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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0318

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die Zahl derselben wohl bald vermehren, jedenfalls zum Vortheil
der allgemeinen Stadt-Physiognomie, die bis jetzt immer noch
eine ziemlich nüchterne zu nennen ist.

Soll das Wohnhaus aus der Schablonenhaftigkeit der ge-
wöhnlichen Dutzendbauten heraustreten, soll es den höchsten Grad
der Ausbildung erreichen, der ihm als inviduellem Kunstwerke
zukommcn und historischen Werth verschaffen kann, so muß, neben
der ernsten Lösung der architektonischen Aufgabe, noch Skulptur
oder Malerei hinzutreten und schließlich die Ausführung in einem
dauerhaften Material hergestellt werden. In diesem Sinne sind
die obengenannten Architekten bestrebt gewesen, einen reichen Fi-
gurenschmuck mit dem Aufbau des Aeußeren organisch zu ver-
binden. Freilich ist das Vorgehen auf diesem Gebiete schwierig,
denn abgesehen von der Knappheit der Geldmittel, die aller-
dings im vorliegenden Falle von dem Kunstsinne des Bauherrn
beseitigt wurde, bleibt das Erfinden gedankenvoller Kunstmotive,
welche allerseits befriedigen, eine schwer zu lösende Aufgabe.
Grade für Berlin ist das bisher vorherrschende Griechenthum
ein Hinderniß gewesen für die freie Entfaltung ansprechender
volksthümlicher Kunstmotive.

Die Forderung, den Ideen Gestaltung zu geben, welche
unser Herz bewegen, unfern Vorstand beschäftigen, ist scheinbar
einfach und fruchtbar genug, aber die Ideen der Religion, der
Polikik, der socialen Verhältnisse, welche das moderne Leben be-
wegen, sind höchst streitige Gebiete; um der Scylla der miß-
liebigen Tendenz zu entgehen, fallen wir oft in die Charybdis
der tödtlichsten Langenweile, oder rufen lieber wieder fremde, un-
verständliche Symbole zu Hilfe, die, einmal künstlerisch ausge-
prägt, wenigstens dekorativ vortrefflich wirken. Und da ist es
denn ein Glück zu nennen, wenn ein kunstsinniger Bauherr alle
diese Hindernisse überwindet und sich an der Lösung dieser Fra-
gen betheiligt, wenn er ein Verständniß dafür hat, daß ein Haus
unter die Dinge gehört, welche nach erfülltem innerem Zwecke
auch eine äußere Wirkung hervorbringen sollen, d. h. daß ein
Gebäude nicht blos dem Bedürfnisse des Augenblicks zu dienen,
sondern auch den höheren Zweck zu erfüllen hat, kommenden
Geschlechtern ein Bild Dessen zu bieten, was die Gemüther der
Jetztzeit bewegte und was das Maaß ihres künstlerischen Kom-
mens war.

In den alten Städten sind Beispiele der obengeschilderten
Art zahlreich genug, aber die neueste Zeit hat diese eigenartigen
Schöpfungen nur wenig vermehrt; der Vorwurf trifft aber mehr
'die Bauherren als die Architekten, denn letztere sind in ihren
Schöpfungen weit abhängiger als Bildhauer oder gar Maler
und können für sich allein ein günstiges Resultat selten erreichen.

Was zunächst die Fayade des Tiele-Winckler'schen Hauses
betrifft, so schließt sich ihre Gestaltung in Aufbau und Detail-
bildung dem Style der nordischen Renaissance an. Die Grund-
züge derselben sind das Verlassen des antiken Bauschemas, nir-
gends tritt mehr eine Reminiscenz an den antiken Tempel her-
vor. Gesammtanlage und Aufbau entspricht mich im vorliegen-
den Falle rein dem modernen Bedürfnisse und im Innern zeigt
sich eine entwickelte Gewölbetechnik, das künstliche Nachahmenwol-
len der Steinbalkendecke ist absichtlich unterblieben. Das unse-
rem Klima entsprechende steile Dach ist durch Giebel und Fenster-
Aufbauten mit der Fayade in wirkungsvolle Beziehung gesetzt,

