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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0278

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Mathematik, Perspektive, italienische Sprache und die ersten An-
fänge der Kunstgeschichte. Der zweite erstreckt sich über zwei
Jahre und ebenso viele Klassen und umfaßt Linear-, geome-
trisches und Perspektivzeichnen, Ornament- und Figurenzeichnen,
Fortsetzung der italienischen Sprachstudien, Kunstgeschichte und
Knochenlehre. Hat der Schüler den allgemeinen Unterricht hinter
sich, so hat er sich zu erklären, welchem speeiellen Fache er sich
widmen wolle. Der Specialunterricht ist nach den Kimstzweigen
abgetheilt, und besteht für jeden derselben eine eigene Klasse. Der
Unterricht in jeder Klasse oder Kunst dauert ein Jahr; mit Aus-
nahme der Baukunst, für welche drei Jahreskurse vorgeschrieben
sind, jedoch mit der Beschränkung, daß nur die ersten beiden
obligatorisch. Der Malunterricht umfaßt das Studium des
Nackten und der Draperie, der Proportionslehre, das Schattiren
mit Röthel, Wasser- und Oelfarbe aber immer nur in einer
Farbe, das Zeichnen von Köpfen und anderen Theilen des
menschlichen Körpers, Kritik klassischer Werke, angewandte Per-
spektive, plastische Anatomie mit praktischen Uebungen nach der
Natur und aus dein Gedächtniß, und endlich Fortsetzung der
Literaturstudien und der Kunstgeschichte. Die Bildhauerschule
umfaßt die nämlichen Materien, nur mit dem Unterschiede, daß
an die Stelle des Schattirens und des Malens nach der Natur
das Modelliren tritt und daß hier von der Baukunst so viel ge-
lehrt wird, als sich auf Denkmale bezieht. Der Unterricht im
Ornamentzeichnen erstreckt sich ans das Studium des Reliefs,
Schattiren und Modelliren nach plastischen Werken und nach der
Natur, auf Kompositionsübungen und Fortsetzung des sprach-
lichen Unterrichts und der Kunstgeschichte.

In allen vorgenannten Klassen haben die Professoren von
Zeit §u Zeit Examinatorien anzustellen und die Schüler aus
dem Gedächtnisse Gegenstände wiederholen zu lassen, welche sie
kopirt haben. Und wo sich günstige Gelegenheit dazu bietet,
haben die Schüler aus dem Gedächtnisse leidenschaftliche und
andere Affekte zur Anschauung zu bringen und Thiere und bergt,
zu zeichnen, bezugsweise zu modelliren. -

Die Bauschule umfaßt in ihren beiden ersten obligatorischen
Klassen das Studium der Baustyle, das Komponiren und Mo-
delliren architektonischer Ornamente und Innendekorationen, das
Perspektiv-Zeichnen und Aquarelliren und die Grundelemente des
Figurenzeichnens. An diese beiden Jahre schließt sich ein drittes
nicht obligatorisches an, bestimmt für Uebungen im Komponiren
und für den Unterricht in der Geschichte der Baukunst.

Am Schluffe der Studien in den speeiellen Fächern, die
je ein Jahr dauern, erhalten diejenigen Schüler, welche für be-
fähigt erklärt werden, ein Zeugniß darüber. In der Bauschule
findet das Examen nach Zurücklegen der zwei obligatorischen
Klassen statt. Der Schüler, der die Prüfung aus allen vor-
geschriebenen Fächern bestanden, hat dann zwei Wege vor sich.
Er kann sich entweder das Diploin als Ingenieur-Architekt er-
werben, wenn er die an der praktischen Ingenieurschule vor-

geschriebenen Prüfungen bestanden, oder aber in bte dritte nicht
obligatorische Klasse der Architekturschule übertreten und dann
einer Specialprüfung als Dekorationsmaler oder als Lehrer für
Architekturzeichnen sich unterziehen.

An der Kunstschule besteht eine Abtheilung für das Akt-
zeichnen nach wechselnden Modellen, der Besuch derselben ist
aber nicht obligatorischer Natur.

Anlangend das Lehrpersonal, so war der jüngst verstorbene
Cipolla für die Architektur bestellt, konnte aber in Folge seines
Leidens nur ein paar Stunden ertheilen. Als sein Stellvertreter
fungirt der Ingenieur Becchetti; Zeichnenunterricht geben Prosperi
und Querci, Modellzeichnenunterricht Masini und Allegretti, Unter-
richt im Ornamentzeichnen Brnschi und Serdi, Literatur und Kunst-
geschichte Magni und Dolfi; plastische Anatomie lehrt Laurenzi.
Professoren der Malschule sind Cammarano und Maccari, Pro-
fessor der Bildhauerschule Monteverde und als Vorstand der
ganzen Anstalt ist Professor Prosperi bestellt.

Mit den Räumlichkeiten der Kunstschule sieht es leider
schlimm genug aus, sie sind die der vorigen Akademie von
San Lnca und ganz ungenügend: enge, schlecht eingetheilt und
noch schlechter ventilirt, ganz erbärmlich beleuchtet, ohne Wasser,
ohne einen geräumigen Saal, ohne eine anständige Treppe, ohne
ordentliches Pflaster, ohne Hofraum und schicklichen Eingang.
Nicht besser steht es mit dem artistischen Material und den Ein-
richtungsgegenständen. Die ganze Bibliothek könnte man unterm
Arme davontragen.

An der Kunstschule ist zur Aneiserung der Zöglinge das
Prämiensystem eingeführt. Schüler, welche die drei Klassen der
allgemeinen Studien und solche, welche zwei Klassen von den
dreien der Architekturschule besuchen, können Preise erhalten.
Dieselben bestehen in Silbermedaillen, je eine für jede Klasse
und in einer verhältnißmäßigen Anzahl ehrenvoller Erwähnungen.
Außerdem findet für jede Schule im letzten Studienjahr ein Kon-
kurs mit zwei Geldpreisen statt, .im Betrage von 500 und 300
Francs, und jedes Jahr ein Konkurs für Kompositionen in jeder
Abtheilung mit einer Prämie bis zu 1000 Frcs. Die Thema's
werden von einer aus Professoren zusammengesetzten Kommission
bestimmt. Zu diesen Konkursen werden nur Solche zugelasscn,
die seit zwei Jahren den Kurs in der Schule hinter sich ge-
bracht."

Soweit unser Herr Korrespondent. Wir begnügen uns
mit der dieser Mittheilung des Thatsächlichen. Daß wir diese
Reformationspläne nicht in allen und jeden Punkten als Vorbild
für die Reorganisation unsrer inländischen Akademien betrachten,
bedarf keiner besonderen Auseinandersetzung. Die lokalen Ver-
hältnisse sind ja zu verschieden; allein es ist doch Manches da-
rin, was auch für uns wünschenswerth wäre; am meisten aber
dürfte der ernste Entschluß zu einer Reformirung überhaupt,
wie er sich in dein obigen Plan kund giebt, nachahmnngswerth
erscheinen.
 
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