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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0156

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148

Kunstkritik.

Kunst mul Zunstinllustrie in ilrr Weltnuöstellung.

Von tzarl Alöert Iicgnet.

XXII.

an kann sich nicht wohl darüber wundern, daß in der
Kunsthalle die große historische Kunst und mit
ihr der Idealismus in. den Hintergrund trat. Das hat
mehr als einen Grund und machte sich nicht blos in
der deutschen Abtheilung geltend. — Die Zeiten, in
denen das ganze geistige Leben der christlichen Welt
ans der kirchlichen Idee fußte, in denen der ganze Gedankenkreis fast
ausschließlich ein kirchlicher war, sind längst vorbei und mit ihnen
die Tage der Priesterherrschaft. Dann erwachte das Verständniß
des klassischen Alterthums wieder, aber nur um zunächst wenigstens
ebenfalls der Religion zu dienen, wenn auch auf seine Weise:
Michel Angelo gab dem Zeus einen Strahlenkranz um's mächtige
Haupt und Tizian und Raphael übersetzten die Venus in's Christ-
liche. Aber auch in diesem Gewände konnte sich die religiöse Kunst
nicht länger aus dem Throne halten, und es bedurfte der ganzen
gewaltigen Kraft eines Cornelius, um ihr in unseren Tagen noch
eine vorübergehende Herrschaft zu erkämpfen. Nach ihm sank sie
von ihrer Höhe, weil der Anschauungskreis, dem sie ihre Motive
entnimmt, mit den Ideen der Gegenwart in scharfem Widerspruche
steht. Unsere Bedürfnisse haben mit denen nichts mehr gemein,
welche sich in der Kulturperiode der Renaissance gellend machten,
nicht mehr die Religion ist der Ausgangspunkt des künstlerischen
Strebens, sondern der Mensch und an die Stelle der religiösen
Historienmalerei trat die weltliche und die Geschichtsmalerei des
Individuums, d. h. das Genre.

Wer unbefangenen Auges durch die Kunsthalle schritt, dem
mußte es gar bald klar werden, daß der heutigen Kunst im All-
gemeinen jener große, innerlich bedeutende Zug fehlt, ohne den sie
nun einmal wirklich großartige Schöpfungen nicht zu gestalten ver-
mag. Dort und da versuchte es freilich ein Künstler, aber was
nicht ausbleibcn konnte, geschah: sein Werk zeigt fast immer etwas
Gemachtes, das uns nicht zum reinen Genüsse kommen läßt.

Doch kehren wir zur religiösen Kunst zurück. Unter den wenigen
Bildern dieser Art war mir eigentlich nur eines von höherem Inter-
esse: das hl. Abendmahl von E. v. Gebhardt in Düsseldorf, weil
der Künstler danach strebte, die Thatsache unter Abstreifen aller idealen
Erscheinugsformen in's Reinmenschliche zu übersetzen, wie das Gustav
Richter in seinen Christus und die Tochter des Jairus gethan. Wer
diesen Weg einschlägt, muß, was dem Stoffe an Adel und Schön-
heit der Gestaltung nothwendig entgegen wird, durch Tiefe der Em-
pfindung und Kraft der malerischen Wirkung ersetzen.

Die innerlich realistische Richtung der Zeit wendet sich wie von
den religiösen Stoffen, so auch von denen der antiken Mythologie
und Poesie ab. So waren derartige Stoffe nur durch A. Feuer-
bach jetzt in Wien, Victor Müller und Arn. Böcklin behandelt
Ivorden, wenn auch in sehr verschiedener Weise, denn strenge ge-
nommen dürfte nur Feuerbach's „Iphigenie" hieher gezählt werden,
denn Müller und Böcklin verfolgten bei der Wahl ihrer Stoffe
vorzugsweise koloristische Zwecke.

