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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0082

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widmen. Daß der junge Künstler das Erbieten dankbarst an-
nahm, bedarf Wohl kaum einer Erwähnung. Seitdem verehrt
er in Herrn Geldart seinen zweiten Vater.

Natter hatte inzwischen mehrfache Bestellungen erhalten und
ging nun mit erhöhtem Eifer daran, sie auszuführen. Da
brachen die Gewitterstürme des großen deutschen Krieges von
1866 über Oesterreich herein. Sie fanden an der Adria ihren
Wiederhall. Der Aufenthalt in Venedig ward für den jungen
Künstler unter diesen Umständen ein unerquicklicher. Da trat
Herr Geldart auch hier als äens ex machina ein. Er löste
alle Verbindlichkeiten, welche sein Schützling eingegangen, und
verließ mit dem so Freigewordenen die Stadt, um mit ihm durch
das Ampezzaner- und Pusterthal nach Miinchen zurückzukehren.
In Innsbruck hatte Natter als österreichischer Staatsangehöriger
seinen Paß visiren lassen. Wie ein Donnerschlag aus heiterer
Luft traf ihn da die Nachricht, daß er sich sofort als militair-
pflichtig bei seinem Bataillon zu stellen habe, das bereits dem
Feinde gegenüberstand.

Natter gehörte zur Reserve und ward nur deshalb zum
Dienst einberufen, weil sein Vordermann im Ausland und nicht
zu ermitteln war. Die Situation war fatal genug. Alle Be-
mühungen des Herrn Geldart, seinen Schützling vom Kriegs-
dienste loszukaufen, scheiterten und mußten unter den gegebenen
Verhältnissen scheitern.

' So kroch der junge Künstler in den kleidsamen grauen Rock
der Jäger, stülpte den Hut mit den grünen Hahnenfedern auf
seine schwarzen Locken, warf den Tornister auf den Rücken und
marschirte in voller Kriegsausrüstung der Heimath zu. Denn
in deren Nähe lag sein Bataillon. Die Italiener waren durch's
Veltlin vorgegangen und bedrohten nun von Bormio her Tyrol.
Oesterreich, auch hier entschieden in der Minderzahl, rief die
tyrolische Landesvertheidigung auf und warf einen Theil dieser
trefflichen Schützen mit ein paar Jägerbataillonen dem Feind
entgegen.

Das war nun ein wunderbares Schauspiel.

Auf allen Höhen über den zahlreichen Wendeln der Straße
iiber das Stilfserjoch blitzten die Gewehre der Garibaldiner und
der Kaiserlichen. Hüben und drüben waren Posten vorgeschoben
und neckten sich mit Flintenschüssen, gegen welche die vorspringen-
den Felsen erwünschte Deckung boten. Abwechselnd gingen Roth-
hemden und Grauröcke weiter nach Norden oder Süden und
suchten den Gegner aus seiner Stellung zu vertreiben und daun
knatterten nicht blos Flinten- und Stutzenschüsse, sondern krachte
auch wohl ein Kanonenschuß darin, daß das Echo an der Tra-
ssier-Eiswand und am Ortler wach wurde und den Donner
durch hundert Klüfte trug.

Die Cantonieren auf der deutschen Seite der Straße über

das Stilfserjoch boten nicht Raum genug für die Landesver-
theidiger und so hatten sie gar manche kalte Nacht sieben und
achttausend Fuß über dem Meer unter freiem Himmel zu ver-
bringen. War an Strapazen kein Mangel, so war desto öfter
Schmalhans Küchenmeister und gar manches Mal hatte es den
Anschein, als hätten die Herren von der Verpflegungskommission
die braven Mannschaften auf dem Stilfserjoch völlig vergessen.

So lernte Natter in nächster Nähe seiner Heimath das
Leben von einer neuen Seite kennen. Daß sie ihm gefallen,
möchte ich gerade nicht behaupten, aber er that seine Pflicht und
führte Tag für Tag Patrouillen, wohin sein Hauptmann ihn
kommandirte.

Einsmals hatte er einen Mann in's Hauptquartier zu es-
kortiren, der dem Bataillon nachgeschickt worden. Da zeigte sich
bei der Ablieferung, wa^ für ein komisches Spiel der Zufall
bisweilen treibt. Es war derselbe Vormann, für den Natter
zu seinem Bataillon hatte einrücken müssen. .

Damit hatte Natter's Kriegsdienst ein Ende und eine Stunde
später war unser Ex-Vaterlandsvertheidiger bereits auf dem Heim-
wege, aber nicht über Trafoi, Prad und Schluderns, denn das
schien ihm ein Umweg, sondern über Santa Maria und Münster
in der Schweiz, die hier tief in's Tyroler Land einbuchtet. Die
Schweizer aber, an deren Grenze sich die Nachbarn schlugen,
hatten sich auch auf die Beine gemacht, um etwaige Eindring-
linge zurückzuweisen oder zu entwaffnen und weiter in's Innere
ihres kleinen Landes zu schicken. Ihren scharfen Augen entging
der österreichische Jäger in voller Uniform nicht, und so mußte
er sich denn gefallen lassen, daß ihn eine Patrouille festnahm
und an's nächste Kommando ablieferte. Sein in bester Form
ausgestellter Militairabschied aber klärte den Offizier der eid-
genössischen Truppen alsbald über den Stand der Dinge ge-
nügend auf und verschaffte ihn: ungehinderten Abzug.

In seiner Heimath Granu blieb Natter diesmal nur einen
einzigen Tag. Der nächste Morgen schon sah ihn auf der Reise
nach München, wo ihn sein Gönner, Herr Geldart, am Bahn-
hofe erwartete, um ihn nach Bogenhausen zu bringen, da er in
München für die Gesundheit seines Schützlings fürchtete.

Nach einem halbjährigen Aufenthalte in dem nur eine starke
halbe Stunde von der Hauptstadt gelegenen freundlichen Dorfe
trat Natter zum dritten Male die Reise nach Italien an und
lebte sieben Monate in Florenz und drei Monate in Rom seiner
Ausbildung. Inzwischen waren durch eigenthümliche Verwickelun-
gen die erwarteten Wechsel ausgeblieben und sah sich Natter in
Folge dessen auf sich selber angewiesen. Unter diesen Umständen
schien es ihm mit Recht nicht gerathen, den Aufenthalt in Italien
noch zu verlängern und er kehrte deshalb nach Deutschland zurück.

(Schluß folgt.)
 
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