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25

Deutsche Kunst.

und sentimentalen Kaprizen, überspannt, in müder Be-
gierde, ganz Rerven. Wenn man dem Ausspruche
eines Franzosen: „ä vrui ctire eile es« route 1'afticUe!"
glauben darf, ist die moderne Frau auf der Affiche an
ihrem Platze. Ich hatte vor einiger Zeit Gelegenheit,
auf einer Ausstellung ausländischer, vorzugsweise fran-
zösischer Kunstplakate bei Amsler u. Ruthardt das
moderne Leben als aufregende, bunte phantasmagorie
auf mich wirken zu lassen und an den schlanken Frauen-
gestalten eines Mucha und Privat-Livemont die
Extreme zu studieren, die sich zum modernen Weibe er-
gänzen.
Da hing von Mucha ein großes, prächtiges Bier-
plakat. Lin üppiges, sinnliches Mädchen, den geschmei-
digen, lässig bewegten Körper leicht von dunkelviolettem
Gewände umhüllt, umwallt von den langen Schlangen-
linien stilisirten Kaares, hält ein Glas voll schäumenden
Gerstensaftes; ein voller Kranz von Weizenähren, Hopfen-
ranken, flammenden Mohnen und anderen Feldblumen
schmückt ihr Haar. Wirksam hebt sich die Gestalt vom
gelben Hintergründe ab, den blaue Hopfenstangen über-
gittern. Alle Frauengeftalten Mu cha's, seine Jahres-
zeiten auf einen« Wandkalender, seine Poesie, die
Figur auf dem Plakat In rrappistins sind stark und


bewegt konturirt, rafstnirt im duftigen Kolorit, symbo-
listisch durch ihre Stilisirung, im Charakter ausgeschnittener
Einlegearbeiten gehalten. Zeichnung und Farbe sind auf Fernwirkung
berechnet. Seine Frauen und Mädchen preisen an durch kokettiren. Frei
in der Bewegung und im Ausdruck, mit einem echt französischen
Demimonde - Anstrich scherzen sie auf einem Plakat des „rlrsatrs cie
la rcnai88ancs" in einer Szene aus M. Donnay's Komödie „Amante".
Das Weib des Belgiers priv at-Liv emont dagegen auf dem Anschlag
für den Kakao van Houten und das Auerlicht hat etwas Unnahbares,
beinahe keusches. Livemont's Strich ist nicht so kühn wie der Mucha's,
zarter und härter, sein Stil noch schlichter, dem Japanischen ähnlich, seine
Linie rein und streng, seine Form ungezwungen und elegant. Das Auer-
plakat ist in der Erfüllung seines Zweckes mustergiltig. Die weiße Frauen-
gestalt auf dunklem Grunde strahlt von Licht, das als stilistrte Blumenglocken
dargestellte Beleuchtungskörper blendend ausströmen. Was gesagt werden
soll, ist klar ausgedrückt, anschaulicher als Worte, die das wirksame Bild
vollständig überflüssig macht, es vermöchten. A. willette's niedliche, tralle
Holländerin dürfte als leibhaftige Erscheinung mit ihrer Aufforderung: prene-
Lucuo van lckomen! die man sich in solcher Form eher gefallen läßt als
unjere bekannten aufdringlichen Imperative: Wasche mit Luft! — koche mit
Gas! — Lade zu Hause! allenthalben Gehör finden. Japanischen Einfluß
verräth am meisten Gisbert Lombaz; wie er hat auch Grasset auf
einem Anschlag mit einem von bewegte«« wogen getragenen Segelschiffe die
Linie schematistrt. Reich und saftig in Kolorit ist ein schönes Blatt mit
Pfauen. Ls könnte als Vorlage zu einem Wandteppich in der Art von
Eckmann's Schwanentapete dienen. CH er et ist der roi äe l'atkclre.
voi« Lautrer sah ich ein wirkungsvolles Plakat für den Salo«« des
Cent; Stein len, der dem erblühten Weibe das naive, unschuldige Kind
vorzieht, ist der Humorist der Franzosen. Sonst herrscht ii« ihren Arbeiten
weniger Humor als launige Travestie, weniger Naivetät und Harmlosigkeit
als Raffinement und ein Zug gefälliger Frivolität. Die englischen Plakat-
künstler sind dagegen gesetzt und nüchtern, ihre Zeichnung ist scharf und be-
stimmt im Umriß. Auch im Kolorit sind die englische«« Plakate einfacher
als die französischen; die Farben sind auf ihnen in großen Flächen ge-
sammelt und nebeneinandergestellt, wodurch nicht bloß eine dekorative
Wirkung erreicht ist, sondern zuweilen auch intime Stimmung, wie auf einer
in grün und gelb gehaltenen Landschaft von Arthur W. Dw. Die Prin-
zipien des Plakatstils, wie sie in dei« französischen, englischen und ameri-
kanischen Anschlägen zum Ausdrucke kommen, Einfachheit und Klarheit in
Zeichnung und Kolorit, das Wirken durch starkfarbige Gegensätze, Sparsamkeit
in dei« Mitteln und flächenhafte Behandlung haben sich auch deutsche Künstler
zu eigen gemacht; aber eines fehlt ihnei« noch vielfach, was bei jenen so ge-
fällt und was nicht gut zu erlernen ist, Geschmack. Bradley, dessen Um-
randung durch weiße Linien in Deutschland besonders geübt wird, Wood-
bury werden nachgeahmt, aber in ihrer Grazie und der Eigenart ihres Stils
nicht annähernd erreicht. Wie wenig sinnvoll, wie gesucht und grotesk in der

