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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0386

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378

Gierymski allerdings sehr hoch, doch lag ihm nichts ferner, als
ihm nachzuahmen. Seine Straßenbilder könnten ebenso gut an
Adolf Menzel's Werke erinnern, abgesehen von der specifisch
polnischen Staffage in den Gierymski'schen Bildern. Man be-
trachte z. B. die „Betenden Juden am Weichselufer", seine
Mondlandschaften, seine polnischen Landstraßen und schwerlich
wird man dann . noch Originalität dem Künstler absprechen.
Freilich zeigt sich in den Werken Meissonier's und Gierymski's
ein und dasselbe Streben, nämlich eine möglichst genaue Wieder-
gabe der Natur, die besonders auf scharfe Zeichnung der De-
tails ansgeht.

Gierymski Pflegte öfters zu sagen, Bilder müßten auf den
Beschauer den Eindruck machen, als ob dieser im Zimmer
plötzlich das Fenster geöffnet hätte, hinaus in die Natur sehe
und durch ihren Anblick überrascht werde. „Ah, das ist wie
die Natur!" Ihm galt die möglichst treue Darstellung der
Natur als die wichtigste Aufgabe, und insofern zählte G. zu
den Realisten. Trotzdem wird ihin Niemand dichterische Ge-
danken und Empfindungen in seinen Werken absprechen können,
er besaß Beides in einem Grade, wie wenige Künstler. Schwung-
voll und hinreißend waren seine Stoffe nie, ebenso wenig groß-
artig, dies schloß schon das von ihm behandelte Genre aus, es
lag in seinen Bildern vielmehr eine intuitiv-poetische Wirkung,
die innerhalb der intimen Behandlung etwa jenen Eindruck
machten, wie ihn die Schilderungen Adalbert Stifters Hervor-
rufen.

Durch sein „Pistolenduell" zu Pferde, zwischen Tarlo und
Poniatowski, das er bei Fr. Adam malte, erwarb sich G. zuerst
einen Namen in der Künstlerwelt. Nun folgten: „Rekognos-
cirende Husaren" (im Besitz des Kaisers von Oesterreich) „Pa-
trouille im Jahre 1830 in Polen", zwei kleinere Bilder aus
dein polnischen Aufstand, von denen das eine nach einer von
dem polnischen Dichter Mickiewicz geschilderten Scene gemalt
ist, „Bayerische Chevanxlegers", „Auf der Wiese", „Ein Post-
Ungliick". Nachdem G. im Jahre 1870 das Atelier Adam's
verlassen und sein eigenes bezogen hatte, entwickelte er die größte
Produktivität. Er malte ferner: „Ausfahrt auf die Jagd",
denselben Gegenstand „auf dem Felde", „Polnische Ulanen auf
dem Marsche", „Zusammenkunft vor der Jagd im Walde",
beide mit Wiederholungen, „Betende Juden am Weichselufer",
„UnangenehmerBesuch bei Mondschein", „Ritt zur Parade in einer
Allee", „An der Weichsel" (diese drei Bilder und „Landstraße
bei Mondbeleuchtnng" im Besitz der Fleischmann'schen Hofknnst-
handlung), „Reitende Kosaken auf der Landstraße", „Kosaken im
Winter", „Ein Allarm", „Vorposten-Vedette" und sein letztes
Gemälde „Parforce-Jagd".

Im Atelier wurde abwechselnd gemalt und musicirt; mit
Wehmuth dachte später der kranke Künstler in Rom an jene
sonnigen, glücklichen Tage zurück, die er in München, in rüstiger
Ausübung der Kunst und im engen Umgang mit Freunden,
erlebt. Als im Jahre 1872 Graf Mielzynski, ein begeisterter
Kunstfreund und eifriger Sammler in Posen starb, wurde G.
im Aufträge seiner in München lebenden polnischen Landsleute
als Deputirter zum Leichenbegängniß nach Posen gesandt. Auf
dein dortigen Friedhofe zog er sich eine heftige Erkältung zu.

