Neuere Wiener Architektur.
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herabsetzen. Sie haben in ihrer Art Be-
deutendes geleistet. Ein Semper vor allem
gehört dahin, wo die Unsterblichen thronen.
Aber aus ihren Werken, selbst aus der
Riesenarbeit der Wiener Ringstrasse, tönt
uns doch eine ernste Mahnung entgegen,
welche unser heutiges Geschlecht nicht un-
beachtet lassen darf. Es ist die Mahnung:
besinnt euch auf euch selbst und eure Zeit!
Die jetzige Generation hat diese Mahnung
schon zum Theil verstanden und beherzigt.
Sie darf sich einer Reihe von Architekten
rühmen, welche die erweiterten und sozialen
Lebensbedingungen auch in der Baukunst
zu berücksichtigen und mit ihren Gesetzen
in Einklang zu bringen suchen. Im wesent-
lichen sind es zwei Gruppen, die auf ver-
schiedenen Wegen dem Ziele näher zu
kommen suchen. Als geistiger Führer der
einen wird Oberbaurath Otto Wagner ge-
nannt und auch allgemein anerkannt; der
andere ist der Professor an der technischen
Hochschule Carl König. Leider ist es mir
nicht gelungen, die Zurückhaltung Professor
König's soweit zu überwinden, um aus dem
Skizzenbuche dieses Künstlers Material zur
Illustration zu erhalten. Prof. König ist der
Ansicht, dass die Zeichnungen und Skizzen
des Architekten seine heiligsten Geheimnisse
verkörpern, die, nach seiner Meinung, nicht
in die Oeffentlichkeit gehören. »Nach dem
fertigen Bauwerk allein soll man den Archi-
tekten beurtheilen!« Diese persönliche Ueber-
zeugung des Künstlers musste ich respek-
tiren, obwohl ich sie nicht theile. Carl König
hat Wien mit bedeutenden Werken bereichert
und schafft unermüdlich weiter. Eine seiner
letzten grösseren Schöpfungen ist die so-
genannte »Mehlbörse« in der Taborstrasse,
ein innerlich wie äusserlich in grossem Zuge
durchgeführtes architektonisches Kunstwerk.
Auf die weitblickenden Zukunftsbestre-
bungen des Oberbauraths Wagner ist in der
»Deutschen Kunst und Dekoration« bei einer
früheren Veranlassung (Heft XII, Jahrg. I)
von berufener Seite hingewiesen worden.
In seinem Programm, welches er in seiner
anregenden Schrift »Moderne Architektur«
niedergelegt hat, geht Wagner bekanntlich
von der Voraussetzung aus, dass jede Bau-
form ursprünglich aus einer nothwendigen
konstruktiven Bedingung herausgewachsen
ist. »Dieser Grundsatz«, heisst es in der
Schrift, »hält allen Analysen Stand und
erklärt uns jede Kunstform. Immer ist es
ein konstruktiver Grund, der die Formen
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herabsetzen. Sie haben in ihrer Art Be-
deutendes geleistet. Ein Semper vor allem
gehört dahin, wo die Unsterblichen thronen.
Aber aus ihren Werken, selbst aus der
Riesenarbeit der Wiener Ringstrasse, tönt
uns doch eine ernste Mahnung entgegen,
welche unser heutiges Geschlecht nicht un-
beachtet lassen darf. Es ist die Mahnung:
besinnt euch auf euch selbst und eure Zeit!
Die jetzige Generation hat diese Mahnung
schon zum Theil verstanden und beherzigt.
Sie darf sich einer Reihe von Architekten
rühmen, welche die erweiterten und sozialen
Lebensbedingungen auch in der Baukunst
zu berücksichtigen und mit ihren Gesetzen
in Einklang zu bringen suchen. Im wesent-
lichen sind es zwei Gruppen, die auf ver-
schiedenen Wegen dem Ziele näher zu
kommen suchen. Als geistiger Führer der
einen wird Oberbaurath Otto Wagner ge-
nannt und auch allgemein anerkannt; der
andere ist der Professor an der technischen
Hochschule Carl König. Leider ist es mir
nicht gelungen, die Zurückhaltung Professor
König's soweit zu überwinden, um aus dem
Skizzenbuche dieses Künstlers Material zur
Illustration zu erhalten. Prof. König ist der
Ansicht, dass die Zeichnungen und Skizzen
des Architekten seine heiligsten Geheimnisse
verkörpern, die, nach seiner Meinung, nicht
in die Oeffentlichkeit gehören. »Nach dem
fertigen Bauwerk allein soll man den Archi-
tekten beurtheilen!« Diese persönliche Ueber-
zeugung des Künstlers musste ich respek-
tiren, obwohl ich sie nicht theile. Carl König
hat Wien mit bedeutenden Werken bereichert
und schafft unermüdlich weiter. Eine seiner
letzten grösseren Schöpfungen ist die so-
genannte »Mehlbörse« in der Taborstrasse,
ein innerlich wie äusserlich in grossem Zuge
durchgeführtes architektonisches Kunstwerk.
Auf die weitblickenden Zukunftsbestre-
bungen des Oberbauraths Wagner ist in der
»Deutschen Kunst und Dekoration« bei einer
früheren Veranlassung (Heft XII, Jahrg. I)
von berufener Seite hingewiesen worden.
In seinem Programm, welches er in seiner
anregenden Schrift »Moderne Architektur«
niedergelegt hat, geht Wagner bekanntlich
von der Voraussetzung aus, dass jede Bau-
form ursprünglich aus einer nothwendigen
konstruktiven Bedingung herausgewachsen
ist. »Dieser Grundsatz«, heisst es in der
Schrift, »hält allen Analysen Stand und
erklärt uns jede Kunstform. Immer ist es
ein konstruktiver Grund, der die Formen