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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0462
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432

als wir den Weg waldeinwärts einschlugen. Kloster Maulbronn
liegt nämlich noch eine gute Halbestunde von der Eisenbahn entfernt.
Wir schritten trotz des Nebels, der die Wege durchweicht hatte, wohl-
gemuth fürbaß, in der Hoffnung auf reichliche künstlerische Ausbeute.
Als nun nach einiger Zeit die Fahrstraße unvermerkt aus dem Walde
hervorbog, befanden wir uns in einem schmalen, langgestreckten Thal,
dessen Grund üppige Wiesen bedeckten und dessen jenseitige Höhen
statt des dunklen Laubes der Bäume das helle Grün der Rebe
zeigten. Rechter Hand am Ausgange des Thales sahen wir eine
Gruppe alterthümlicher Gebäude, Wohnhäuser, Wirthschaftsgebäude,
weitgestreckte Umfassungsmauern mit Befestigungsthürmen, und über-
all' das malerische Durcheinander erhob sich dominirend die dunkle
Masse der Abteikirche mit ihrem schlanken Glockenthürmchen, das
nach der einfachen Sitte der Cisterzienser nur ein Dachreiter ist.
Der Anblick hatte etwas Magnetisches. Man sah mit einem Blick
die Entstehungsgeschichte dieser Ansiedlung, mitten im Schooß der
Wälder; man meinte die Axt der frommen Brüder zu hören, welche
den Wald lichtete, man sah die ersten nothdürstigen Blockhäuser sich
erheben, bebaute Felder, Gärten und Weinberge sich daran schließen
und allmählich Mauern, Thürme, Kirche und Kloster stattlich auf-
wachsen, mit Allem, was zur Nothdurst des Lebens, zum Genuß
wie zum Schutz gehörte, und so entstand einer jener vielen, einst so
segensreichen Herde der Kultur, der Wissenschaft und Kunst, mitten
in einer rauhen, gewaltthätigen Zeit.

Kaum gönnten wir uns einige Augenblicke zur Erfrischung im
Wirthshause, das nebst wenigen andern Gebäuden außerhalb der
Klostermauern liegt; dann schickten wir uns an, zuerst einen Ueber-
blick über die ganze Anlage zu gewinnen. Wir gingen deshalb nicht
auf das überwölbte Thor zu, das in der Umfassungsmauer ange-
bracht ist, sondern wandten uns mit dem sanft ansteigenden Wege
nach rechts, um einen höher gelegenen Standpunkt in der Nähe zu
gewinnen. Das Kloster liegt mit dem ganzen Complex seiner Bau-
lichkeiten auf der Sohle des Thales, rings von Anhöhen, an welche
sich bewaldete Berge schließen, eingefaßt. Im weiten Umkreis um-
gürten noch jetzt hohe, mächtige Mauern mit Befestigungsthürmen
die Kirche mit ihren zahlreichen, zu verschiedenen Zwecken errichteten
Nebengebäuden, Höfen, Obst- und Gemüsegärten. Ein tiefer und
breiter Graben vollendet die Befestigung des Platzes. Oestlich von
der Kirche befindet sich auf dem erhöhten Terrain ein kleiner See,
der am unteren Ende durch eine Schleuse verschlossen ist. Wurde
die Schleuse aufgezogen, so füllte sich im Nu der Graben mit Was-
ser an. Von hier hat man vielleicht den besten Blick auf das Ganze,
und es müßte sehr belehrend sein, wenn von diesem Punkt eine An-
sicht des Klosters aus der Vogelschau entworfen und etwa in kräf-
tigem Holzschnitt dargestellt würde. Außer der Kirche, den Kreuz-
gängen, den Wohnungen des Abts und der Mönche und den dazu
gehörigen Versammlungs-, Speise-, Schlafsälen und Kellern um-
fassen die weiten Ringmauern noch das Krankenhaus, die Wohnung
des Verwalters, das Gesindehaus, die Mühle und andere Neben-
gebäude. Wir wandten uns weiter, immer um diese kleine Stadt
herumgehend, bogen nach Norden um, verfolgten die altersgraue
Umfassungsmauer, die noch aus den Jahren 1361—1376 stammt *),
und kamen endlich wieder am Eingangsthore an. Das Thorgebäude,
im I. 1472 erbaut, stand mit einer schon vor dem I. 1328 vor-
kommenden Kapelle in Verbindung, die wahrscheinlich, wie auch an-
derwärts bei Cisterzienserklöstern, z. B. in Loccum, als Frauen-
kirche diente, weil dieser strenge Orden dem weiblichen Geschlechte
den Eintritt in die Klosterkirche untersagte.

