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Deutsche Kunst.
Kunst und Kunstsinn.
Nus dem Norwegischen von Alex. Kjellanö.
er Umstand, das; künstlerische Begabung sich oft bei dem
Einzelnen so ausgeprägt findet ohne nachweisbaren
Zusammenhang mit seiner Abstammung und seiner Um-
gebung, hat die Ansicht gezeitigt, das; die
Kunst nur für einige wenige, nur für einige Aus-
erwählte ist. Dazu kommt, daß die Walerei, diejenige
der bildenden Künste, die dem allgemeinen Ver-
ständnis; am zugänglichsten ist, sich beständig in
starker Entwickelung, mit einer für den Uneinge-
weihten sehr wechselnden phvstognomie befunden hat.
Und wir Norweger, die nur aus der F^erne
Theil genommen haben, insofern als wir unsere
Künstler in den Kampf hinausgeschickt haben, wir
haben den Eindruck der Entwickelung in mög-
lichst grellem Lichte empfangen.
Die ungeheuren Waffen von Bildern, die in
einem grossen Lande an der Wenschen Augen
vorübergleiten und ihre Sinne beschäftigen, machen
alle Uebergänge gelind, machen gleichsam die
Wogen lang, das Steigen und Sinken derselben
weniger plötzlich, weniger unbegreiflich, interessanter
und verständlicher als bei uns, wo das Fahr-
wasser eng ist und die Wellen hoch gehen. Uns
fehlt die große Wenge der Uebergangskünstler, deren
Arbeiten erklären und auf eine Neuerung vor-
bereiten. wenn unsere Künstler heimkehren mit
der „einen Kunst, die etwas werth ist", liegt hinter
ihnen nur ein tiefes Loch.
Die vorgeschrittensten Leute bei uns sind vor-
her gerade bis an dieses Loch gelangt, und nun
werden sie mit einer Sturzsee von Hohn über-
schüttet, weil sie noch so weit zurück sind und
Max Roch,
Die Walküre, Skizze.
nicht wissen, was eigentlich „Kunst" ist. Dann werden Einige
ganz kopfscheu und verbergen ihre stille Schwärmerei für Mond-
scheinbilder und italienische Mädchen tief in ihrer Seele; Andere
greifen zum Schwert und kämpfen wie rasend gegen das „Neue",
und prophezeien der „Klecks-Walerei" ein Ende mit Schrecken.
Die weiften aber werden verwirrt und müde, und diese kommen
versteht uno liebt. Auf dem Wege kamen wir an einen kleinen
Lach mit wenigen Bäumen, und ich stand still und machte den
Alten auf den reizenden Punkt in der Landschaft aufmerksam.
„Ach ja", antwortete der alte Leimkocher, „ein wunder-
schöner Platz zur Anlage einer Hornleimfabrik."
Da standen wir Leide und hatten unsere Freude an der-
nie zur Klarheit, nie zum Genuß der Kunst. Die Unklarheit in
ihnen verleitet sie, ihre Ohren bald diesem, bald jenem zu
leihen, während ihre beiden guten Augen ihnen nichts erzählen.
„Das ist Wangel an Kunstsinn", sagen die Eingeweihten.
Nein — es ist einfach nur Wangel an Kenntnis;.
Feder Genuß, der nicht gerade durch ein materielles Organ
empfunden wird, setzt kenntniß voraus und steigt mit vermehrter
kenntniß. Feder, der begonnen hat, Kenntnisse, in welcher Sache
es auch sei, zu erwerben, hat den Genus; empfunden, dieselben
anzuwenden und sie dabei wachsen und gedeihen zu fühlen.
Und weiter — im Verhältnis; wie des wenschen Kenntnis;
wächst, vermehrt sich seine Freude; selbst derjenige, dessen Lern-
fähigkeit sich nur mit einem Flache beschäftigt, selbst der wird von
seiner vermehrten Kenntniß eben dieses Faches Genüsse und
Freuden haben, von denen er vorher nichts ahnte.
Nur der höchstkultivirte und allseitig gebildete Wensch hat
solches Auge und solche Auffassungsgabe, das; sich ihm Alles so
darstellt, wie es wirklich im Leben ist.
Der allermeisten wenschen Bildung ist so begrenzt, das; das,
was sie in einer Sache wissen, ihnen wie ein Licht durch Gefilde
dienen muß, die ihnen unbekannt sind. Fhre Kenntnisse färben
das, was sie sehen, mit der ,Farbe ihres Faches; das, was sie
in Wirklichkeit nicht verstehen, weil es ihnen an Kenntnis; fehlt,
das verstehen sie mit Hilfe der Kenntnisse, die sie sich auf einem
anderen Gebiete erworben haben; mit einem Worte, sie mißver-
stehen, aber sie sind vergnügt dabei.
