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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0332

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324

tigen Mühlengraben sehen wir eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft
meift bejahrter Juden in ihren mit Fuchs bebrämten, turbanartigen
Sammlmützen und langen Talaren, Gebete murmelnd und staub-
streuend, während rückwärts einige jugendliche Gestalten aus der
Menge hervortreten. Es liegt etwas geheimnißvoll Gedrücktes und
doch Ehrfurcht Erregendes in diesen murmelnden und ernsten Ge-
stalten, deren jede so fein und individuell charakterisirt ist, als ob
sie nach der Natur gezeichnet sei, was übrigens auch wohl bei eini-

gen der Fall sein mag. Von der rein malerischen Seite betrachtet,
macht das Bild einen durchaus ernsten Eindruck, es herrscht darin
gleichsam eine melancholische Harmonie, in welcher alle Durtöne zu
weichen und tiefgestimmten Mollakkorden gebrochen erscheinen: kurz,
es ist ein Werk, wovon Derjenige, welcher für ernste Volkspoesie
empfänglich ist, tief ergriffen werden muß, und das in technischer
Beziehung ebenso bedeutend ist, wie durch die poetische Auffassung
des Motivs anziehend. (Forts, folgt.)

Kunstindustrie und Technik.

Am äer berliner MMmMmiZ.

Von H. H ö c.

(Fortsetzung.)

nsere specielle Betrachtung soll zunächst mit den ausge-
stellten Bauplänen beginnen, soweit diese dem Hochbau
hangehöreu. Unter der aus allen Theilen Deutschlands
stammenden Ueberfülle des vorhandnen Materials be-
finden sich natürlich viele Projekte aus älterer Zeit;
was besonders die von berliner Autoren herrühren-
den anbetrifft, viele schon früher öffentlich ausgestellte; so Dom-
baupläne, Parlamentshauspläne, Entwürfe zum Nationaldenkmal
am Niederwald und andre. In dem Gesammtbilde der Bestrebun-
gen deutscher Architekten, wie es hier beabsichtigt war, fanden diese
Arbeiten immer noch ihren Platz; aber wir werden nicht mehr
nöthig haben uns damit zu beschäftigen. Die für Berlin bestimmten
Projekte öffentlicher Gebäude fallen übrigens sämmtlich in die obige
Kategorie; was wir davon aufzuweisen haben, sind die Reste der im
Sande verlaufnen Konkurrenzen; mögen sie vorläufig als Erinne-
rungszeichen gelten an Das, was uns Noth thut. Wir wissen, daß
wir auf diesem Felde noch große Aufgaben zu lösen haben: Dom,
Parlamentshaus, Opernhaus, Gewerbemuseum, technische Hochschule,
Kunstakademie müssen etwa im nächsten Jahrzehnt erbaut werden,
und wir wollen hoffen, daß diese Bauten bald und unter so günsti-
gen Verhältnissen in Angriff genommen werden, wie dies augen-
blicklich bei den großen öffentlichen Bauten Wiens der Fall ist.

Von bereits ausgeführten, oder in der Ausführung begriffnen
öffentlichen Bauten Berlins sind zahlreiche Pläne ausgestellt: die
Schloßkuppel von Stüler, die Nationalgallerie von Stüler, Strack
und Erbkam, das Siegesdenkmal von Strack, die Thomaskirche von
Adler und die Zionskirche von Orth. Die beiden letztgenannten
Werke sind das Beste, was der Kirchenbau neuester Zeit in Berlin
geleistet hat. Es liegt offenbar nur an der Kärglichkeit der zur
Verfügung gestellten Mittel, daß nichts Jmponirenderes geschaffen
wurde; jedoch bilden diese Bauten wichtige Glieder in der Ent-
wicklung moderner Kirchenbaukunst und werden als Anknüpfungs-
punkte für spätere Schöpfungen interessant bleiben. Aus diesem Ge-
sichtspunkte möchten wir diese Werke höher stellen als die opulenter
ausgeführten wiener Kirchen, welche doch nur, mit Ausnahme der
Fünfhäuser Kirche von Schmidt, künstliche Wiederbelebungen des
alten Schemas sind. Wir verweisen nur auf die Weißgerberkirche
in Wien, ebenfalls von Schmidt, welche außen den höchst malerisch
wirkenden Kapellenkranz der alten Kathedralen ausgenommen hat,
der aber im Innern durchaus nicht zur Geltung kommt, sondern
irgend welchem untergeordneten Nebenzweck dienen muß. Berliner
Schulgebäude sind in der Ausstellung zahlreich vertreten; Gymna-
sien, Gewerbeschule, Töchterschule, Gemeindeschulen von Blanken-
stein, Jacobsthal, Lohse, Gerstenberg und Erdmann. Auf diesem
Gebiete sind die Leistungen der berliner Stadtgemeinde höchst respek-

