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Deutsche Kunst.

Schönheit der modernen Stilwandlung mit einen: prächtigen vorlagenwerte
eine Fülle neuer Motive zugeführt. Von Ernst Haeckel's „Kunstformen der
Natur" (Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig) ist die zweite
Lieferung erschienen, was in Best ll/I2 der „Deutschen Kunst" (Seite 219)
beim Erscheinen der ersten Nummer über die Bedeutung des Bilderatlas und
die künstlerische Ausführung der Lithographien durch Haeckel's langjährigen
Mitarbeiter A. Giltsch in Jena gesagt worden ist, kann bei dem zweiten
Beste nur wiederholt werden. Die Farbenpracht in dec Wiedergabe der
„Scheiben-Strahlinge" und „Staatsquallen" und die Feinheit der Zeichnung
in „Federkorallen" und „Palmensternen" ist überraschend. Bisher waren
dem kunstgewerkler diese formenschönen Organismen nur in Abbildungen
theurer und seltener Werke schwer erreichbar. Breckel macht sie jetzt mit
neuen, von ihm selbst auf seinen Reisen nach der Natur aufgenommenen
Figuren zum ersten Male durch die Herausgabe seines eigen- und einzig-
artigen, im Verhältnis; zu der schwierigen und kostspieligen Herstellung und
wirklich glänzenden Ausstattung sehr billigen Werkes auch weiteren Kreisen
zugänglich. Außer den schon hervorgchobenen Tafeln sind es noch die mit
der Wiedergabe von „Geißelhütchen", „Spangenquallen" und „Scheiben-
quallen", die nicht nur besonders anregende und verwerthbare Motive
enthalten, sondern auch schon von der Natur selbst geschaffene, fertige
kunstgewerbliche Gegenstände, die nur in fügsamem Material nachgebildet zu
werden brauchen. während Breckel mit seinen „üunstformen" dem
künstlerischen Schaffen und Bilden ein neues Gebiet erschließt, führt eine
andere Neuerscheinung, „Motivenschatz für modernes Kunstschaffen"
(Verlag von Gerhard kühtmann, Dresden), aus der uns bekannten und
vertrauten Fauna und Flora der Erde neben anregenden naturalistischen
Abbildungen und auf die Linie reduzirten Lebensformen nach den modernen
Grundsätzen gebildete Stilformen zum Theil gleich in ihrer Anwendung als
Borde oder Tapetenmuster vor. Die von C. H. Walter entworfenen Tafeln
geben neben eigenartig stilisierten Lilien als Flächenschmuck in der von
Japan ausgegangenen Darftellungsweife Schneeglöckchenstauden auf licht-
braunem, Kaiserkrone auf gelbgrauem und die grünen Blätter und stumpf-
gelben Blüthen von Goldregen und Löwenzahn auf rothem Grunde. Die
Farben sind immer licht gehalten und harmonisch zusammengestellt. Auch
B- E. v. Berlepsch, G. Mueller-Breslau und M. Meurer haben
Pflanzenstudien beigetragen. Als eigenartige, groteske Intarsienvorlage kann
die in weiß, Grün und Roth gehaltene Tafel C. Strathmann's gelten,
eines Künstlers, der auch in seinen figürlichen Oelgemälden einer den Grund-
bedingungen der Mosaik- und Textilkunst angepaßten Stilisirung huldigt.
Studien aus der Vogelwelt giebt A. Braeuer; M. Seliger hatLöwe, Bär
und Hund gezeichnet. Aus zwei Tafeln kommt die Formensprache zweier ver-
schiedener Stile in getreuer Wiedergabe ihrer charakteristischen Merkmale zur Dar-
stellung, die japanische in einer farbigen Flächendekoration, die nordische in
einigen Flachreliefs. Der „Motivenschatz" erscheint in zwanglosen Besten von
6—7 Tafeln. 5 Beste bilden eine Serie und kosten im Abonnement je
2,90 Mark, einzeln je 3,60 Mark. Das Werk kann Akademien und Kunst-
gewerbeschulen, Malern und Architekten sehr empfohlen werden, verdient aber
auch einen Platz im Banse, da es geeignet ist, in der viel gepflegten
Liebhaberkunst den Geschmack am Geschmacklosen zu verderben.

