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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0302

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geffett, und doch erscheint wiederum nichts kleinlich, vielmehr jedes
Einzelne dem Ganzen untergeordnet. Das Streben nach Charak-
teristik ließ ihn, im Gegensatz zu seinem Freunde und Knnstgenossen
Sohn, das Element des Schönen in den Hintergrund drängen,
daher ihm männliche ernste Köpfe besser als zarte, weibliche,
gelangen. Dieser Sinn verband ihn mit den alten Niederländern,
denen er auf einer Reise, welche er 1829 mit Schadow unter-
nahm, nahe getreten war. Sie wirkten bestimmender auf ihn
als die italienischen Meisterwerke, die er ein Jahr später auch
in Schadow's Gesellschaft, zu der noch Mendelssohn, Bendemann,
Hübner u. Sohn hinzu kamen, mit jugendlichem Feuer bewun-
derte. Um Hildebrandt's Bild in künstlerischer Beziehung zu
vollenden, schließen wir mit den Worten Wiegmann's (Geschichte
der düsseldorfer Akademie, Seite 74): „Hildebrandt's eigenthüm-
liches Kunstgebiet ist, wie es auch schon seine Vorliebe für die
Niederländer vermuthen läßt, das der realen Wirklichkeit. Auch
die von ihm bearbeiteten historischen Gegenstände sind aus diesem

Gesichtspunkt gewählt und aufgefaßt und mit allem Zauber der
illusorischen Gegenwart dargestellt. Er überläßt es Andern, durch
großartige Komposition int strengen Styl unfern Geist auf die
Höhen der Idee zu erheben, oder durch gewaltige Action zur
Leidenschaft hinzureißen; er beschränkt sich auf die Schilderung
ruhiger Zustände und weiß unser Interesse an denselben dadurch
zu fesseln, daß er Empfindungen in uns erweckt und unser Ge-
müth bewegt. Die in seinen Bildern waltende Poesie ist vor-
zugsweise lyrisch und erhält diesen Ausdruck nicht blos durch
die lineare Gestaltung der Komposition, sondern in noch höherem
Maaße durch eine seine Jndividualisirung der Charaktere, durch
eine wohlberechnete malerische— man möchte sagen: musikalische —•
Wirkung in Licht und Farbe und durch eine höchst harmonische
Vollendung im Einzelnen wie im Ganzen. Daß diese Eigen-
schaften den Künstler auch zu einem ausgezeichneten Bildnißmaler
machen, ist begreiflich. Er ist als solcher sehr geschätzt, nament-
lich in Bezug auf seine treue Charakteristik männlicher Personen.11

Korrespondenzen.

chtverin, Anfang Oktober. Die permanente Ge-
mälde-Ausstellung in den Lokalitäten der Künstler
und Kunstfreunde Hierselbst ist wiederum durch neue
Zusendungen vermehrt worden. Von Frau Kommerzien-
räthin Pauline Soltau, geb. Suhrlandt Hierselbst,
durch zwei Portraits; das eine derselben, ein Brustbild
in Lebensgröße, ist das Portrait ihres Gemahls. Sie hätte dasselbe
wohl nicht öffentlich ausgestellt, wäre die Malerei nicht eine so ge-
diegene, daß man sie gerne der näheren Prüfung unterzieht. Das
andere Portrait ist das eines rostocker Predigers, ein Kniestück in
Lebensgröße. Beide Portraits sind in Zeichnung und Kolorirung
vorzüglich gelungen und in der Durchbildung des Gesichts mit
großer Treue wiedergegeben. — Von Chr. Sell in Düsseldorf
ist dessen Gemälde „Transport französischer Kriegsgefangener" ein-
getroffen, das hinsichtlich der Darstellung bedeutenden Effekt erzielt.
Die fast dramatische Bewegtheit der Figuren ist mit dem feinsten
Verständniß durchgeführt, jede einzelne Figur trägt den Stempel der
Situation an sich. — Von Professor Hagen in Weimar ist ein
schönes Landschaftsbild eingegangen, das er „Scheidende Abendsonne"
nennt. Jni Vordergründe ziehen Kühe aus einem Teiche ihren
Abendtrunk, während der letzte Strahl der scheidenden Sonne sich
auf das Hauptgebäude des anmuthigen Gehöfts in der Mitte des
Bildes koncentrirt. — Die thüringer Landschaft, „Burg mit Wasser-
mühle" von Albin Kühn in Weimar wirkt durch ihre tüchtige Aus-
führung. Auf einem zum Theil bewaldeten Hügel die Burg, unten
links im Thale die Wassermühle, erleuchtet vom matten Schimmer
der herbstlichen Abendsonne, alles weich und mild in den Ueber-
gängen. — Ein kleines Genrebild von Hendryk Scheeres in Ant-
werpen „Ein Maler auf Studium beim Waffenschmied" ist von
feiner Malerei und überraschend schöner Lichtwirküug im Halbdunkel.
— Von Olaf Winkler ist eine „Landschaft mit Zigeunern" vor-
handen. Auf einem vom Sonnenstrahl durchspielten Waldwege fährt
ein mit Leinen bedeckter Wagen. Ein Zigeuner, mit einem Kessel
beladen, zieht mit Weib und zwei Kindern hinterher. Links hinter
Bäumen ragt ein altes Schloß mit Thurm hervor, über welchen
dunkles Gewölk sich hinzieht. — Den Eindruck der Gediegenheit
macht, besonders hinsichtlich der Grnppirung und Farbengebung, die
„Waldlandschaft" von Prof. Mar Schmidt in Königsberg. Die

