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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0165

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haßte das Handwerk aus ganzer Seele. Er wollte sich eine
Stellung in der Welt erwerben, ohne sich über das eigentliche
Ziel seines dunklen Dranges klar zu werden. Nur das fühlte
er, daß er vor Allem etwas Tüchtiges lernen müsse. Dazu war
aber unabweislich, das in der Schule Versäumte nachzuholen.
Als Lehrmittel diente Makulatur, die beim Krämer erbettelt
oder für ein paar Pfennige gekauft werden mußte. Führte ihni
der Zufall manches Nützliche zu, so brachte er doch auch Man-
ches, was in des Knaben Hirn nicht paßte.

Aber keines von all' den ganzen und defekten Büchern
zeigte ihni den Weg, auf dem er die Natur studiren konnte.
Darum aber war es ihm zumeist zu thun, denn der Junge
hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, ein Künstler zu
werden, wie sein Oheim, dem es ja, wie er von der Mutter
gehört, in seiner Jugend auch schlimm genug ergangen war
und der sich schließlich doch emporgearbeitet hatte. Davon
wollte der Vater natürlich nichts wissen. Der meinte, der Wil-
helm leiste fast ebenso viel als ein Geselle und darum solle er
Schneider werden. Weil aber der Junge seinerseits mit Händen
und Fiißen sich dagegen sträubte, so fehlte es nicht an den un-
erquicklichsten Scenen zwischen Vater und Sohn. So ward
Wilhelm vierzehn Jahre alt und konfirmirt. Dieser für den
Protestanten so wichtige Moment entschied auch in anderer Rich-
tung für sein künftiges Leben. Wilhelm schied aus dem Vater-
hause in feindseliger Stimmung und der Vater ließ ihn wie einen
Fremden scheiden. Auf sich selber angewiesen stand der Junge
ohne Freund und Berather allein in der kalten Welt.

Der künftige Maler mußte mit den Farben umgehen können,
darum suchte der Junge bei einem Anstreicher als Lehrling Unter-
kunft. Der Lehrmeister, ein roher, herzloser Mensch, nützte die
schwachen Kräfte des Knaben in gewinnsüchtigster Weise aus, so
daß Wilhelm selten vor neun oder zehn Uhr Abends mit seiner
Arbeit zu Ende kam. Dann galt es von Neuem damit zu be-
ginnen, denn von dem Erträgniß der Nebenarbeit mußten die
Kleider beschafft werden.

Das dauerte ein und ein halbes Jahr, dann entlief der
arme Junge seinem harten Meister und fand einen anderen, bei
dem er vom Regen in die Traufe kam. Das Geschäft war
groß und der um Gottes Willen aufgenommene Lehrjnnge hatte
hier die schönste Gelegenheit, das beim ersten Meister Erlernte
wieder zu vergessen, denn seine Beschäftigung bestand hier nur
in Farbenreiben und Austragen der Materialien an die Arbeit-
plätze. Nach Ablauf eines Jahres bat Wilhelm seinen Meister
zu gestatten, daß er das Gesellenstück mache. Damit aber kam
er schlimm genug an. Der Mann meinte, Wilhelm habe nichts
gelernt und als er seine Behauptung mit handgreiflichen Argu-
menten unterstützte, machte sich der Junge schnurstracks aus dem
Staube und eilte zum Aeltermanne — so heißt in Dänemark
der Vorstand eines Gewerbes —, um sich um die Zulassung
zum Anfertigen des Gesellenstückes zu bewerben. Da Xylander
die Voraussetzungen erfüllt hatte, wurde seiner Bitte sofort ent-
sprochen. Mit einer Anzahl anderer Lehrlinge im Prüfungssaale
beisammen, sollte er nun mit schwarzer Kreide nach einem Gyps-
ornament zeichnen. Derlei hatte er aber in seinem Leben noch
nie gesehen, geschweige selber gethan. Da war guter Rath theuer.
Zuerst sah sich unser Kandidat an, wie die Andern die Sache an-

