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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0343

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335

Korrespondenzen.

nffcldorf, 10. November. (Aus den permanenten
Ausstellungen.) Nach langer Kunstebbe, welche wohl
durch die Beschickung der großen Ausstellung in Berlin,
zu der so manches Werk vollendet werden mußte, ein-
trat, sehen wir in jüngster Zeit wieder einige inter-
essante Bilder auftauchen, unter denen vor Allem die
.„Mönchsschur" von Te-Peerdt, im Salon des Herrn Schulte,
zu nennen ist. Der Gegenstand dünkt uns mehr als wunderlich,
und birgt wohl der Titel schon eine gewisse Ironie in sich, die noch
deutlicher hervortritt, wenn man die weiße Tracht der Mönche und
ihre aus Schafswolle gewebten Gewänder betrachtet. Die Phy-
siognoinien der Geschorenen legen auch gegen diese Deutung keinen
Protest ein, wir müßten denn den jungen Schwärmer ausnehmen,
dessen Geist zwar verwirrt, aber doch nicht erloschen erscheint, und
den Mönch im Vordergründe, welcher sich über seinen dicken Kon-
frater, der gerade Haare lassen muß, lustig macht. — In einem
großen, hohen Gemach, dessen untere Hälfte mit Holz getäfelt, die
obere mit Oelbildern behängt ist, wird die Mönchsschur vorge-
nommen. An den Wänden sitzen auf einer rundumherlaufenden
Bank die Wartenden, indeß im Mittelgründe ein behäbiger, gnt-
müthiger Alter, die fleischigen Hände unbehülflich auf dem Schooße
liegend, sich gerade unter der Scheere des sachkundigen Mönches
befindet, ein zweiter in einem Waschkessel seinen kahlen Schädel nach
der Operation reinigt. Links im Vordergrund lehnt sich jener, den
Dicken belachende Mönch an die Holzbrüstung zurück und streckt die
langen Glieder, während ein älterer Mitbruder eben aus dessen ge-
öffneter Schnupftabaksdose eine Prise nimmt; über Beide hin beugt
sich stehend der oben erwähnte Schwärmer, abwesend im Geist, die
Gefährten und den ganzen Vorgang kaum seiner Aufmerksamkeit
würdigend. Seinem Auge schweben ganz andere als irdische Bilder
vor, und wirklich muß er einen Ersatz in jenen Welten für sein
verlorenes Lebensglück suchen; sprechen doch seine ausgemergelten
Wangen, seine blutlosen Lippen, sein fieberhaftes Auge von Kastei-
ungen ohne Zahl. Vielleicht tröstet ihn aber auch schon auf Erden
das maaßlose Selbstgefühl, welches er zur Schau trägt. Um seine
hochmüthige Seele steht es gewiß viel schlechter als um die seiner
wohlgenährten, beschränkten Brüder, von denen der eine, wohl der
Kellermeister, vom hereintretenden Pförtner eine interessante Bot-
schaft zu empfangen scheint. — Aus dieser flüchtigen Beschreibung
erhellt, wie deutlich uns hier Charaktere, Seelenstimmungen, persön-
liche Beziehungen und Lebensweise der dargestellten Menschen ent-
gegentreten; die malerische Wirkung hingegen muß man selbst sehen,
um sie zu würdigen; sie ist außer der etwas zu schattenhaft ge-
haltenen Gruppe links im Vordergrund, ebenso vortrefflich als die
Charakteristik. Bei all diesen Vorzügen aber fragen wir uns doch,
warum an einen so widerlichen Gegenstand soviel Kraft verschwenden,
warum uns diese, theils aufgemästeten, theils verkümmerten Ge-
schöpfe in so großem Format vor Augen stellen, warum uns gerade
den kahlen Schädel des einen Mönchs, so schroff beleuchtet, in
häßlicher Kugelgestalt Vorhalten, warum diese klauenartigen, unrein-
lichen Hände? Schmutziges Wasser, Waschschüsseln, Schnupftabak
und abgeschnittene Haare, kann es ein widerlicheres Gemisch geben?
Von echtem Humor, bei dem man gern manches Irdische mit in
den Kauf nimmt, ist keine Rede, da wir ja die Entwürdigung des
Menschen, symbolisch im Scheeren des Hauptes dargestellt, vor uns
haben. Hier vergeht uns das Lachen!

Vor dem Bilde von R. Jordan „Nach durchwachter Nacht"
können wir uns von dem peinlichen Eindruck ausruhen, da uns
hier ein einfacher, edler Schmerz in schlichter Form vor Augen tritt.

