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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0463
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wirkt gerade durch die Ueberraschung so fesselnd auf unsere Phantasie.
Die Säulenschäste haben in halber Höhe tief ausgekehlte, scharf pro-
filirte Ringe, aber wohlgemerkt, nur diejenigen Säulen, welche zu
mehreren oder mit einem Mauertheil verbunden sind. Dagegen
schießen die einzeln stehenden Säulchen, welche die fensterartigen
Maueröffnungen theilen, in ununterbrochener, kecker, zerbrechlicher
Schlankheit auf. Man war sich also der Bedeutung jener Ringe,
die recht eigentlich steinerne Trauringe sind, sehr Wohl bewußt. End-
lich ist noch zu beachten, daß der Architekt, da er drei ziemlich
gleiche quadratische Gewölbe haben mußte, um dem Raum Würde
und Harmonie zu geben, sich nicht nach der Theilung des Langhau-
ses richtete, so wie daß er als Widerlager für seine Gewölbe ein-
fache, mit einem Satteldach und lilienartiger Giebelverzierung ge-
krönte Strebepfeiler anlegte.

Drei Portale führten einst aus dem Paradies in die Kirche.
Gegenwärtig wird nur das mittlere benutzt. Sehen wir von den
an der Südseite des Langhauses im I. 1424 angebauten zehn Ka-
pellen und der gleichzeitig geschehenen Ueberwölbung des Hauptschiffs
und der Seitenschiffe ab, so haben wir einen stattlichen Bau aus
einem Gusse, und zwar aus der Blüthezeit des romanischen Sthles
vor uns. Denn die Kirche muß zwischen 1146, dem Beginne der
Gründung, und 1178, dem Vollendungsjahre des Baues, errichtet
worden sein. Sie war ursprünglich eine flachgedeckte Basilika; nur
der Chor und die Räume des Querschiffes sind sogleich mit rippen-
losen Kreuzgewölben versehen worden, welche noch jetzt vorhanden
sind. Zehn Paar kräftiger Pfeiler trennen das Hauptschiff von den
beiden Abseiten. Sie sind einfach viereckig gebildet, unter den Ar-
kadenbögen jedoch mit einer Halbsäule besetzt. Die Kapitale dersel-
ben sind durchweg in schwerer Würfelform mit strengem, stach aus-
gemeißeltem Blattwerk gebildet. Die Basen und Kämpfergesimse
der Pfeiler haben eine ziemlich reiche Zusammensetzung in der ge-
wöhnlichen Weise des zwölften Jahrhunderts. Bemerkenswerther
erscheint die Umfassung der Arkadenbögen durch Wandstreifen, die
rechtwinklig von dem Arkadensims niederlaufen, ähnlich wie in ge-
wissen sächsischen Kirchen, z. B. Paulinzelle. Die an der Rückseite
der Pfeiler vorgelegten Halbsäulen sind als Gewölbdienste gleich den
Gewölben ein späterer Zusatz.

Am sechsten Pfeilerpaare (von Westen gerechnet) schließt ein
romanischer Lettner, der mit der Kirche zugleich aufgeführt wurde,
das Mittelschiff und das nördliche Seitenschiff vom Chore ab. Der
Rundbogenfries und die rundbogigen Thüröffnungen charakterisiren
ihn deutlich. Vermuthlich erstreckte er sich auch noch über das süd-
liche Seitenschiff, wurde aber wahrscheinlich entfernt, als man
dasselbe durch den Kapellenanbau erweiterte. In dieser westlichen
Hälfte der Kirche finden sich außer der Orgel zwei an gegenüber-
liegenden Pfeilern angebrachte zierliche Altarbaldachine, deren reich-
verschlungene Sterngewölbe aus schlanken Säulchen ruhen, sodann
die Kanzel, eine Reihe von derb gearbeiteten Chorstühlen, ein mäch-
tiges, aus einem großen Sandsteinblocke gehauenes Kruzifix vom
I. 1473 auf der Stelle des Laienaltars, und dahinter, an den
Lettner gelehnt, ein dreifacher zierlicher Levitensitz.

In dem Herrenchor, den wir nun betreten, ist die zwiefache
Doppelreihe tüchtig geschnitzter Chorstühle noch vorhanden, so wie im
Hochaltar eine figürliche Holzschnitzdarstellung. Als das Interessan-
teste drängt sich jedoch die bauliche Anlage dieser Theile auf. Nicht
daß der Chor geradlinig schließt, was bei so vielen Cisterzienserkir-
chen bekanntlich vorkommt *), auch nicht daß je drei Kapellen an

*) Wenn Klunzinger S. 14 meint, „äußere Spuren deuten auf das einstige
Dasein oder die Beabstchtigung einer auffallend niedrigen halbkreisförmigen Absis",
fo ist dies ein Jrrthum, den die genaue Besichtigung der (durch spätere große
Spitzbogenfenster geschwächten und gothische Strebepfeiler verstärken) Chormauern
widerlegt.