Die weltliche Geschichtsmalerei hatte kein Werk größeren Styls
in Komposition und Zeichnung von bedeutender dramatischer Gewalt

aufzuweisen, das sich mit Bendemann's in Düsseldorf „Fortführung
der Juden in die babylonische Gefangenschaft" hätte messen können.
Die einigermaaßen an Kaulbach's Auffassungsweise erinnernde Kom-
position baut sich in schönen Linien klar und übersichtlich auf, und
sind ihre verschiedenen Theile und Gruppen geschickt und mit künst-
lerischem Verständniß unter einander verbunden. Besonders ge-
lungen erscheinen die elegisch weichen Stimmungen, wie Mutter-
schmerz, kindliche Angst und männliche Resignation, während das
Gewaltige und Dämonische seiner Begabung weniger zusagt. Die
Feinheit des Kolorites erhöht die Wirkung des Ganzen. In G-
Richter's „Bau der Pyramiden" liegt der Hauptwerth in dem mit
äußerster Sorgfalt zur Darstellung gebrachten ethnographischen Ele-
mente und im Glanze der Technik. Wie bekannt, war dem Künstler
der Stoff gegeben, und es trifft ihn deshalb kein Vorwurf. Wäre
ihm die Wahl freigegeben gewesen, er hätte sicher einen dramatischeren
Stoff gewählt. Wie die Sache lag, half er sich damit aus der Enge,
daß er eine Episode, den Besuch der Königin auf dem Bauplatz,
schuf und sie zum Mittelpunkte seiner figurenreichen Komposition
machte. — C. Piloty's „Thusnelda im Triumphzuge des Germani-
kus" hat so viel von sich reden gemacht, daß ich mich wohl kurz
fassen darf. Der Künstler neigte von jeher zum Pathetischen und
ist in seinem letzten Bilde noch einen Schritt weiter gegangen und
damit mitten in's Theatralische gelangt. Man glaubt zu sehen,
wie der abgesetzte Regisseur hinter der Koulisse steht und auslugt,
ob auch alle Theilnehmer am Zuge ihre Pflicht und Schuldigkeit
thun, d. h. mit demjenigen Selbstbewußtsein an den Zuschauern int
Logenhaus vorüber schreiten, das diesen die Bedeutung jedes Ein-
zelnen in's rechte Licht setzt. Von diesem theatralischen Wesen ist
namentlich auch Thusnelda nicht frei und durch und durch thea-
tralisch sind Tiberius und Germanikus und der römische Krieger
im Vorgrund, der einen Bären an der Kette führt. Den: gegen-
über wäre es ungerecht, einerseits die treffliche Charakterisirung
des verrotteten Römerthums und des ungleich sittlich höheren und
tüchtigeren deutschen Wesen, andrerseits den trefflichen Aufbau der
Gruppen und die brillante Technik zu verkennen, welche das Bild
Piloty's zu einem der bedeutendsten in der ganzen Kunsthalle machte,
wenn es auch an Einfachheit antiker Wahrheit und Schönheit der
Empfindung Feuerbach's Jphigenia und an Pracht des Kolorites
Mackart's Katharina Cornaro weitaus nicht erreichte. Wie sehr
Piloty seinen Einfluß auf seine Schüler — in äußerlichen Dingen
wenigstens — geltend zu machen weiß, lehrte Wagner's „Römi-
sches Wagenrennen", das zum Aushängebild eines Kunstreiter-Cirkus
bestimnit zu sein scheint und trotz allem archäologischen Beiwerk dem
Sportfreund viel mehr bot als dem Kenner des röniischen Alterthums
und dem Freunde wahrer Kunst. — Auch Keller's (in Karlsruhe)
„Nero beim Brande Roms" erinnert an die durch Piloty Mode ge-
wordene rein äußerliche Weise, nur verquickt mit einer guten Portion
französischer Lüsternheit. Leider überschritt Keller die Grenzen fran-
zösischer Grazie weit, seine Pappaea hinter dem Stuhle Nero's ist
nichts als ein widerlicher Fleischklumpen. Was den jugendlichen
Flötenspieler links im Vorgrunde betrifft, so meine ich denselben
schon auf einem älteren Bilde gesehen zu haben. (Forts, folgt.)

Kommissions-Verlag der Nicolai'schen Verlags-Buchhandlung (L-tricker) in Berlin. — Druck von H. Theinhardt in Berlin, Zimmerstr. 98.
 
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