tabel, diese Bauten stehen mindestens auf der Grenze des von einer-
großen Stadt nothwendig zu Fordernden, überall ist monumentale
Wirkung angestrebt und die Ausführung ist dauerhaft, meist im
Terrakottenstyle erfolgt, allerdings ohne irgend welchen Luxus. Das
im Friedrichshain von Gropius und Schmieden erbaute Kranken-
haus schließt sich diesen Bauten würdig an; Disposition und Aus-
führung sind dem Humanitären Zwecke entsprechend ohne Kleinlich-
keit gedacht, die technische Durchbildung des Pavillonsystems ent-
spricht den neuesten Forderungen der Sanitätswissenschaft und dürfte
für längere Zeit musterhaft bleiben. Außerdem finden wir noch das
Generalpostamt von Schwatlo, die großartige Anlage des Gefängniß-
Etablissements am Plötzensee von Hermann, Spieker und Lorenz, das
Kaseruement an Stelle des Gießhauses von Steuer und manches Andere.

Die übrigen Städte des deutschen Reichs sind mit der Er-
richtung öffentlicher Gebäude der Hauptstadt noch vorangegangen,
was die Anzahl und Bedeutung derselben betrifft. In diesem Be-
treff ist das ausgestellte Material allerdings stark lückenhaft, da
Wien ganz fehlt und auch München nur schwach vertreten ist. Wir
finden eine Anzahl Kirchen von Hase aus Hannover; die von dem-
selben in Hannover erbaute sehr bemerkenswerthe Christuskirche ist
nicht mit ausgestellt; dann die Synagogen für Hannover und Bres-
lau von Oppler; die Paulskirche in Schwerin von Krüger, in Back-
steinbau mit Verwendung von farbigen Glasuren zu Gesimsen und
Friesen. Das Projekt zur Universität für Kiel von Gropius und
Schmieden ist einfach und edel gehalten, die Formen sind klar durch-
dacht und mit Meisterschaft vorgetragen, aber das Princip der Styl-
fassung muthet uns trocken und undeutsch an. Das was wir hier
vermissen, ist am besten in der Gegenüberstellung eines Projekts von
Hase in Hannover zum Gymnasium Andreanum für Hildesheim zu
erkennen. Die bei letzterem zur Anwendung gekommene Formen-
sprache führt wohl auch noch archäologische Schlacken mit sich; in-
deß spricht sie dem deutschen Empfinden mehr zu; wir glauben
auch, daß unsere Zukunftsentwicklung an Schöpfungen der letzteren
Art anknüpfen wird. Die hannoversche Schule birgt einen gesun-
den Keim, der sich wohl entfalten mag, vorläufig zeigen ihre Bauten
phantasievolle Gruppirungen von wirkungsvollem und eigenthüm-
lichem Charakter, wenn auch im Detail manches Rohe und in der
Materialwirkung Uebertriebene mit unterläuft. Raschdorf stellte eine
ziemlich opulent durchgebildete Provinzialgewerbschule für Köln aus.
Alle Pläne dieses Architekten haben denselben Zug, den wir an der
hannoverschen Schule bemerkten: das Bestreben, dem deutschen Em-
pfinden und Denken der Jetztzeit gerecht zu werden. Wenn sich
hieraus auch noch nichts Abgeschlossenes krystallisirt hat, so liefert
es doch gute Bausteine zur nationalen Architektur der nächsten Ent-
wicklungsepoche. (Forts, folgt.)

Kommissions-Verlag der Nicolai'schen Verlags-Buchhandlung (Stricker) in Berlin. — Druck von H. Theinhardt in Berlin, Jüdenstr. 37.
 
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