den Ostmauern der Kreuzarme angeordnet sind, was sich ebenfalls
an Kirchen desselben Ordens, wie Zinna, Loccum u. A. findet: son-
dern die vollständige Theilung des sonst für die Kreuzarme bestimm-
ten Raumes durch diese Kapellen, die geradezu die Hälfte des sonst
üblichen Kreuzschiffes fortnehmen, ist eine von dem gewöhnlichen Her-
kommen abweichende Anordnung. Ich erwähne dieselbe deshalb aus-
drücklich, weil damit zu den unzähligen anderen Beispielen von der
großen Freiheit, mit welcher der Architekt des Mittelalters, selbst bei
strengen Mönchsorden, bei der Anlage der Kirchen verfahren durfte,
ein neues hinzukommt. Dazu kommt hier noch, daß die beiden
Querschiffarme auch in der Höhe sich nicht über die Region der
Abseiten erheben, so daß von einer eigentlichen Kreuzschiffwirkung,
wie wir sie an andern Bauten zu finden gewohnt sind, nicht die
Rede ist. Die schwäbische Bauschule scheint überhaupt die Anlage
eines Kreuzschiffes nicht geliebt zu haben.

Ehe wir die Kirche verlassen, um die weitläufigen klösterlichen
Baulichkeiten, deren Mittelpunkt sie bildet, zu durchwandern, gebe
ich Dir die Maaße derselben, wie ich sie nach der Eisenlohr'schen
Aufnahme ermittelt habe. Demnach hat das Mittelschiff eine lichte
Weite von 29, jedes Seitenschiff eine solche von 17 Fuß badisch.
Der Pfeilerabstand ist nicht ganz gleich, er nimmt nach Osten ab,
doch nicht in regelmäßiger Proportton. Sein Maximum beträgt 13,
sein Minimum 11 Fuß. Die lichte Weite der drei Schiffe mißt 72,
die Ausdehnung des ganzen Querflügels 120 Fuß. Endlich erreicht
die Kirche im Lichten eine Gesammtlänge von 217 Fuß, wovon 100
auf den durch den Lettner abgetrennten westlichen Theil kommen. So
beträchtlich diese Verhältnisse sind, so kommen sie doch wenig zur
Geltung, da die Kirche durch die monströsesten Einbauten verhunzt
wird. Dahin rechne ich besonders den abscheulichen Ueberbau des
Lettners, den eine verständige Restauratton bald beseitigen möge.
Dann werden hoffentlich auch die drei Portale anstatt'der elenden
Lattenverschließung ordentliche Thüren erhalten.

Von alter Ausschmückung der Wände habe ich noch einer Spur
von Mauerbemalung zu gedenken: es ist das große Bild der Maria,
der Schutzpattonin dieser wie jeder Cisterzienserkirche, welches am
Triumphbogen sichtbar ist und offenbar von der ersten Bauzeit her-
rührt. Im Uebrigen war der Tag zu trübe, um noch detaillirtere
künstlerische Studien in der kalten und gerade ziemlich dunklen Kirche
zu gestatten.

Zwei Thüren münden aus dem nördlichen Seitenschiff in den
anstoßenden Flügel des Kreuzganges, die eine aus dem westlichen,
die andere aus dem östlichen Theile der Kirche. Die Kreuzgänge
bilden ein regelmäßiges Quadrat, dessen- Seiten 125 Fuß lang sind.
An sie schließen sich nach allen Seiten die Klostergebäude an, so daß
sie mit dem von ihnen umgebenen Hofraum den Mittelpunkt der
Anlage bilden. Vergebens würde es sein, wollte ich mit Worten
den Zauber der Perspektiven schildern, die man von allen Seiten
durch die hohen Bogenöffnungen auf Re verschiedenen Hallen, Ka-
pellen, Säle, Treppen und andere Räumlichkeiten genießt. Der streng
romanische, der reich ausgebildete Uebergangssthl, der edle frühgo-
thische und die brillante Gothik des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts mischen sich hier in wunderbar malerischer Weise.
Selbst Abbildungen, wie die vortrefflichen im Eisenlohr'schen Werke,
vermögen nur eine schwache Andeutung zu geben. Warum hat die
Photographie noch nicht versucht, von diesen reichen und prächtigen
Durchblicken uns Blätter zu verschaffen? Hat man ja doch Photo-
graphieen von allen Theilen der Alhambra; warum nicht auch von
Gebäuden wie Maulbronn — und laß mich hinzusetzen wie Ma-
rienburg, denn diese beiden Schöpfungen sind von allen mittelalter-
lichen Werken, die ich gesehen habe, für den Künstler, zumal den
Architekten, vom höchsten Interesse. Gerade hier kann er erkennen,
in welcher Weise die alten Meister mit den zu ihrer Zeit herrschen-
 
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