Fch ging einmal mit einem alten Leimkocher spazieren; er
erklärte mir alle Feinheiten der Leimkocherei, von der ich nichts
wußte, und er war mir interessant, wie Jeder, der seine Arbeit
selben Sache, aber Feder auf feine Art, Feder nach seiner Kennt-
nis;; ich fand in meinem stillen Sinn, das; mein Begleiter ein
schnurriger alter Leimkocher sei, und wenn er geahnt hätte, das;
ich die Natur bewunderte, die Natur selbst ohne Hornleim, so
hätte er mich ganz gewiß eben so schnurrig gefunden.
Jeder kann an sich selbst erfahren, wie die ^Freude mit der
Kenntnis; kommt, wie selbst ein todter Gegenstand einen ganz
anderen Werth, ein ganz anderes Ansehen erhält, wenn nur
Femand da ist, der ihn erklären kann und Eins oder das Andere
davon zu erzählen weiß, wovon wir vorher nichts wußten.
Und diese erhöhte Einsicht kann ein Sporn werden; ein
Eifer kann sich daraus entwickeln, der weit hinein in neue
Kenntnisse und neue Freuden führt.
Deshalb ist es so erfreulich, einen kenntnißreichen Menschen
zu treffen, sowohl weil die Unterhaltung mit ihm interessant ist,
als weil die Gedanken dadurch angeregt und vorwärts getrieben
werden.
Wohl Mancher ist auf seinem Felde umhergetrottet und hat
nur Pilze und Steine gesehen, bis dann eines Tages Femand
vorbeigegangen ist und ihn gefragt hat, ob er schon viele kleine
blaue Schmetterlinge gesehen habe.
Ach was — Schmetterlinge! — Ob man wohl Zeit habe,
solch unnützen Dingen nachzugucken!
Und dann hat er erfahren, das; Maden und Schmetterlinge
dasselbe seien — ja und Maden, die kannte er wohl, nur zu
wohl — mit Maden und Unkraut hatte er genug zu thun. Und
dann wurde ihm erzählt, wie viel Maden von all den kleinen
Schmetterlingen und Fliegen und sonstigem fliegenden Gethier
herrührten, auf das er noch nie geachtet hatte, und von dem
Deutsche Kunst.
Kunst und Kunstsinn.
Nus dem Norwegischen von Alex. Kjellanö.
er Umstand, das; künstlerische Begabung sich oft bei dem
Einzelnen so ausgeprägt findet ohne nachweisbaren
Zusammenhang mit seiner Abstammung und seiner Um-
gebung, hat die Ansicht gezeitigt, das; die
Kunst nur für einige wenige, nur für einige Aus-
erwählte ist. Dazu kommt, daß die Walerei, diejenige
der bildenden Künste, die dem allgemeinen Ver-
ständnis; am zugänglichsten ist, sich beständig in
starker Entwickelung, mit einer für den Uneinge-
weihten sehr wechselnden phvstognomie befunden hat.
Und wir Norweger, die nur aus der F^erne
Theil genommen haben, insofern als wir unsere
Künstler in den Kampf hinausgeschickt haben, wir
haben den Eindruck der Entwickelung in mög-
lichst grellem Lichte empfangen.
Die ungeheuren Waffen von Bildern, die in
einem grossen Lande an der Wenschen Augen
vorübergleiten und ihre Sinne beschäftigen, machen
alle Uebergänge gelind, machen gleichsam die
Wogen lang, das Steigen und Sinken derselben
weniger plötzlich, weniger unbegreiflich, interessanter
und verständlicher als bei uns, wo das Fahr-
wasser eng ist und die Wellen hoch gehen. Uns
fehlt die große Wenge der Uebergangskünstler, deren
Arbeiten erklären und auf eine Neuerung vor-
bereiten. wenn unsere Künstler heimkehren mit
der „einen Kunst, die etwas werth ist", liegt hinter
ihnen nur ein tiefes Loch.
Die vorgeschrittensten Leute bei uns sind vor-
her gerade bis an dieses Loch gelangt, und nun
werden sie mit einer Sturzsee von Hohn über-
schüttet, weil sie noch so weit zurück sind und
Max Roch,
Die Walküre, Skizze.
nicht wissen, was eigentlich „Kunst" ist. Dann werden Einige
ganz kopfscheu und verbergen ihre stille Schwärmerei für Mond-
scheinbilder und italienische Mädchen tief in ihrer Seele; Andere
greifen zum Schwert und kämpfen wie rasend gegen das „Neue",
und prophezeien der „Klecks-Walerei" ein Ende mit Schrecken.