Nachdem wir den ziemlich einfachen Thorweg passirt waren,

*) Klunzinger: Artistische Beschreibung der vormaligen Cisterzienser-Abtei
Maulbronn. Stuttgart 1849, dem ich sämmtliche geschichtlichen Daten entnehme.

befanden wir uns aus einem eingeschlossenen, mit Rasen bewachsenen
Hofe. Einige schöne Linden, die nahe an der Westseite der Kirche
stehen, beschatteten und verdeckten zum Theil die Fa^ade und das
derselben vorliegende Paradies. Links von letzterem, also nördlich,
sieht man die Hauptmasse der Klostergebäude sich anschließen. Alles,
was man von hier aus erblickt, trägt den Charakter schlichten,
würdevollen Ernstes. Die schöngefugten Sandsteinquadern, aus
welchen sämmtliche Gebäude aufgeführt sind, haben sich in ein ehr-
würdiges Dunkelgran gehüllt, das trefflich mit dem stillen, klöster-
lichen Eindruck harmonirt.

Waren mir nun auch aus dem vorzüglichen Werke von Eisen-
lohr *), das Dir wohl auch bekannt ist, die wichtigsten Theile der
Klostergebäude zu Maulbronn deutlich in der Erinnerung, stand mir
namentlich die Anlage des Paradieses noch lebendig vor Augen,
wie sehr verblaßte das Alles doch nun vor der Wirklichkeit! Tritt
bloß in diese imposante, hohe, von drei Kreuzgewölben gebildete, nach
allen Seiten durch sensterartige Bogenöffnungen wirksam und leben-
dig mit der Umgebung in Verbindung stehende Vorhalle, und Du
fühlst sofort, auf welch mächtiger kirchlichen Gemeinschaft Boden Du
Dich befindest. Nicht als ob die Dimensionen übermäßig wären!
Die Tiefe der Halle beträgt nur 26 badische Fuß, ihre Breite, den
drei Kirchenschiffen gleichkommend, nicht über 72, die Scheitelhöhe
ihrer Gewölbe circa 24 Fuß. Aber die Disposition des Raumes
ist so großartig, die Durchführung von so energischem, künstlerischem
Wollen, daß der Eindruck ein imposanter ist. Die Halle verdankt
allem Anscheine nach den ersten Decennien des dreizehnten Jahrhun-
derts ihr Entstehen. Sie ist in einem primitiven, aber höchst ent-
schiedenen, in jedem Profil ausdrucksvoll sich kunstgebenden Ueber-
gangssthl gebaut, der jedoch den Rundbogen sowohl in den Gewölben,
wie in den Maueröffnungen beibehält. Dies jedoch nicht ohne Aus-
nahme. Die Oefsnungen der schmaleren Seiten sind im Spitzbogen
geschlossen, aber lediglich, um ihnen bei engerer Sprengweite dieselbe
Höhe mit den übrigen zu geben. Da auch die Gewölbrippen durch-
aus im Rundbogen konstruirt sind, so mußte der Architekt, um die
Scheitellinie der Wölbung in einer Ebene zu halten, mit den
Kämpfern der Gewölbrippen tief unter die Kämpferhöhen der übri-
gen Säulen rücken, so daß die Rippen von sehr kurzen, stämmigen
Wandsäulchen aufsteigen. Diese Anordnung kann keineswegs schön
genannt werden, da die zwergartigen Träger in üblem Verhältniß
zu den gewaltig aufstrebenden, mächtigen, als breite, scharf profilirte
Gurte gestalteten Rippen stehen. Aber gerade dadurch erscheint die
Spannung kühner, freier, weiter, als sie wirklich ist, und der Ein-
druck hat etwas Keckes, trotzig Kraftvolles. Es würde mich zu weit
führen und hieße Deine Geduld ermüden, wollte ich die reiche Glie-
derung aller Wandecken und Oeffnungen durch schlanke Säulchen
mit elastisch geschwungenem Pfühl, dem die Eckblattverzierung bereits
fehlt, den mannigfaltigen, elegant gearbeiteten, aus vegetativen For-
men bestehenden Schmuck der zahlreichen Kapitale an den achtund-
siebzig Sänken dieser prachtvollen Vorhalle, die Schärfe und Mei-
sterschaft der Meißelführung würdig beschreiben. Doch kann ich die
Bemerkung nicht unterdrücken, daß durchweg in der Behandlung der
Stützen und des Gestützten ein allem Anschein nach beabsichtigter
Gegensatz liegt. Waren die Stützen der Gewölbrippen unverhält-
nißmäßig kurz, so sind alle übrigen Säulchen unverhältnißmäßig
schlank, während dagegen die von ihnen aufsteigenden Bögen eine
derbe, breite, wuchtige ProfiliruNg zeigen. Auch dies darf man streng
genommen nicht schön nennen, aber es ist pikant, charakteristisch und

*) Mittelalterliche Bauwerke im südwestlichen Deutschland und am Rhein,
i Nach der Natur ausgenommen und gezeichnet von den Zöglingen der Großherz.
! Bauschule in Karlsruhe. Herausgegeben von F. Eisenlohr. 1. Abth. Cister-
! zienserkloster Maulbronn. Karlsruhe, I. Veith.
 
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