Lduard Hildebrandt, Las Palmas (Gran Lanaria).
Idee die deutschen Plakate häufig noch sind, beweist die deutsche Plakat-
Ausstellung in der Leipzigerstraße an mehr als einem Beispiel. Rur eine
Ungeheuerlichkeit sei hervorgehoben, deren Anachronismus ai« unfreiwilliger
Komik nichts zu wünschen übrig läßt. G. Brandt hat ein Ligarettenplakat
gemalt» dessen Werth ai« künstlerischer Durchführung leider aufgehoben wird
durch das Seltsame und Widersinnige der Idee. Lin Ritter ist in voller
Rüstung einen Felsen emporgesprengt und beugt sich von oben herab, um den
Duft einer im Abgrund glimmenden Cigarette mit dem Ausdrucke höchste««
Behagens einzuathmen. Gute Leistungen von Albert knab, Fritz Rehm,
Fritz Philipp Schmidt, Cisarz, Vanselow, Schmidhammer und
Rösl sind allerdings auch da und sie sind charakteristisch für die deutsche
Auffassung als gediegene ernste Arbeiten, in denen die Bildwirkung stärker
betont ist als bei den Franzose«« und alles Anstößige vermieden.
Cs fehlt ihnen aber auch die Leichtigkeit und das sprühende Lebe«« eines LH er et
und Forain. Einige Sachen, wie die Weißbier-Plakate voi« I. I. Acker-
mann, sind mehr als Genrebilder gedacht. Vielfach herrscht auch noch die
kleinliche Mache des Innenplakates vor, die nicht wie der Säulenanschlag für
die Straße auf eine große Fernwirkung Rücksicht zu nehmen braucht.
Man merkt eben allenthalben, daß die deutsche Plakatkunst noch jung ist
und sich erst noch zu einem eigenartigen, dekorativeren Stil entwickeln muß.
Ganz verfehlt ist ein Entwurf von p. Meyerheim. Die besten Leistungen
sind wohl die originelle«« Entwürfe von Albert knab. knab hat kein
bestimmtes Neklameobjekt im Auge und will nur mit den einfachen und
großen Farbenflächen, die er aus einem Motiv herauszieht, einen Hintergrund
für die Schrift gewinnen. So giebt er in seinen« grotesken Farbenstil eine
kleine Landschaft, die in ihrer Einfachheit das Auge fesselt. Die Silhouette
einer Windmühle und schwarze Tannenspitzen heben sich scharf von dem inten-
siven Gelb des Himmels ab. Voi« ihin muß sich jede Reklameschrift weithin
kenntlich abheben, ebenso von dem flammenden Roth, das aus dem Krater
eines Vulkans heraus sich über die ganze Fläche ergießt. Erwähnung ver-
dient auch noch Schlichting's bekannte Ivette Guilbert und das
Rährmehl-Plakat von Fritz Rehm, dem Schöpfer des bekannten Zigaretten-
plakats „Der Kenner".
Lin tüchtiger Plakatkünstler vermag wohl seine Ideen über das Zweck-
dienliche zu steigern, die Bestimmung des Anschlages aber und seine Her-
stellungsweise ziehen seinem Schaffen doch so enge Grenzen, daß die künst-
lerische Bedeutung des Plakates eine beschränkte bleibt. Der immer zu Tage
tretende Zweck kann keine rein ästhetische Wirkung aufkommen lassen; die
Weiterentwickelung des Plakates wird sich mehr auf technischem, kommerziellem
und industriellem Gebiete vollziehen als auf künstlerischem, auf dem es bald
den Gipfel erreicht haben wird. Für die Geschichte unserer Zeit werden die
Plakate einmal eine kulturgeschichtliche Bedeutung haben, für die Gegenwart
haben sie vor Allem eine wirthschaftliche, und daruin sind sie existenz-
berechtigt.
 
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