DerliN. — So gut die Ausstellung der Franzosen im Akademiegebäude
zur Romantik geneigte Gemüther für einen liebenswürdigen, versöhnlichen
Bändedruck des nationalen Erbfeindes halten konnten, darf eine kollektive,
etwas offiziell in Szene gefetzte Rundreise der deutschen Kunst in Rußland
schließlich auch mit einer mehr als rein künstlerischen Genugthuung begrüßt
werden, wer solche Veranstaltungen ernstlich für gegenseitige Sympathie-
bezeugungen der Großmächte und nachbarliche Annäherungsversuche halten
kann, ist um den hohen Flug seiner Phantasie zu beneiden. Unsere Bericht-
erstattung bleibt auf dem Boden nüchterner Thatsache und freut sich, auch ohne,
dank ihrer politischen Kurzsichtigkeit für eine neue Dreibundsperspektive, Malerei
und Skulptur ihres Selbstzweckes entkleiden zu können, jedes neuen Erfolges
der deutschen Kunst und aller Bestrebungen, ihr auch im Auslande eine unserer
politischen Stellung entsprechende Achtung zu verschaffen. Die deutsche Re-
gierung hat nach einer Vereinbarung mit der russischen die konstituirung
eines Konsortiums deutscher Maler, mit der Bürgschaft des Herrn Anton
von Werner an der Spitze, veranlaßt und diefes mit der Auslese einer
größeren Anzahl bester deutscher Bilder betraut. Die sollen dann durch Ver-
mittelung der russischen Regierung in Petersburg, Moskau und vielleicht auch
noch anderen größeren Städten Rußlands ausgestellt werden. Die Peters-
burger Ausstellung wird noch vor Weihnachten eröffnet werden. Hoffentlich

lassen sich die deutschen Maler in der Wahl der "Ausstellungsgegenstände von
anderen Gesichtspunkten leiten, als für die französische Ausstellung in der
Berliner Akademie maßgebend gewesen zu sein scheinen, und betrachten die
russische Tournee als eine kleine Kraftprobe für die pariser Weltausstellung,
wie sie dort aufzutreten haben, das kann sie ja die Kunstvisite der westlichen
Nachbaren lehren. Einen nachhaltigen Sieg kann man bei diesem inter-
nationalen Wettkampfe unserer königlichen Porzellan-Manufaktur verheißen.
In ihrem Verkaufslokal in der Leipziger Straße sind Proben neuer Leistungen
ausgestellt, die einen im Stillen regen, ganz von moderner Anschauung durch-
drungenen Eifer der berühmten Anstalt verrathen. Sie überrascht und entzückt
mit ihren Neuheiten, die zu dem Eigenartigsten gehören, was je aus dem
Institute hervorgegangen ist. Aus der Fülle des Schönen seien zunächst in
den Formen anmuthige Gefäße mit farbiger krystallglasur hervorgehoben. In
den Glasuren eingelagerte Kristalle schimmern bald mit Seidenglanz, bald
mit dem Leuchten von Edelsteinen und Gold aus den terrakottafarbenen und
gelben Tönen, dem Seladon, Grün und Silbergrau jener hervor, hier den
Eindruck von Schneekrystallen weckend, dort den in gefälligen Gebilden eine
Fensterscheibe überziehenden Eises. Die durch die Glasuren erreichten
koloristischen Effekte sind erstaunlich. In Farbe und Form kommt ein junger
frischer Geist zum Ausdruck, den neue technische Errungenschaften befähigt
haben, mit der Tradition zu brechen und Neues und Eigenartiges zu schaffen.
