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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0214

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206

„Als Kaulbach mit seinen ersten größeren Schöpfungen, als
deren edelste immer noch „Die Hunnenschlacht" dasteht, auftrat,
war es besonders die Neuheit seiner physiognoinischen Gestaltung
neben dem sinnlichen Reiz seiner Formengebnng, was den Enthu-
siasmus für ihn erregte. Als aber seine Physiognomien immer
nach derselben Schablone sich zugeschnitten zeigten, als in allen
seinen Figuren dieselbe mystische Verbindung von frivoler Schön-
heit mit einem Anflug von Wahnwitz ausgeprägt erschien, er-
kannte der einsichtsvollere Theil der deutschen Kritik bald die
Hohlheit und innere Unwahrheit dieser ganzen Richtung. —
Nur zwei Werke sind von Kaulbach zu nennen, welche wahr
und sinnig — im eminenteren Sinne des Wortes — sind:
' ersteres sein „Narrenhaus", letzteres sein „Reineke Fuchs". Ueber
diese hinaus hat er nichts geschaffen, was an Gehalt und geistiger
Bedeutung damit auch nur zu vergleichen wäre. Aber sind nicht
diese beiden Werke gerade der stärkste Beweis für unsere Be-
hauptung, daß die Basis seiner ganzen Richtung Frivolität und
Unwahrheit ist? Denn wodurch anders vermochte er den per-
fiden „Witz" und die gleißende Bosheit des Meister Reineke,
wodurch den „Wahn" des menschlichen Geistes in den verschie-
densten Schattirnngen der Verrücktheit so prägnant darzustellen,
als weil er Meister der Karrikatnr — d. h. der Uebertreibung
des Charakteristischen einerseits in's Frivole, andererseits in's
Dämonische — ist? Sein „Reineke Fuchs", der Triumph des
Witzes, ist daher außerordentlich sinnig, sein „Narrenhaus",
der Sieg des Wahns über die Klarheit des Bewußtseins, ebenso
außerordentlich wahr geschildert. Alle seine anderen Schöpfun-
gen tragen die Spuren bald des einen, bald des andern Mo-
ments an sich und erweisen sich gerade darum, weil sie auf
positiv sinnige und wahre Motive sich richten, als unwahr
und unsinnig. Das Wesen beider aber ist das an sich
Nichtige — die Frivolität.

Wir wollen, um Beläge dafür beizubringen, nicht auf Pro-
dnctionen, wie „Die Erzeugung des Dampfes", „Die Caritas",
„Wer kauft Liebesgötter" und ähnliche Kompositionen zurück-
greisen, in denen sich der Grundtypus der Frivolität nach der
Seite gemeinster Sinnlichkeit manifestirt; sondern darin erkennen
wir gerade den Fluch solches dem idealen Charakter aller echten
Kunst widersprechenden Princips, daß unwillkürlich es auch da
zum Durchbrilch kommt, wo es sich um anscheinend ernste und
erhabene Ideen handelt. Derartig sind nun, den Titeln nach
zu urtheilen, die Motive der beiden zur Ausstellung gebrachten
Cartons. Sehen wir zu, was er daraus gemacht hat.

Zu seinem Jnquisittonsbilde ist, wohl nicht ohne Vorwissen,
wenn nicht auf Veranlassung des Künstlers, eine Broschüre ver-
öffentlicht worden, welche unter dem Titel: „Peter Arbuez und
die spanische Inquisition" sich ausdrücklich als „Erläuterung zu
W. v. Kaulbach's Bilde: Arbuez" hinstellt. Es ist eine reine
Tendenzschrift politisch-religiösen Inhalts, welche sich mit einer
Beschreibung des Bildes gar nicht befaßt, sondern ausschließlich
gegen die Ansprüche des heutigen Papstthums gerichtet ist. Die
bloße Thatsache, daß Peter Arbuez, der Ketzerjäger, „in unserem
für Toleranz und Huinanität ringenden Jahrhundert" heilig ge-
sprochen wurde, entflammt den Eifer des Verfassers zu einem
Ausbruch von Gelehrsamkeit und einem Aufwand von erhabenen
Phrasen, die mit der Bedeutung des Kunstwerks als eines solchen

nicht das Mindeste zir thun haben. Jnteressaiit darin war für uns
nur die historische Gewissenhaftigkeit, womit der Verfasser — im
krassesten Widerspruch mit der Kaulbach'schen Komposition — (auf
Seite 26 ff.), mittheilt, „Peter Arbuez habe um 1441 das
Licht der Welt erblickt, sei 1484, also als 43 jährig er Mann,
zum ersten Inquisitor ernannt und nach 16 Monaten, nämlich
am 17. September 1845, also als 44jähriger Mann, er-
mordet worden." — —

