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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0074

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nahen Berge spiegeln, die Straße entlang das Dorf Graun,
der Geburtsort Heinrich Natter's, des Bildhauers, der
nordischen Ernst und südliche Grazie mit einander verbindet.

Sein Vater lebt daselbst als einfacher Wundarzt; aber
seincnr inneren Drange folgend, eignete er sich eine Fülle des
Wissens an, die weit über die Grenzen hinausreicht, welche
Herkommen und örtliche Verhältnisse seiner Stellung. anweisen.
Erzählt doch sein Sohn mit freudigem Stolze, wie er dem
hochbejahrten Vater einen guten Theil seiner Kenntnisse in der
Anatomie verdanke.

Heinrich Natter ist am 16. März 1846 geboren. Schon
in den ersten Lebensjahren ward ihm die Mutter entrissen. Ein
Kind auf dem Arme ging sie über einen schmalen Steg, der
einen von Regengüssen jähe angeschwollenen Gebirgsbach über-
spannte. Ein Fehltritt und sie stürzte in die tobenden Fluchen,
ehe der wenige Schritte hinterdrein kommende Gatte zur Rettung
herbeieilen konnte. Verzweifelnd starrte er, den kleinen Heinrich
neben sich, in die unzugängliche Tiefe.

Die Schulen Tyrols erfreuen sich noch heute keines allzu
günstigen Rufes. Vor ein paar Jahrzehnten waren sie nicht
besser als ihr Ruf, und namentlich die Grauner Schule scheint
zu Anfang der fünfziger Jahre weniger geleistet zu haben als
dem strebsamen Wundarzt des Dorfes wünschenswerth schien.
Darum brachte er denn auch den siebenjährigen Jungen nach
dem kirschenreichen Dorfe Riez bei Telfs, wenige Stunden ober-
halb Innsbruck, um ihm die Zucht der Großmutter und einen
besseren Schulunterricht angedeihen zu lassen.

Sechs Jahre lebte Heinrich in Riez und, brachte innerhalb
dieser Zeit die Schule hinter sich. Damit trat auch an den
Vater die Frage heran, welchen Lebensweg er seinen Sohn
führen solle, der Lust zeigte, zu formen und Plastisch zu ge-
stalten. In Graun war natürlich seines Bleibens nicht. Da-
gegen lebte in Meran unten ein Bildhauer, Namens Bendel,
der sich herbeiließ, den Jungen als Lehrling in sein Geschäft
aufzunehmen, das vorwiegend Steimnetzarbeiten zu liefern hatte.
Da es aber mit der Bezahlung des Lehrgeldes sein Häkchen
hatte, so kam man schließlich dahin überein, der Junge habe
fünf Lehrjahre durchzumachen.

So kain Heinrich nach Meran, um in der Führung des
Meißels unterwiesen zu werden, und arbeitete bald rüstig an
mancherlei Gestein herum, daß die Funken sprühten. Aber
fünf Jahre sind eine lange Zeit und die Stellung eines Lehr-
jungen selten eine beneidenswcrthe. Die Heinrichs machte auch
keine Ausnahme von der Regel und der Freistunden waren gar
wenige; die wenigen aber, die es gab, benützte er dazu, sich
mit der Technik des Schnitzcns vertraut zu machen, wobei ihm
die Bekanntschaft mit einem Ritter Rilsky aus Polen zu statten
kain, die ihm ein glücklicher Zufall verschafft. Bald gingen
Rahmen für Bilder, Deckel für Meßbücher und endlich auch
Christnsbilder unter seinen Händen hervor und fanden Käufer.

Heinrichs Sinn stand nach München. So ward aus dein
Erlöse seiner Arbeiten Gulden nach Gulden zurückgelegt, um

damit die Kosten einer Reise nach München und des ersten
Aufenthaltes daselbst bestreiten gu können.

Endlich waren die Lehrjahre abgelaufen und Natter machte
sich, reicher an Hoffnungen als an Mitteln, ans den Weg nach
der berühmten Kunststadt an der Isar.

Aber wenige Tage Aufenthalt daselbst reichten hin, die
schönsten Illusionen des neunzehnjährigen Kunstjüngers gründ-
lich zu zerstören. Das waren bittere Tage: mußte er sich doch
sagen, daß er viel zu wenig Vorbildung besitze, um mit Aussicht
auf Erfolg in den Wettkampf eintreten zu können, an dein sich
zu betheiligen er gekonnnen war. Seiner Lage vollkommen be-
wußt, entschloß er sich rasch, München zu verlassen und sich nach
Augsburg zu wenden. Gedacht, gethan.

Auch in Augsburg war es eine schwierige Aufgabe, eine
Stellung zu finden, welche ihm nicht blos die Existenz, sondern
auch seine Fortbildung möglich machte. Zunächst galt es zu
zeigen, was er zu leisten vermöge; es gelang und das Er-
gebniß war ein Auftrag, für den Bischof von Augsburg einen
Christus zu schnitzen. Damit war die Bahn gebrochen, soweit
es die Sicherung seiner Existenz für die nächste Zeit galt.
Aber es blieb nicht dabei. Es gelang Natter, den Professor
und Maler Geyer daselbst für sich zu interessiren, und derselbe
gestattete, daß er sich unter seiner Leitung im Zeichnen vervoll-
kommne. Wer Natter's bisherigen Lebensgang überblickt, wird
sich kaum darüber wundern, daß gerade diese Seite seiner künst-
lerischen Vorbildung am meisten zu wünschen übrig ließ und er
nun mit aller Thatkraft und Ausdauer daran gehen mußte, Vcr-
säumtes nachznholen.

Auch fehlte es nicht an sofortiger praktischer Verwerthung
des in dieser Hinsicht Angeeigneten, wie denn beispielsweise
einige Portraits jener Zeit seines augsbnrger Aufenthaltes an-
gehören.

Dieser umfaßte übrigens nur ein halbes Jahr. Natter
hatte seine Zeit gut angeweudet, sein Ziel nie ans den Augen
verloren und fühlte seine Kräfte nun erstarkt genug, um nach
München zurückzukehren und als Schüler der Akademie seine
weitere Ausbildung mit Gewinn suchen zu dürfen. Jndcß kam
es anders als er gedacht. Nachdem er wenig mehr als ein
halbes Jahr unter Professor Widnmann's Leitung stndirt, ward
er, des Münchener Klima's ungewohnt, vom Typhus befallen
und beeilte sich, kaum genesen, München wieder zu verlassen.

In Riva am Gardasee lebt ihm eine Schwester. Dorthin
ging Natter, um seine völlige Genesung abzuwarten und machte
von da einen kurzen Ausflug nach der nahen Lagunenstadt, in
der sich ihm eine neue Welt erschloß. Doch war diesmal noch
nicht seines Bleibens dortselbst. Die Klugheit sagte ihm, daß
die Rückkehr nach München wenigstens für jetzt nicht zu ver-
meiden sei und so schied er denn, wenn auch schweren Herzens,
vom schönen Venedig.

Aber sein Herz blieb dort. Ein Jahr später trat er ans
dem Verbände der Münchener Akademie, um definitiv nach Ve-
nedig überzusiedeln. (Schluß folgt.)
 
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