Krank kehrte er nach München zurück. Als das Frühjahr nahte,
schickten ihn die Aerzte im März 1873 nach Meran und von
dort ging er im Juni zur Stärkung seiner Gesundheit nach
Reichenhall. Hier besuchte ich ihn auf der Durchreise nach
Wien und schon damals mußte ich aus dem bedenklichen Aus-
sehen des Kranken schließen, daß die Hoffnung auf eine He»
stellnng leider aufzugeben sei.

Ich will die Leiden, welche ihn im darauf folgenden Winter
in Rom marterten, nicht aufzählen. Noch tröstete ihn daselbst
in den schweren Stunden der Krankheit die Kunst. Mit dem
ganzen Enthusiasmus des Künstlers wurde gearbeitet, wenn der
Zustand es nur irgend erlaubte. Es war seine „Parforcejagd"-
mit Figuren im Rokokokostüm, die er in der kurzen Zeit von
zwei Monaten ausführte und die im münchener Kunst-Verein, wie
früher alle Werke Gierymski's, Aufsehen erregte. Das Bild
stellt einen Waldausgang mit niedrigem Gestrüpp dar, über
welches Reiter einen Hirsch verfolgen, lieber der herbstlich
gefärbten Landschaft erhebt sich ein blauer Himmel. Es ist
einer jener warmen Tage, wie ihn der Herbst zum letzten Gruße
vor den Winterstürmen bringt, wo das rothe Laub im milden
Sonnenschein kränkelnd an den Zweigen hängt oder langsam
zur Erde fällt. — -—■

Im Sommer d. I. kehrte Gierymski von Rom leidender,
als er früher gewesen, zurück. Obgleich er das 28. Jahr noch
nicht überschritten hatte, sah er doch viel älter aus. Nur mit
Mühe konnte er kurze Strecken gehen. Ebenso kostete ihn das
Sprechen große Anstrengung. Dennoch war sein Geist so frisch,
daß er nicht nur mit Interesse unserer Unterhaltung folgte,
sondern sich trotz unserer Bitten sich zu schonen, an den Ge-
sprächen über Kunst lebhaft betheiligte. Als er uns zum letzten
Male vor seiner Abreise nach Neichenhall wehmüthig Lebewohl sagte,
schnitt es uns Allen in's Herz. Wir sollten ihn nie Wiedersehen.

Am Frühmorgen des 16. September entschlief er sanft,
nachdem ihm noch kurz zuvor die Auszeichnung zu Theil wurde,
zum Ehrenmitgliede der berliner Akademie ernannt worden zu
sein. Nur sein Bruder, der ihn gepflegt hatte, war um ihn.
Dem Begräbnisse konnte Niemand von seinen Freunden bei-
wohnen. Wir befanden uns sämmtlich auf Studienreisen und
erfuhren die Todesnachricht leider zu spät. In seinem künstle-,
rischen Nachlasse waren ein in Rom begonnenes größeres Bild
„Kavallerie-Attaque", ferner Oelstudien und Skizzen, die im Be-
sitz der Familie sich befinden. Die irdische Hülle des Künstlers,
dessen Herz einst so warm und begeistert für die Kunst ge-
schlagen, ruht fern von Eltern und Geschwister nicht in heimath-
licher Erde, aber da, wo man seine Werke am meisten ver-
standen, in dem gastlichen Boden Deutschlands. Das Auge,
welches mit so dichterischer Empfindung all' die zahlreichen
Stimmungen der Natur und ihre Schönheiten erblickt und ge-
schildert, hat sich für immer geschlossen.

Während oben in den Bergen Sturm und Tannen laute
Zwiesprach' halten, schläft unten im Thale Reichenhalls, auf
dem stillen Friedhofe unter Schnee und Eiskrystallen, einer der
hervorragendsten Künstler Münchens, ein liebenswürdiger Cha-
rakter, ein unvergeßlicher Freund. Möge er sanft ruhen!

Robert Aßmus,
 
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