Das heutige Düsseldorf.
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Horizont sich nun aber zu weiten
beginnt! Er hatte bisher etwas
von dem harten Fanatismus eines
protestantisch - bigotten Klein-
bürgers, aber er gehört, wie
gesagt, zu denen, die langsam
aus sich heraus wachsen und
Düsseldorf wird noch manches
von ihm zu erwarten haben. -
Steckte Reichert so im klein-
bürgerlichen , nicht immer im
vortheilhaften Sinne, so ist ein
anderer Künstler, der einen ver-
wandten Stoffkreis gestaltet, den
allermodernsten zuzuzählen. In
unserer modernen Zeit, deren
kosmopolitische Unruhe dem
Menschen überhaupt, dem Künst-
ler aber insbesondere jede see-
lische Sesshaftigkeit genommen,
ist ein rastloses Stilbedürfniss
eingetreten, krankhaft und gierig
schlürfen die Künstler die We-
sensessenz der Stile aller Zeiten,
statt in der Scholle zu wurzeln.
Eine der originellsten Sympa-
thien dieser aus Ueberkultur
entsprungenen Stilsucht, ist das
naive Bedürfniss, die naive Lust
für das Biedermännische, Phili-
ströse, ja Spiessbürgerliche! Nicht nur, dass
der moderne Dekadent sich in Glockenrock
und hohen Halsbinde gefällt, altmodisch
sentimentale Weisen zur Guitarre klimpernd,
sein von nächtelangen Raffinements wärme-
los gewordenes Blut hüllt sich nun sogar in
jene altmodische Wohnstuben - Atmosphäre
gern, in der der Grossvater mit der Gross-
mutter haust! Diese provinzielle Spiessbürger-
Romantik gestaltet Philippi so echt, dass man
meinen sollte, er stammte direkt aus diesem
Empfindungskreis, und doch ist alles bewusst,
Absicht, aber in Fleisch und Blut über-
gegangene Absicht. Seine Bilder wirken
auf den ersten Blick wie veraltete Genre-
bilder, erst bei näherem Zusehen erkennt
das geübte Auge die Absicht des Modernen.
Da sehen wir köstlich-altmodische Kleider-
stoffe, wunderbar altmodische Sophas mit
geblümten Ueberzügen, Silhouettenschnitte
A. DEUSSEK— DÜSSELDORF.
Gemälde: St. Georg.
an der Wand, Kaffeekannen, Hutschachteln,
Uhrketten - - alles ist echt und von alter
Lavendelatmosphäre umduftet. Manchmal
ist er satirisch, bei manchen seiner Bilder
wird man ganz gerührt und möchte aus
diesem modernen Lrouble zurückfliehen in
diese Zeit der Bürgeridylle. Als Mensch
ist Philippi nicht weniger originell, er soll
diesen Hang zur alten Zeit manchmal in die
Praxis übersetzen und wie ein fahrender
Sänger mit der Guitarre als einzigem Reise-
gepäck die Rhein- und Moselthäler durch-
ziehen. An dieser Stelle möchte ich noch
eines verwandten Künstlers, A. Zinkeisen,
gedenken, der oft höchst eigenartige, an
den Norweger Kittelsen erinnernde Gestal-
tungen Andersens'scher Märchen bringt. Um
noch ein Wort über Philippi zu sagen: eigent-
lich sollte jeder Kunst im besten Sinne des
Wortes das Gebiet des Spiessbürgerlichen
99. IV. 3.
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Horizont sich nun aber zu weiten
beginnt! Er hatte bisher etwas
von dem harten Fanatismus eines
protestantisch - bigotten Klein-
bürgers, aber er gehört, wie
gesagt, zu denen, die langsam
aus sich heraus wachsen und
Düsseldorf wird noch manches
von ihm zu erwarten haben. -
Steckte Reichert so im klein-
bürgerlichen , nicht immer im
vortheilhaften Sinne, so ist ein
anderer Künstler, der einen ver-
wandten Stoffkreis gestaltet, den
allermodernsten zuzuzählen. In
unserer modernen Zeit, deren
kosmopolitische Unruhe dem
Menschen überhaupt, dem Künst-
ler aber insbesondere jede see-
lische Sesshaftigkeit genommen,
ist ein rastloses Stilbedürfniss
eingetreten, krankhaft und gierig
schlürfen die Künstler die We-
sensessenz der Stile aller Zeiten,
statt in der Scholle zu wurzeln.
Eine der originellsten Sympa-
thien dieser aus Ueberkultur
entsprungenen Stilsucht, ist das
naive Bedürfniss, die naive Lust
für das Biedermännische, Phili-
ströse, ja Spiessbürgerliche! Nicht nur, dass
der moderne Dekadent sich in Glockenrock
und hohen Halsbinde gefällt, altmodisch
sentimentale Weisen zur Guitarre klimpernd,
sein von nächtelangen Raffinements wärme-
los gewordenes Blut hüllt sich nun sogar in
jene altmodische Wohnstuben - Atmosphäre
gern, in der der Grossvater mit der Gross-
mutter haust! Diese provinzielle Spiessbürger-
Romantik gestaltet Philippi so echt, dass man
meinen sollte, er stammte direkt aus diesem
Empfindungskreis, und doch ist alles bewusst,
Absicht, aber in Fleisch und Blut über-
gegangene Absicht. Seine Bilder wirken
auf den ersten Blick wie veraltete Genre-
bilder, erst bei näherem Zusehen erkennt
das geübte Auge die Absicht des Modernen.
Da sehen wir köstlich-altmodische Kleider-
stoffe, wunderbar altmodische Sophas mit
geblümten Ueberzügen, Silhouettenschnitte
A. DEUSSEK— DÜSSELDORF.
Gemälde: St. Georg.
an der Wand, Kaffeekannen, Hutschachteln,
Uhrketten - - alles ist echt und von alter
Lavendelatmosphäre umduftet. Manchmal
ist er satirisch, bei manchen seiner Bilder
wird man ganz gerührt und möchte aus
diesem modernen Lrouble zurückfliehen in
diese Zeit der Bürgeridylle. Als Mensch
ist Philippi nicht weniger originell, er soll
diesen Hang zur alten Zeit manchmal in die
Praxis übersetzen und wie ein fahrender
Sänger mit der Guitarre als einzigem Reise-
gepäck die Rhein- und Moselthäler durch-
ziehen. An dieser Stelle möchte ich noch
eines verwandten Künstlers, A. Zinkeisen,
gedenken, der oft höchst eigenartige, an
den Norweger Kittelsen erinnernde Gestal-
tungen Andersens'scher Märchen bringt. Um
noch ein Wort über Philippi zu sagen: eigent-
lich sollte jeder Kunst im besten Sinne des
Wortes das Gebiet des Spiessbürgerlichen
99. IV. 3.