Wem: man mit Kenntniß dieser aktenmäßig beglaubigten
Thatsache an die Betrachtung des Bildes, geht, so traut man
seinen Augen nicht, wenn man sieht, daß der Arbuez Kaulbach's
als blinder Greis von miiidestens 70 Jahren anftritt, der in
seiner äußeren.Erscheinung etwa die Mitte hält zwischen dem
wahnsinnigen König Lear und einer der Macbeth'scheii Hexen —-
selbstverständlich nach Kaulbach'scher Auffassung. — Man sollte
denken, daß, wenn Kaulbach wirklich für „den reinen Geist christ-
licher Wahrheit gegen die Lüge des Jesnitenthums und die
Barbarei der Jnquisitionswirthschaft" in die Schranken treten
wollte — (obschon dies gar nicht Aufgabe der Kunst ist, wenig-
stens gewiß nicht in so direkter und tendenziöser Form) — er vor
Allem nicht selbst der historischen Wahrheit der Art in's Gesicht
schlageii durfte. Können die Katholiken ihm nicht mit Recht ent-
gegenhalten, daß dies gar nicht Arbuez sei, daß Arbuez ein zwar
fanatischer, aber glanbenseifriger Manu, ohnehiu kein blinder
Greis, sondern ein Mann in seinen „besten Jahren" gewesen
sei? Und wird durch solchen vollkommen gerechtfertigten Eiuwurf
nicht dem ganzen Tendenzstück die Spitze abgebrochen und dieses
nicht vielmehr selber als Lüge und Bosheit entschleiert?

Vielleicht wird gegen solchen Einwurf der Künstler erwidern,
daß er überhaupt nicht Geschichte im realistischen Sinne des
Worts darstellen wolle, da alte seine Kompositionen den Charakter
des Symbolisch-Historischen an sich trügen. In diesem geist-
reich klingenden Ausdruck des „Symbolisch-Historischen" liegt
aber der eigentliche Kern der Unwahrheit seiner ganzen Richtung.
Ist das Syrnbolische mehr als ein bloßes Zeichen für eine Idee,
wie z. B. das „Kreuz" ein Symbol des Christenthums ist, d. h.
soll das Syinbolische blos die inneren Beziehungen zwischen den
geschichtlichen Thatsachen, ihren g.eistigen Inhalt bedeuten, dann
bedeutet es eben nichts Anderes als das wahrhaftHistorische
(im Unterschiede vom bloß Chronikalischen). Dieses wahrhaft
Historische aber wird nicht dadurch zur Darstellung gebracht,
daß die Realitäten,. in denen es sich ausspricht, entstellt oder-
gar aufgehoben und vernichtet werden, sondern vielmehr dadurch,
daß die wesentlichen Realitäten vom Zufälligen, Nebensächlichen
befreit und gereinigt werden. Dies geschieht aber lediglich durch
Elimination alles Dessen, worin sich der Geist der Geschichte
nicht kuudgiebt, also des Aeußerlichen, Indifferenten, Zufälligen,
Unwesentlichen. Können zu solchem „Zufälligen" und „Un-
wesentlichen" die konkreten Formen der räumlichen und zeitlichen
Einheit gerechnet werden? Schon die klimatischen Verhältnisse,
weil sie mit Kostüin und Allein, was zur nationalen Physiognomie
gehört, auf's Innigste zusammenhängen, also wesentliche Kultnr-
bedingungen sind, können nicht als unwesentlich betrachtet werden,
um wie viel weniger — wo es sich um den Geist der Geschichte,
als Entwicklung in der Zeit handelt — die Bedingungen des zeit-
lichen und räumlichen Neben- und Außereinander. Was hat es also
 
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