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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 19.1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.13552#0394

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in vollem Maaße gegeben sind, es doch in letzter Instanz wesent-
lich von der Intelligenz und dem guten Willen der betreffenden
Behörden abhängt, ob einer wahrhaft ersprießlichen Entwicklung
der Banthätigleit auch in Wirklichkeit freie Bahn gegeben
wird. Sollte es sich also Herausstellen, daß von dieser Seite
solcher Entwicklung Hindernisse im Wege stehen, so genügt es
nicht, dieselben lediglich zu konstatiren, gleichsam als ob man
mit unbezwinglichen Naturmächten zu rechnen hätte, sondern es
muß die Frage gestattet sein, worin diese Hindernisse wurzeln
und ob nicht die Forderung gerechtfertigt sei, daß sie beseitigt
würden.

Zur Sache selbst übergehend, müssen wir vor Allem einen
Blick über die Grenzen von Berlin hinaus auf die neueste Ent-
wicklung des kunstindustriellen Verkehrs -— wie wir uns der Kürze
halber ausdrücken wollen — werfen.

Die großen Weltausstellungen in London, Paris und Wien
haben wegen ihrer raschen Folge vielfachen Tadel erfahren
müssen. Mit Recht gilt dies für die zu kurzen Zwischenräume,
welche der Industrie und Kunstindustrie nicht gestatteten, die
gegenseitigen Erfahrungen ausgiebig verwerthen zu können —
und dennoch ist ans diesem Gebiet Außerordentliches dadurch er-
zielt worden. Nicht geringer anzuschlagen ist der andere Vortheil,
den die Kenntniß der Einrichtungen sowohl des Verkehrs als auch
der sonstigen Verhältnisse einer großen Stadt diesen mächtigen
meist den gebildeteren Klassen angehörigen Menschenströmen ge-
geben hat. Hier zeigte sich erst auf bestimmte Weise, welche
Forderungen an eine Groß- (oder Welt-)stadt zu stellen seien.

Wenn von Berlin als „Weltstadt" die Rede ist, so wird
wohl darüber als über einen, allerdings schon etwas verbrauchten
Witz gelächelt. Und in der That hat der Ausdruck, wenn man
die baulichen Fortschritte der preußischen Residenz, namentlich
hinsichtlich der Befriedigung der sich fortwährend steigernden
Verkchrsbedürfnisse, mit denen anderer Großstädte wie London,
Paris, selbst Wien vergleicht, einen etwas ironischen Nebenklang.
Was bis jetzt in Beziehung auf planmäßige Banthätigleit in
Berlin geleistet ist, verdankt man weniger der officiellen Ver-
waltung als der Privatindustrie, welche begreiflicherweise schon
in der Beschränktheit der Mittel ihre natürliche Grenze findet.

Wer von London mit seinem inächtigen, zum Theil unter-
irdischen Eisenbahn- und Omnibusverkehr, mit seinen pracht-
vollen Kais und stattlichen Themsebrücken, seinen reizenden
Squares im Centrum der Stadt, wer von Paris, wo mit rück-
sichtsloser Energie durch die alte winklige, schmutzige Stadt die
großen neuen Avenües und prächtigen Schmnckplätze gelegt sind,
wer selbst von Wien mit den Eindrücken seiner prachtvollen
neugeschaffenen Ringstraße, des heiteren Verkehrs in seinen öffent-
lichen eleganten Vergnügungslokalen — nach Berlin zurückkehrt, der
inuß sich unwillkürlich fragen, was denn die „Stadt der In-
telligenz" von allem Dem besitze. Allerdings liegen hier die
Verhältnisse ungünstiger: die tiefe Lage der Stadt macht eine

unterirdische Eisenbahn unmöglich; der kleine, ohnehin in mehr-
fache Arme zersplitterte Fluß fordert nicht ans zur Anlegung
stolzer Kais und großartiger Brückenbauten. Nur die Anlage
des Alsenufers und der Alsenbrücke sind einer Großstadt würdig
und zeigen, wie sehr eine wohlanständige Auffassung auch dieser
kleinen Verhältnisse ans die Physiognomie der Stadt wohlthnend
zu wirken vermag. Wirft man dagegen einen Blick aus die
Plätze, welche mit wenigen Ausnahmen, wie der Wilhelms- und
der Opernplatz, statt des erfrischenden Rasen- und Baumschmucks
verräucherte Marktbuden tragen, ans unsere die Luft verpestenden
Rinnsteine und offenen Kanäle, auf unser holpriges Straßenpflaster
statt der ebenen Macadam- und Asphaltstraßen von Paris u. s. s.,
so dürfte wohl der Wunsch nach einem berliner Hanßmann, der mit
gleicher Energie, wenn auch mit etwas einsichtsvollerer Finanz-
verwaltung als der pariser Oberbürgermeister, die nothwendigen
Verkehrswege schaffte, gerechtfertigt erscheinen.

Trotzdem ist die Thatsache freudig zu begrüßen, daß sich
die Erkenntniß von der Nothwendigkeit einer durchgreifenderen
Umgestaltung unsrer Stadt allmälig Bahn zu brechen beginnt.
Wir sehen auf den verschiedensten Gebieten der Banthätigleit
das Streben nach einer dem heutigen Bedürfniß entsprechenden
Regeneration, wobei nur zu bedauern, daß die zopfige Kurz-
sichtigkeit und kleinliche Engherzigkeit unsrer Verwaltung den
Anforderungen, welche eine „Weltstadt" an sie zu stellen be-
rechtigt ist, in keiner Weise Rechnung trägt. Daß solcher
brennenden Fragen für das Herz der Stadt eine Menge vor-
liegen, welche oft seeschlangenartig sich eine lange Zeit hindurch-
ziehen, braucht wohl nicht erst erwähnt zu werden. In-
teressant ist es zu untersuchen, in welcher Weise dieselben gelöst
zu werden pflegen. Mit Recht sollte man erwarten, daß zur
Erledigung solcher durch das Tagesgespräch, die Zeitungen rc.
ventilirten Fragen die städtischen Kollegien die Initiative er-
greifen würden. Man könnte dies um so mehr von denselben
fordern, als sie über außerordentliche, dem Privatmann nicht
zur Disposition stehende Mittel, wie das Recht der Expropriation,
vielfache gesetzliche Bestimnrungen, größere Geld- und Kredit-
mittel u. s. f. verfügen. Verfolgt man aber den Verlaus solcher
Angelegenheiten, so wird man in den meisten Fällen finden, daß
trotz alledem die Stadt darin wenig geleistet hat und daß die
Initiative in den meisten Fällen von Privaten ergriffen werden
mußte. Ein schlagendes Beispiel ist die projektirte Verbreiterung
der Konnnandantenstraße, deren Nothwendigkeit durch die geradezu
lebensgefährliche Kommunikation zwischen der Köpnicker Vorstadt
und dem Dönhofsplatz, Leipzigerstraße n. s. f. schon seit Jahren
als unabweisbar gefühlt war. Wir greifen gerade dies Bei-
spiel unter vielen andern heraus, weil es mit der Gründung und
Ausführung der von den Architekten Ende und Boeckmann
erbauten großartigen Central-, jetzigen Beuthstraße in unmittel-
barem Zusammenhangs steht.

(Schluß folgt.)
 
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