Durch freihändige Bildsamkeit, die ein Abformen und Abdrücken der Modelle
überflüssig macht, ist die Ausdrucksfähigkeit des Materials bedeutend erhöht
und die Grenze für ein freies künstlerisches Schaffen wesentlich erweitert. Am
entschiedensten hat mit dem Althergebrachten der talentvolle Metzner ge-
brochen, dem es gelungen ist, der Porzellanplastik in Form und Farbe einen
Stimmungsgehalt von ungeahnter Kraft und Tiefe zu geben. Geheimniß-
vollcr Schauer geht von seinen: starrblickenden Sphinxkopf aus, vor dem eine
Iünglingsgestalt sich beugt. Allerdings darf nicht geleugnet werden, daß
solche Arbeiten auf der Grenze des Zulässigen stehen; ein Schritt weiter und
jede Spur von Stil geht auf in naturalistischer Willkür, mit der die Porzellan-
plastik ihren Eharaktec ausgiebt. wie schon nach Erfindung des Porzellans
die Freude am Neuen eine Unterschätzung des Materials, die versuchte, cs
monumental zu verwerthen, zur Folge hatte, so kann man auch vor den neuen
Leistungen der königlichen Porzellanmanufaktur den Gedanken nicht unter-
drücken, dieser durch technische Erfindungen gesteigerte Schaffensmuth drohe ans-
zuarten zum Uebermuth. volle Anerkennung verdienen noch und werden bei
einer auf Jahre hinaus entscheidenden Lewerthung vor der ganzen Welt auch
finden, Gefäße mit gravirter Vergoldung und duftiger Bemalung, sowie zarte
vate-sur-pAte's. Lin harmonischer Farbenzauber blüht in den Verkaufs-
räumen der Porzellanmanufaktur, der in seiner keimfcische einen heiteren
Gegensatz bildet zu dem vergilben und welken in der Natur, d. h. für den
Berliner zu allernächst im Thiergarten. Dort schwindet für die weißen
Marmorgruppen der Siegesallee der lebendige, grüne Hintergrund; von grauem,
feiuen Dunst nur dürftig umsponnen enthüllt sich das schwarze Skelett der
Laumgruppen. In Paletots und Tapes gehüllt gehen die Spaziergänger die
Front der kalten Schneeriesen ab, freuen sich, einen neuen Mann darunter zu
sehen, den man doch gleich erkennt, nämlich den jungen alten Fritz — das
dritte Standbild des großen Königs in der an Denkmälern reichsten Stadt
Deutschlands — und suchen mühsam die in Majuskeln aller Stilarten ver-
zeichneten Namen der anderen Herrscher zu enträthseln, um auch ihre ober-
flächliche Bekanntschaft zu machen. In jüngster Zeit war der Zudrang be-
sonders groß. Er galt aber keineswegs einer künstlerischen That, sondern
vielmehr einem Vandalismus, dessen Kunde Manchen zum ersten Male ver-
anlaßt haben mag, die steinerne Ahnengalerie zu durchwandeln. Lubenhand
hatte einige der Standbilder, mit denen der Kaiser den Zugang zur Sieges-
säule bedeutungsvoll schmücken läßt, geschändet. Man denke sich ein Herrscher-
bild der Siegesallee, ja wenn es Schulze-Delitzsch gewesen wäre,
dann brauchte man sich nicht weiter aufzuregen. Aber diese Schandthat trug
ja revolutionären Lharakter, sie mußte darum streng gesühnt werden. Große
Aufregung herrschte in Spreeathen. An den Litfaßsäulen prangten rothe An-
schläge, die zunächst auf die Entdeckung des Verbrechers eine Prämie von 1000
und, als man sich erst besonnen hatte, daß man bei gewaltsamer Vernichtung
eines Menschenlebens auch nicht höher zu gehen pflegt, 800 Mark aussetzten.
Allerlei Zeitungen, auch solche, die sonst an der Denkmalsanlage in der
Siegesallee mancherlei auszusetzen hatten, flössen mit einem Male über von
Loyalität, politische Parteien steckten natürlich ihre Nasen in die Sache und
witterten mit reaktionärem Entsetzen den Unrath des Umsturzes, wie gesagt,
der Lärm war groß, und der Thäter, der auch ausgehauen zu werden ver-
diente, aber nicht von einem Bildhauer, kann sich darob als Held und höchst
 
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