Die junge Frau eines Schiffers sitzt in der Hütte am offenen
Kammerfenster und sieht mit verweinten Augen den Morgen herauf-
kommen, welcher ihr vielleicht die Todesnachricht des Gatten bringt.
Bald, so denkt sie wohl, wird das kleine Wesen in der Wiege
neben ihr keinen Vater mehr haben, wenigstens scheint ihre Hoff-
nung auf seine Rückkehr fast erloschen, da sie ihr Auge nicht mehr
auf das Meer hinaus richtet, sondern in's Leere starrt, mit jenem
sonderbar koncentrirten Blick, der dem Menschen in großem Schmerz
eigen ist. Das Kind,' welches freilich mit seiner Wiege ganz im
Schatten steht, müßte runder und natürlicher gemalt sein.

Reine Heiterkeit athmet das letzte Bild von B. Vautier, im
Salon der Herren Bismeyer und Kraus ausgestellt. Ein dralles
Bauermädchen, frisch, braun und lebenslustig, mit elastischen Gliedern
und festen, Gang, tritt, den Korb mit Gemüse ans dem Kopfe, aus
dem Parkthor eines Schlosses. Am Pfeiler lehnt der wohlgenährte,
von seiner Wichtigkeit durchdrungene, ältliche Kammerdiener, welcher
das Mädchen offenbar zu einem süßen Plauderstündchen dort auf
der Stcinbank unter den Kastanien verlocken wollte. Sie aber denkt
wohl an ihren Burschen im Dorfe und giebt dem Livreemenschen
mit ihren nußbraunen Augen und ihrem frischen, rothen Mund den
Laufpaß. Der Abgetrumpfte versucht seine Enttäuschung vergebens
unter einem albernen Lächeln zu verbergen. Die schöne malerische
Harmonie wird leider durch das tiefblaue Uebergewand des Mäd-
chens, welches einen dunklen Fleck im Bilde abgiebt, gestört.

n. Dresden, 9. November. (Goune's Festmahl; Henze's
Siegesdenkmal.) Auf der Brühl'schen Terrasse ist gegenwärtig
im dort befindlichen Kunstvereinslokale ein umfangreiches Werk der
Oelmalerei zum Besten des Sächsischen Künstlernnterstützungs-Vereins
ausgestellt. Es ist dies ein großes Gemälde des hier lebenden
Professors Gönne: „Ein Festmahl aus dem Anfänge des 16. Jahr-
hunderts". Wie wir vernehmen, ist das Werk bestimmt, der Wand-
schmuck eines Speisesaales in der an der Elbe gelegenen Villa des
Freiherrn von Kaskel zu werden. Man bemerkt auf dem in Rede
stehenden Bilde eine nicht geringe Zahl von Festgenossen (nebenbei
gesagt 36 Einzelfiguren), die aber mit großer Einsicht und künstle-
rischem Geschmacke gruppirt sind. Ganz besonders ziehen drei Jung-
frauen, durch Anmnth und Schönheit geadelt, in ihren reichen blauen,
gelben und rotheu Kostümen die Blicke des Zuschauers auf sich; in
ihrer Nähe befindet sich ein liebliches, kastanienbraunes Locken-
köpfchen. Den Mittelpunkt des Bildes ausfüllend sehen wir ein
würdiges Fürstenpaar, dem gegenüber, vor der Tafel sitzend, ein
fahrender Sänger Platz genommen hat. Anstand und Grazie walten
bei fast allen Gestalten vor; doch damit auch der Humor nicht ganz
ausgeschlossen ist, zeigt uns die rechte Seite des Gemäldes zwei
„naschende Leckermäuler". Das harmonievolle Ganze wird durch
ein wirkungsvolles Kolorit gehoben. Das Werk macht in der
That den Eindruck, als wenn der begabte Künstler nicht nur mit
sinnigem Verständniß seiner Aufgabe, sondern auch mit wirklicher
Lust und Liebe an seinem wohlgeordneten und durch Farbenpracht
sich auszeichnendem Bilde gemalt hätte.

Wir kommen noch mit einigen Worten auf das in unserem
letzten Schreiben erwähnte Modell eines Siegesdenkmals vom
Bildhauer Henze zurück. Dasselbe befindet sich jetzt in dem Aus-
stellungsgebäude auf der Brühl'schen Terrasse und zeigt die vom
Siegesfeste her bekannte „Germania", umgeben von vier Gestalten,
welche als Wehrkraft, Wissenschaft, Menschlichkeit und Friedensliebe
auf Das hindeuten, was Deutschland groß und einig gemacht hat.
Vier darunter befindliche Reliefs erläutern in mehr realistischer
 
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