkel. Hier
fühlten sie behaglich die Stimmung der Storm'schen Verse:
kein klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
Als nun der Herbst kam und an Birken, Moorboden
und Möchten, auf Haide und wiese das wunderbare Paradoxon
des bunten Entfärbens lodernd in Erscheinung trat, da wußten
die jungen Maler, die eigentlich nur vier Wochen hatten bleiben
wollen — so erzählt einer von ihnen —, nicht ein noch aus ob
solcher Pracht. Längst schon war ihre Ruhe hin, ihr Herz
schwer, wenn sie an die Abreise und an die staubigen Säle der
Akademie dachten, die ihrer harrten.
Schon standen die Koffer gepackt, als man beschloß, ge-
meinsam noch einen Gang durch das Moor zu machen; es sollte
der letzte sein. Doch es kam anders. Stundenlang waren sie
schon wortkarg gewandert, jeder bemüht, sich für die M Winter
zu malenden Bilder seinen Vorrat an Eindrücken noch zuguterletzt
zu vermehren. Auf einer alten baufälligen Moorbrücke machten
sie endlich Halt, und einer meinte schüchtern, ob man nicht diesmal
Akademie Akademie sein lassen und den Winter über statt dort
lieber hier zubringen sollte. Go mochte ein jeder schon still für
sich gedacht haben; nun war das Cis gebrochen, und jubelnd
ward dem Sprecher zugestimmt. Sie ließen den Gedanken zur
That werden und haben es in der Mlge nicht zu bereuen
gehabt."
Das Dörfchen, wo die drei Maler heute noch weilen, heißt
„Worpswede". Ihre längst berühmten Namen sind Mitz
Mackensen, Hans am Ende und Mitz Dverbeck. Heute,
nachdem sich noch Heinrich Vogeler, Otto Modersohn und
Karl Vinnen zu den drei Gründern der Kolonie gesellt, und
sich die sechs wiederholt und immer unbestrittener warmer An-
erkennung erfreut haben, frappirt eine Ausstellung der „Worps-
weder" längst nicht mehr so, wie im Jahre 1895, als sie zum
ersten Male in München ausgestellt und dem Glaspalaste seinen
„clou", den er immer nötiger hat, bescheerten. Man hat sich
an ihre Eigenart gewöhnt, ohne darum die Macht ihres Eindrucks
weniger zu empfinden, „was ist das Eigenartige an den Bildern
 
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