Die weiften aber werden verwirrt und müde, und diese kommen
versteht uno liebt. Auf dem Wege kamen wir an einen kleinen
Lach mit wenigen Bäumen, und ich stand still und machte den
Alten auf den reizenden Punkt in der Landschaft aufmerksam.
„Ach ja", antwortete der alte Leimkocher, „ein wunder-
schöner Platz zur Anlage einer Hornleimfabrik."
Da standen wir Leide und hatten unsere Freude an der-
nie zur Klarheit, nie zum Genuß der Kunst. Die Unklarheit in
ihnen verleitet sie, ihre Ohren bald diesem, bald jenem zu
leihen, während ihre beiden guten Augen ihnen nichts erzählen.
„Das ist Wangel an Kunstsinn", sagen die Eingeweihten.
Nein — es ist einfach nur Wangel an Kenntnis;.
Feder Genuß, der nicht gerade durch ein materielles Organ
empfunden wird, setzt kenntniß voraus und steigt mit vermehrter
kenntniß. Feder, der begonnen hat, Kenntnisse, in welcher Sache
es auch sei, zu erwerben, hat den Genus; empfunden, dieselben
anzuwenden und sie dabei wachsen und gedeihen zu fühlen.
Und weiter — im Verhältnis; wie des wenschen Kenntnis;
wächst, vermehrt sich seine Freude; selbst derjenige, dessen Lern-
fähigkeit sich nur mit einem Flache beschäftigt, selbst der wird von
seiner vermehrten Kenntniß eben dieses Faches Genüsse und
Freuden haben, von denen er vorher nichts ahnte.
Nur der höchstkultivirte und allseitig gebildete Wensch hat
solches Auge und solche Auffassungsgabe, das; sich ihm Alles so
darstellt, wie es wirklich im Leben ist.
Der allermeisten wenschen Bildung ist so begrenzt, das; das,
was sie in einer Sache wissen, ihnen wie ein Licht durch Gefilde
dienen muß, die ihnen unbekannt sind. Fhre Kenntnisse färben
das, was sie sehen, mit der ,Farbe ihres Faches; das, was sie
in Wirklichkeit nicht verstehen, weil es ihnen an Kenntnis; fehlt,
das verstehen sie mit Hilfe der Kenntnisse, die sie sich auf einem
anderen Gebiete erworben haben; mit einem Worte, sie mißver-
stehen, aber sie sind vergnügt dabei.
Fch ging einmal mit einem alten Leimkocher spazieren; er
erklärte mir alle Feinheiten der Leimkocherei, von der ich nichts
wußte, und er war mir interessant, wie Jeder, der seine Arbeit
selben Sache, aber Feder auf feine Art, Feder nach seiner Kennt-
nis;; ich fand in meinem stillen Sinn, das; mein Begleiter ein
schnurriger alter Leimkocher sei, und wenn er geahnt hätte, das;
ich die Natur bewunderte, die Natur selbst ohne Hornleim, so
hätte er mich ganz gewiß eben so schnurrig gefunden.
Jeder kann an sich selbst erfahren, wie die ^Freude mit der
Kenntnis; kommt, wie selbst ein todter Gegenstand einen ganz
anderen Werth, ein ganz anderes Ansehen erhält, wenn nur
Femand da ist, der ihn erklären kann und Eins oder das Andere
davon zu erzählen weiß, wovon wir vorher nichts wußten.
Und diese erhöhte Einsicht kann ein Sporn werden; ein
Eifer kann sich daraus entwickeln, der weit hinein in neue
Kenntnisse und neue Freuden führt.
Deshalb ist es so erfreulich, einen kenntnißreichen Menschen
zu treffen, sowohl weil die Unterhaltung mit ihm interessant ist,
als weil die Gedanken dadurch angeregt und vorwärts getrieben
werden.
Wohl Mancher ist auf seinem Felde umhergetrottet und hat
nur Pilze und Steine gesehen, bis dann eines Tages Femand
vorbeigegangen ist und ihn gefragt hat, ob er schon viele kleine
blaue Schmetterlinge gesehen habe.
Ach was — Schmetterlinge! — Ob man wohl Zeit habe,
solch unnützen Dingen nachzugucken!
Und dann hat er erfahren, das; Maden und Schmetterlinge
dasselbe seien — ja und Maden, die kannte er wohl, nur zu
wohl — mit Maden und Unkraut hatte er genug zu thun. Und
dann wurde ihm erzählt, wie viel Maden von all den kleinen
Schmetterlingen und Fliegen und sonstigem fliegenden Gethier
herrührten, auf das er noch nie geachtet hatte, und von dem