weshalb denn auch das Hauptgesims nicht als absoluter Ab-
schluß betont wird, wie dies sonst besonders in italienischen Pa-
lastbauten der Fall zu sein pflegt. Das Portal hat eine aus-
zeichnende Behandlung erfahren und die ganze Fayade schließt
sich durch Gruppirung der Fenster zu einem Ganzen mit ent-
schiedener Mitte zusammen, ganz im Gegensatz zum italienischen
Renaissaucepalast, der ein ruhiges Nebeneinander gleichmäßigev
Axen als Grundtypus zeigt; dazu kommt noch die ebenfalls der
nordischen Rennaissance eigenthümliche, kräftige Behandlung der
Ornamentformen, welche für nordische Beleuchtung und speciell
für eine Ausführung in Sandstein gedacht sind. Grade nach
dieser Richtung hin haben die neuesten in Sandstein erfolgenden
Bauausführungen Berlins noch Manches gut zu machen, denn
der älteren berliner Stuckperiode wurde nicht mit Unrecht
Schwächlichkeit in Ornament und Gliederungen zum Vorwurf
gemacht.

Die Verhältnisse des Baus sind höchst stattliche, das füv
das Parterregeschoß festgesetzte Höhenmaaß von 19 Fuß führte
schon allein zu einer großartigen Behandlung, auch wurde durch
das hohe Etagenmaaß die Möglichkeit gewonnen, den größten
Theil der Parterreräume zu überwölben und über den Fenstern
des Erdgeschosses einen großartigen Fries anzubringen, dessen.
Motiv dem altgermanischen Sagenkreis entnommen ist.

Hier war es der Bauherr selbst, der mit glücklichem Griff
den Stoff für die Darstellung aus der „Edda" wählte: damit,
war ein großartiger Vorwurf aus der vaterländischen Bergan-,
genheit gegeben. Die „Edda" bietet eine in der germanischen-
Volksseele erwachsene Gestaltenfülle; daß wir uns bis jetzt so
gleichgülllg gegen diese Ueberliefernng verhalten haben, hat sei-,
nen Grund in der Richtung unserer letzten Kulturepoche, die-
uns zu den Franzosen, dann nach Griechenland und Rom führte
und uns die Kulturkeime der Heimath verläugnen ließ; doch
nun kann es wieder anders werden: wir beginnen wieder uns
als deutsches Volk zu fühlen. Zur Belebung dieses echt vater-
ländischen Interesses für die Sagen unserer Vorzeit hat die 8k
teratur bereits tüchtig vorgearbeit; wir erinnern nur an Namen
wie Klopstock, Grimm, Uhland, Simrock u. A. Dadurch, daß-
die alten Sagen wieder im Bewußtsein der Nation lebendig
werden, wird erst der Boden bereitet, auf dem die bildende Kunst,
ihre Schöpfungen bauen kann.

Die „Edda" ist ein unschätzbares Kleinod und gehört uns,,
obgleich sie durch ihre Ausbildung im hohen Norden eine ebenso
eigenthümliche landschaftliche Färbung wie eigenthümliche Aus-,
bildung erfahren hat. Wir erkennen in ihr den starken un-
beugsamen Sinn des Nordens, ihre Mythen sind uns reiner-
überliefert als selbst die griechischen. Vor Allem ist die „Edda"
Naturmythus, aber sie wendet sich an die feinsten finnigsten
Seelenstimmungen. Wir lernen Göttergestalten kennen —•
Freyer und Balder —, an deren schöne Sinnigkeit die mytholo-
gische Phantasie keines anderen Volkes heranreicht. Die Bedräng-
niß der Götter durch einander wird als Schuld, der sie alle Versal-,
len sind, aufgefaßt. Ein großer prophetischer Mythus beschäftigt
sich mit der Sühne durch das Welten- nud Göttergericht.

Bildhauer Engelhardt in Hannover hat das Verdienst
sich als einer der Ersten schon in jüngeren Jahren mit dev
plastischen Gestaltung der Eddasage befaßt zu haben, es wurde-
 
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