griffen und dann ging er selber an die Arbeit. Die nächsten
vierzehn Tage schwebte Xylander zwischen Furcht und Hoffnung,
denn während dieser Zeit lagen die Probcarbeiten der kgl. Kunst-
Akademie zur Begutachtung zu. Endlich kam die Botschaft, seine
Arbeit habe entsprochen. Die zweite Probearbeit bestand in der
Ausführung desselben Gypsornamentes in Farbe. Das machte
Xylander weniger Schwierigkeit und der Oktober des Jahres 1856
sah ihn als Malergesellen. Das war schon ein tüchtiger Schritt
vorwärts. Arbeit war bald gefunden und mit Lust und Liebe
ausgenommen. Da — es waren kaum vierzehn Tage vorüber
— ward der Arme von einem heftigen Nervenfieber befallen,
von dem er sich erst spät und mühsam erholte, um sich neuer-
dings auf Nichts gestellt zu sehen. Von der langwierigen Krank-
heit entkräftet und außer Staude zu arbeiten, verfiel er darauf,
Leinenbänder zu Zollmaaßen zu präpariren. Die Arbeit, mit
dem Pinsel ausgeführt, fand in seinen alten Gewerbsgenossen,
den Schneidern, Abnehmer. . Freilich war der Preis, von einem
dänischen Reichsthaler für das Dutzend, gering genug, aber der
Produzent, der sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten
konnte, mußte sich gleichwohl damit bescheiden.

Erst im Sommer des Jahres 1857 erholte sich Xylander
so weit, daß er wieder in seinem Gewerbe arbeiten konnte. Da-
neben übte er sich im geometrischen und perspektivischen Zeichnen
um im nächsten Winter zum Eintritt in die Kunstakademie ge-
nügend vorbereitet zu sein. Der Winter brachte Xylander's
Aufnahme in die Ornamentenschule der Akademie, in welcher er
alle drei Monate in die nächsthöhere Abtheilung vorrückte. Ein
solcher Erfolg war ganz dazu angethan, Xylander's Muth zu
heben. Jndeß erlaubten ihm seine Verhältnisse nur, die Akademie
während des Winters zu besuchen. Dies und andere Umstände
brachten den Entschluß zur Reife, nach Deutschland zu gehen
und dort sein Glück zu versuchen. Am 21. März 1859 verließ
Lylander mit acht Reichsthalern in der Tasche Kopenhagen und
es war bis dahin der schönste Augenblick seines Lebens, als die
Thürme seiner Vaterstadt am Horizonte verschwanden. Er hoffte
sie nie wiederzusehen. Die Reise ging zunächst nach Hamburg
und dort verblieb Xylander zwei Jahre, indem er sich durch
Tünchen und Maleil von Theater-Dekorationen seinen Unterhalt
verdiente. Aber sein Sinn stand weiter nach Süden. Im Fe-
bruar 1861 verließ er Hamburg und wendete sich nach Mün-
chen, woselbst er bei dem bekannten Dekorationsmaler Schwarz-
mann Arbeit fand.

Lylander's Oheim Morgenstern wußte längere Zeit nichts
davon, daß sein Neffe sich der Landschaftsmalerei widmen wolle,
und als dieser sich ihm endlich anvertraute, unterließ er nichts,
was dazu beitragen konnte, den Sohn seiner Schwester von
einem so gewagten Unternehmen abzuhalten. Aber der wackere
Mann hatte gut reden: sein Neffe, ließ sich durch nichts ab-
schrecken, sondern kopirte an den Sonntagen das Bildniß seiner
Großmutter, eine Arbeit des wackeren Hermann Kauffmann,
mit solcher Genauigkeit, daß Morgenstern selber es kaum von
dem Original, das er aus seinem Elternhause mitgebracht hatte,
unterscheiden konnte. Ein solches Vorkommniß mußte auch den
strengen Oheim erweichen: was er bislang mit eiserner Festig-
keit verweigert hatte, daß der Neffe das eine oder andere seiner
Bilder kopire, er gestattete es nun und nicht ohne innere Freude.
 
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