Komposition neigt sich dem Idealen zu; der feine Schönheitssinn
des Künstlers tritt uns in der frischen sanften Morgenstimmung
entgegen, die nebst dem spiegelnden Gewässer mit großer Naturtreue
wiedergegeben ist. — Als lobenswerth zu erwähnen sind noch der
Studienkopf von M. Schmelzer „Mönchskopf" und die „Italienische
Matrone" von Schietzold. — Schließlich sind noch zwei ziemlich
große Portraitbilder in Pastellfarben von C. Rettberg ausgeführt
zu verzeichnen. Das Kolorit ist von jener wohlthuenden Weichheit,
welche die Pastellmalerei früher so beliebt machte.

A Düsseldorf, 30. September. (Wanderungen durch
die Ateliers.) Georg Neumann, Schüler des Prof. Willig,
stellte in der Akademie eine eben vollendete Statuette aus, welche
zu dem Anmuthigsten gehört, was wir in neuerer Zeit auf diesem
Gebiete gesehen haben. „Psyche" nennt der Künstler das reizende
Figürchen, und auch ohne Unterschrift würden wir sie an den
Schmetterlingsflügeln erkennen; scheint sie doch, bei aller Natur-
wahrheit und schönen Rundung der Glieder, so frei von irdischer
Schwere, daß wir glauben, sie könne sich, wie eine Libelle, im Nu
von ihrem Ruhesitz erheben und in's Weite fliegen. Hier ist die
Seele in ihrer vollen ersten Reinheit dargestcllt, leidenschaftslos
und doch liebreich, klug und doch wahr und treu, voll Vertrauen
und Hingebung, ganz wie sie aus Gottes Hand hervorging. Der
Künstler wählte, um den Charakter der Unschuld auf's Wirkungs-
vollste auszudrücken, für seine Psyche den Zeitpunkt, wo die Kind-
heit in das jungfräuliche Alter übergeht. Das liebliche Mägdlein
hat sich auf einen Baumstamm, der mit Blumen und Eichensprossen
umwachsen ist, niedergelassen, und stützt den etwas seitwärts geneigten
Kopf auf das eine Händchen, indem sie halb sinnend, halb fragend
hinausblickt. Als Symbole der Unschuld hält die andere im Schooß
ruhende Hand ein Täubchen und einen kleinen Blumenstrauß. Das
zarte Gewand, welches durch Achselbänder und einen leichten Shawl
um den Leib festgehalten wird, ist einfach und anschmiegend, ohne
deshalb ärmlich zu werden, besonders hübsch die Faltenpartie über
den Knien, unter der die nackten, trefflich modellirten Beincheu her-
vorsehen. Diese Psyche ist ebenso frei von kalter Nachahmung der
Antike wie von moderner Sentimentalität, vielmehr ganz naiv, durch-
aus der Natur getreu.
 
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